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Der Polizist, der in die Wüste ging

Marc Steininger (rechts) unterwegs in den Nubabergen des Sudan. swissinfo.ch

Der Zürcher Stadtpolizist Marc Steininger ist von einer Mission im Sudan zurückgekehrt, wo er als Mitglied der Joint Military Commission (JMC) die Einhaltung des Waffenstillstandes zwischen Regierungstruppen und Rebellen überwachte.

Für Steiniger, der bereits zwei ähnliche Einsätze im Kosovo hinter sich hat, bedeuten die Einsätze im Ausland auch eine kulturelle Bereicherung.

Normalerweise geht Marc Steininger im Industriequartier auf Streife. In diesem Jahr tauschte der Zürcher Stadtpolizist sein vertrautes Revier im Kreis 5 für ein halbes Jahr mit den Nubabergen im zentralen Sudan. Nach zwei Einsätzen im Kosovo, 1999 als Militärpolizist und 2000/01 als UNO-Zivilpolizist, war dies seine dritte Mission im Ausland.

Statt im Zürcher “Stadtdschungel” an der Langstrasse oder am Limmatplatz Dealern und Dieben nachzuspüren, war er in den Nubabergen in einem Gebiet, das knapp doppelt so gross ist wie die Schweiz, in einem Geländewagen auf sandigen Pisten unterwegs. Steininger als Mitglied der so genannten Joint Military Commission (JMC) half mit, das Waffenstillstands-Abkommen zwischen der sudanesischen Regierung und den Rebellen der SPLM (Sudanese People’s Liberation Movement)zu überwachen.

Ermittlungskompetenz bei “Cease Fire Violation”

Steiningers Auftrag war es, den Rückzug der Truppen hinter die vereinbarten Linien zu überwachen und die Entwaffnung der Kämpfer zu kontrollieren. Daneben ging es auch um die Minenräumung und die Kontrolle des Flugverkehrs sowie des Nachschubs für beide Seiten. Wird das Abkommen von einer Seite verletzt, untersucht die JMC den Vorfall und erstattet einen Bericht.

JMC ist bisher eine Erfolgsgeschichte

Die Präsenz der Joint Military Commission (JMC), der Steininger zusammen mit vier anderen Schweizern während 6 Monaten angehörte, ermöglichte bereits Tausenden von vertriebenen Menschen die Rückkehr in ihre Dörfer. Die seit mehr als zwei Jahrzehnten bürgerkriegsgeplagten Zivilisten hatten vor den Kämpfen in die Nubaberge flüchten müssen.

Modellregion Nubaberge

Das Waffenstillstands-Abkommen von Januar 2002 galt für sechs Monate. Bis zum angestrebten Friedensschluss wird es halbjährlich verlängert. Das von den USA, Norwegen und der Schweiz eingeleitete Agreement soll Modellcharakter erhalten im Hinblick auf die Befriedung des ganzen Sudans.

Auch wenn im Moment noch nicht klar ist, wann das Land endgültig unter die Fahne des Friedens zurückkehrt, sind die Erfolge der JMC auf dem langen Weg dahin unbestritten.

Sprichwörtliche Gastfreundschaft

“Am meisten beeindruckt hat mich die Gastfreundschaft der Menschen in den Nubabergen. Wie wir als Aussenstehende empfangen wurden und wie sie auf uns zugekommen sind”, erzählte Steininger gegenüber swissinfo. “Wir haben gespürt, dass sie unsere Anwesenheit und unsere Arbeit wirklich schätzten.” Dabei habe er die Strukturen der Leute in den Nubabergen aus nächster Nähe kennen gelernt.

Oft seien sie auf ihren Fahrten mehrmals am Tag zum Tee oder sogar zum Essen eingeladen worden. Die drängendsten Probleme wie der Diebstahl einer Ziege oder Kuh seien dabei aber erst nach anfänglichem Plaudern beispielsweise über die Familie angesprochen worden, so Steininger.

Vermittlerrolle

Gemäss JMC-Auftrag hatten er und seine Kollegen einen Beobachter-, keinen “Law-Enforcement-Status”: Ein Eingreifen in laufende Ermittlungen der lokalen Polizei sei daher nicht möglich gewesen. “Wir haben den Leuten aber nicht einfach gesagt, das geht uns nichts an. Sondern wir versuchten, ihnen als Vermittler aufzuzeigen, welche Möglichkeiten sie haben.”

Reagiert Steininger nach seinen bisherigen 3 Einsätzen, zwei im Kosovo und jenem im Sudan, im Dienst am Limmatplatz anders als vorher? “Ich bringe heute eine gewisse zusätzliche Geduld auf, weil ich im Balkan und auch in Afrika gelernt habe zuzuhören.” Dort werde relativ viel geredet, und man müsse wirklich Geduld haben, um auf die Leute eingehen zu können.

Alle Menschen gleich

Wenn er es mit einem schwarzafrikanischen Verdächtigen zu tun hat, geht der Zürcher Stadtpolizist Steininger aber gleich vor wie zuvor. “Wenn ich im Dienst bin, sind alles Menschen. Es spielt keine Rolle, ob sie aus Afrika, vom Balkan oder aus Nordeuropa kommen, speziell, wenn es auch Delinquenten sind.” Denn nach wie vor würden Gesetze und Dienstvorschriften den Rahmen vorgeben, an den sich die Beamten halten müssten.

Im Polizistenberuf spiele das soziale und kulturelle Umfeld der Menschen grundsätzlich keine Rolle, so Steininger weiter. Bei jeder Person müsse man ungeachtet der Herkunft so oder so eine Lagebeurteilung machen, “damit man einen Zugang findet, so dass man kommunizieren kann und zu einem Ziel kommt”.

Verständnis für Verhalten

Dennoch macht er Nuancen aus: “Für mich persönlich ist es aber sicher ein Vorteil, dass ich die wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse vor Ort kennen gelernt habe. Ich kann dann auch ein gewisses Verständnis aufbringen für gewisse Verhaltensmuster der Menschen.” Wenn man dieses Muster kenne, könne man sich etwas einfacher “einklinken”.

Auslandeinsätze könnten eine Bereicherung bei der Polizeiarbeit sein. “Man kann viel an Sozialkompetenz und Lebenserfahrungen mitnehmen, was bei mir persönlich der Fall war.” Dass bei ihm das Engagement über die Zürcher Stadtgrenzen hinausgeht, unterstreicht Steininger ebenfalls mit seiner Funktion als Kursleiter an der UNO-eigenen Schule in Stockholm, die Polizisten für internationale Einsätze ausbildet.

Offen für nächste Mission

Nach dem Kosovo und dem Sudan würde Steininger gerne eine vierte Mission anpacken. “Für mich müssen aber ganz klar Anforderungsprofil, Auftrag und Pflichtenheft stimmen, damit ich mich damit identifizieren kann.” Schliesslich solle es den Menschen dort und ihm etwas bringen könnte, wenn er sein Wissen und seine Erfahrung einbringen würde.

swissinfo, Renat Künzi

Der JMC-Einsatz in den Nubaberge war die dritte Ausland-Mission von Marc Steininger.

Zu seinem Auftrag gehörte die Überwachung des Waffenstillstands und des Rückzugs der Bürgerkriegs-Truppen im Sudan.

Seine Aufgaben: Die Kontrolle der Entwaffnung und Entminung.

Bei Verletzungen des Waffenstillstands hatte die JMC Ermittlungskompetenz.

1983 wurde im Sudan die Scharia, das muslimische Gesetz, eingeführt.

Die 1972 garantierten Autonomierechte für den animistisch-christlichen Süden wurden aufgehoben, was zum Bürgerkrieg führte.

1989 übernahm Omar Hassan Ahman al-Bashir in einem unblutigen Putsch die Macht.

Erste Friedensgespräche endeten in den 90er Jahren in der Sackgasse.

Im Januar 2002 wurde auf dem Bürgenstock ein Waffenstillstands-Abkommen erzielt.

Federführend bei der Vermittlung war neben den USA auch der Schweizer Sonderbotschafter Josef Bucher.

Der Waffenstillstand in den Nubabergen soll als Modell für die Befriedung des Sudans dienen.

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