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Die Schweiz – künftiges Monaco oder EU-Land?

Nachdenken über Souveränität und Allianzen: Das Europa Forum. Keystone

Kann die Schweiz auch unter zunehmendem Druck ihre gewohnte Souveränität behalten, oder muss sie sich der EU mindestens weiter annähern? Über diese Frage diskutierte eine prominent besetzte Runde im Rahmen des Europa Forums in Luzern.

Beim Bankgeheimnis hätte der Bundesrat hart bleiben und nicht so schnell nachgeben sollen, kritisiert Christoph Blocher, Chefstratege der rechtskonservativen Schweizerischen Volkspartei, auf der Bühne des Kultur- und Kongresszentrums Luzern.

“Man redet von Verhandeln, dann kommt einer und fuchtelt mit einer Grauen Liste und schon gibt man nach. Wenn ich noch Bundesrat wäre, hätte ich auf diese Liste nicht reagiert”, sagt Blocher, fuchtelt mit den Armen und schiebt nach: “Es ist ein akademischer Trick zu sagen, unsere Souveränität sei eingeschränkt. Die Frage ist, ob wir sie wollen oder nicht. Die Selbstbestimmung ist das höchste Gut eines Staates.”

Schweiz im Kulturkampf

“Eine Willensnation wie die Schweiz ist das Resultat von Diskurs und Streit”, darum sei er Blocher dankbar für seine Aussage, sagt der Philosophie-Professor Georg Kohler.

“Neutralität” und “sich aus aussenpolitischen Verstrickungen raus halten”, das sei für die Schweiz lange Zeit ein erfolgreiches Modell gewesen.

“Die Frage ist, ob diese Lösung nicht ihr Fundament verloren hat. Seit dem Ende des Kalten Kriegs findet in der Schweiz ein Kulturkampf statt. Die einen wollen am Bisherigen festhalten, die andern machen darauf aufmerksam, dass sich die grossgeschichtlichen Umstände verändert haben und nach Anpassungen verlangen.”

Es sei schwierig, die “Rütli-Schweiz” aufzugeben, so Kohler, “aber wir müssen aus dieser Blockade rauskommen und uns überlegen, ob diese EU nur feindliches Umland ist oder doch etwas Grösseres”.

Der ehemalige Staatssekretär Franz von Däniken plädiert – auch im Interesse der schweizerischen Souveränität – für einen EU-Beitritt und sagt: “Man hält den Bilateralen Weg für einen Ansatz, der unsere Souveränität verstärkt. Die Wirklichkeit sieht anders aus. Wir haben damit an Gestaltungs-Spielraum verloren. Es geht im Wesentlichen um Übernahme des EU-Rechtsbestandes. Wird dieser weiter entwickelt, haben wir keine Mitsprache.”

Nein zu “dummen” Verträgen?

Für Christoph Blocher ist klar: Ein EU-Beitritt brächte “einen enormen Wohlstandverlust”. Die Schweiz habe deshalb “die Finanzkrise gut überstanden, weil sie eine eigene Währung hat”.

Der bilaterale Weg werde “nicht beschritten, damit wir Vorteile haben. In Bern wird mit der Lupe jedes Problem gesucht, für das wir noch den bilateralen Weg gehen können. Man muss nein sagen zu solch dummen Verträgen”.

Tresor der Reichen

Das seien “Souveränitäts-Phantasmen”, kontert Kohler. Es sei nicht so, dass Verträge und Abkommen mit der EU “von geltungssüchtigen Politikern und Idioten” abgeschlossen würden.

Vielmehr spielten “Reputation und Anerkennung als fairer Mitspieler eine Rolle”, denn: “Wer von den Andern als Trittbrettfahrer wahrgenommen wird, der hat von Anfang an verloren.”

Dass die Schweiz unfreiwillig mit mehreren Staaten neue, von Blocher bekämpfte, Doppelbesteuerungs-Abkommen habe abschliessen müssen, sei darauf zurückzuführen, dass die Schweiz “der Tresor der Reichen” sei und die Nachbarstaaten “wie wir mindestens seit einem Jahr wissen, ziemlich gut organisiert sind”.

Allianzen schmieden

Von Däniken räumt ein, dass die Schweiz – nachdem sie auf Druck von EU-Ländern “von der G20 ins Schwitzkästchen genommen” worden war – “Inhalte akzeptiert hat, die sie bislang gar nicht wollte” und bezeichnet den Vorgang als “schleichenden Autonomieverlust”.

Das Problem – die Unterscheidung zwischen Steuer-Hinterziehung und -Betrug – sei “seit den 1990er-Jahren auf dem Tisch” gewesen. “Hätten wir frühzeitig den OECD 26-Standard angeboten, hätten wir sehr viel erreichen können”, so von Däniken: “Die Schweiz muss Allianzen schmieden mit Gleichgesinnten. In der WTO etwa, da haben wir viel erreicht.”

Grosses künftiges Monaco?

“Wir brauchen gar nichts”, sagt Blocher. “Wenn die Amtshilfe für ausländische Bankkunden kommt, werden reiche Ausländer in die Schweiz zügeln. Das gibt mehr Steuereinnahmen und damit Wohlstand.”

Wenn die Schweiz “ein grosses Monaco sein solle, dann können wir das machen”, entgegnet von Däniken. “Aber wenn unser Ehrgeiz weiter geht und wir unseren republikanischen Stolz in Gestaltungswillen umsetzen, dann führt das zu einem EU-Beitritt.”

Andreas Keiser, Luzern, swissinfo.ch

Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf will nicht das Initiativrecht einschränken, um Konflikte zwischen Volksbegehren und internationalen Verpflichtungen zu vermeiden.

Besser sei es, auf die Kraft der Argumente zu setzen, sagte sie am Europa Forum in Luzern.

Der Bundesrat hatte Anfang März bei Widmer-Schlumpfs Departement und beim Aussendepartement einen Bericht in Auftrag gegeben, der aufzeigen soll, wie Widersprüche zwischen Initiativ- und Völkerrecht zu verhindern sind.

Anlass waren Volksbegehren wie das Minarett-Verbot, die Verwahrungs- oder die Ausschaffungsinitiative.

Widmer-Schlumpf sagte am Europa Forum, es könne aus ihrer Sicht nicht darum gehen, das Initiativrecht einzuschränken.

In einer direkten Demokratie müsse die rechtliche Legitimation vom Volk kommen und nicht von einem Gericht oder Expertengremium.

Einzige Lösung ist für die Bundesrätin, auf die Kraft des Arguments zu setzen – und auf eine frühe intensive Diskussion über den möglichen Konflikt.

Die Justizministerin möchte den Stimmberechtigten schon während der Sammelkampagne erklären, dass die Initiative zu Problemen führen dürfte.

Bewerkstelligt werden könnte dies etwa mit einem Hinweis auf der Unterschriftenliste, erklärte sie.

Das Forum Luzern fand am 26. April zum 18. Mal statt.

Es versteht sich als internationale Plattform für Begegnungen mit repräsentativen Vertretern aus Wirtschaft, Wissenschaft, Politik und Kultur.

Es veranstaltet regelmässig Tagungen zu aktuellen Themen mit Europabezug, die für die Schweiz von Bedeutung sind.

Dem Europa Forum Luzern unter dem Vorsitz des Stadtpräsidenten von Luzern gehören der Kanton und die Stadt Luzern sowie private Körperschaften an.

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