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Ein Brüssel-Kenner wechselt – nach Tokio

Der Diplomat Urs Bucher hat rund 15 Jahre die Schweizer EU-Politik mitgeprägt. Pixsil

"Innenpolitisch muss die Europadebatte auch künftig so geführt werden, dass wir zu tragfähigen Mehrheiten kommen", mahnt Urs Bucher. Rund 15 Jahre beschäftigte sich der Diplomat mit den Beziehungen zur Europäischen Union. Nun geht er als Botschafter nach Tokio.

Die Bilder sind weg, die Pflanzen in die Ecke gestellt. Urs Bucher ist daran, seinen Posten als Chef des Integrationsbüros in Bern zu räumen.

Der abtretende Leiter des “pro-europäischen Propagandabüros der Regierung”, wie das Büro von EU-Gegnern auch schon genannt wurde, kann auf erfolgreiche Jahre zurückblicken. Ja zur Schengen-Mitgliedschaft, Ja zur Ausdehnung der Personenfreizügigkeit, Ja zum Erweiterungsbeitrag an EU-Neumitglieder – die Volksabstimmungen in den vergangenen Jahren hätten zu “wichtigen Annäherungsschritten” geführt, sagt Bucher im Gespräch mit swissinfo.ch.

Jeder vierte Arbeitnehmer ist Ausländer

Das Wegfallen der systematischen Personenkontrollen an der Grenze fällt allen Schweiz-Reisenden auf. Doch für Schweizerinnen und Schweizer sind die Veränderungen am Arbeitsplatz am grössten: Jede vierte erwerbstätige Person hat heute einen ausländischen Pass.

Sicher, die Auswirkungen seien grösser gewesen als erwartet, sagt Bucher. “Als 1999 das Freizügigkeitsabkommen abgeschlossen wurde, konnten wir nicht damit rechnen, dass ausgerechnet die Phase, in der die Kontingente wegfallen, mit einer der besten Konjunkturlagen zusammenfällt, die wir je hatten.”

Die Einwanderung sei aber, wie vorausgesagt, von der Nachfrage gesteuert. Bei schlechter Konjunkturlage nehme die Nachfrage nach Arbeitskräften ab, was sich mit einer gewissen Verzögerung auch auf die Zuwanderung auswirke. Dieser Verzögerungseffekt ist für Bucher auch eine Erklärung, weshalb im vergangenen Jahr die Arbeitslosigkeit in der Schweiz zunahm und dennoch weiter ausländische Arbeitskräfte ins Land kamen.

Und derzeit gehe die Arbeitslosigkeit ja wieder zurück, ergänzt der in seinen Dossiers sattelfeste Jurist. Kritik relativiert er: Nicht zuletzt Dank ihren Abkommen mit der EU habe sich die Schweiz “als eine der wettbewerbsfähigsten Nationen positionieren können. Und das wiederum zahlt sich für die einzelnen Bewohnerinnen und Bewohner dieses Landes aus”.

Zukunft des bilateralen Weges

Anzeichen dafür, dass die Regierung und die Mehrheit der Parteien vom bisherigen bilateralen Weg im Verhältnis zur EU abweichen wollen, sind in Bundesbern nicht zu erkennen.

Ein Ausbau des Agrarfreihandels, mehr Zusammenarbeit in Gesundheitsfragen und ein Handel mit CO2-Zertifikaten sind einige aktuelle Ziele aus Schweizer Sicht. “Wo ein Interesse da ist und ein politischer Wille, da findet man in der Regel auch Lösungen”, sagt Bucher.

Doch auch die Europäische Union hat ihre Anliegen. So pochen die EU-Kommission und die EU-Staaten allgemein zunehmend darauf, dass das EU-Recht das Mass aller Dinge sei – auch für künftige Beziehungen zur Schweiz.

Bei den Themen im Zentrum stehen Finanzfragen. “Unfaire” Unternehmensbesteuerungen werden angeprangert, die Forderungen aus Brüssel nahmen da jüngst sogar noch zu. Und immer wieder geht es um das Bankgeheimnis. In vielen EU-Hauptstädten wurde daher genau verfolgt, wie die USA mit viel Druck und klaren Fristen in der UBS-Affäre Bern zum Einlenken brachten.

Lernen von Washington?

Dass die EU hier von den USA lernen könnte, wie man erfolgreich mit dem Kleinstaat Schweiz umgeht, davon will Bucher nichts wissen. Man müsse Gleiches mit Gleichem vergleichen. Die Schweiz erhebe ja bereits Abgaben auf Zinserträgen von EU-Bürgern, erklärt er und verweist auf das Zinsbesteuerungsabkommen. Zudem würden derzeit mit den meisten EU-Staaten Doppelbesteuerungs-Abkommen ausgehandelt.

Dass der Druck aus Brüssel, unter anderem für ein Amtshilfeabkommen, aber dennoch zunehmen wird, bestreitet auch Bucher nicht. Doch ein Verhandlungsmandat seitens der EU liege noch nicht vor, unterstreicht er und verweist damit indirekt auf die Uneinigkeit der EU-Staaten bei Fragen rund ums Bankgeheimnis. Es sei deshalb der richtige Entscheid gewesen, die neue Amtshilfepraxis in einzelnen Abkommen mit den Mitgliedstaaten zu verankern.

Ob sich die EU-interne Uneinigkeit zu Gunsten der Schweiz manifestiert oder sich der Ton verschärft, wird sich in einigen Monaten zeigen. Dann werden die 27 EU-Staaten neue allgemeine Grundsätze für die Beziehungen zur Schweiz festlegen.

Neben Wirtschaft auch Wissenschaft und Kultur

Doch Urs Bucher wird das nur noch aus der Ferne, aus Tokio, beobachten. Wenn er Zeit dafür findet. Denn vorerst kennt er erst einige Worte Japanisch. Und die Sprache so gut wie möglich lernen will er unbedingt. Auch sonst wird ihm die Arbeit kaum ausgehen.

“Die Hauptaufgabe der Botschaft wird nun sicher sein, möglichst viele Akteure beider Seiten zusammenzubringen”, sagt er zum neuen Freihandelsabkommen Schweiz-Japan, das nun konkret umgesetzt werden soll. Neben den Wirtschaftsfragen will der Botschafter die Forschungszusammenarbeit und den Kulturaustausch weiter ausbauen.

Doch der Schweizer Finanzplatz wird ihn wohl auch weiterhin beschäftigen. Denn japanische Finanzinstitute haben sich in den vergangenen Jahren grossflächig vom Schweizer Markt zurückgezogen.

Bucher will auch hier nach vorne blicken und betont, bereits ganz Diplomat mit Blick auf Japan, “dass im Zusammenhang mit der Attraktivität des schweizerischen Finanzplatzes gerade in den letzten Monaten vermehrt die Rede ist von sicheren regulatorischen Rahmenbedingungen, von Stabilität”. Er freue sich darüber, “wenn diese Begriffe auch bei japanischen Finanzmarktakteuren vermehrt ins Bewusstsein treten und damit Geschäftskontakte erleichtern”.

Eva Herrmann, swissinfo.ch

Der Jurist Urs Bucher, Jahrgang 1962, ist seit 1990 im Dienste des Aussenministeriums.

Von 1996 bis 2001 arbeitete er an der Schweizer Mission in Brüssel, danach war er im Integrationsbüro für die politische Koordination zuständig.

2005 übernahm er die Leitung des Integrationsbüros.

Diesen Sommer wechselt er als Schweizer Botschafter nach Tokio, Japan.

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