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Keystone

Das Buch "die Nati" erzählt die Geschichte der Schweizer Fussball-Nationalmannschaft von den Anfängen bis zur Gegenwart.

Die Fussballer kicken darin nicht im leeren Raum. “Die Nati” stellt die jeweiligen Taten der Schweizer Fussballer in einen historisch-kulturellen Zusammenhang.

Der Ausdruck “Nati” (auszusprechen mit kurzem A und scharfem Z), soll sich in den 60er-Jahren in der Deutschschweiz eingebürgert haben und ist die Kurzform für Nationalmannschaft. Das Buch über die Geschichte der Schweizer Fussball-Nationalmannschaft erscheint in einem deutschen Verlag.

“Der Verlag Werkstatt aus Göttingen ist ein Verlag, der sich unter anderem auf Geschichten von Sportvereinen spezialisiert hat, die in einem historischen, sozialen und politischen Kontext geschrieben werden müssen”, sagte der Herausgeber von “die Nati”, Beat Jung, gegenüber swissinfo.

Genau diese Vorgaben des Verlags machen die Geschichte der Schweizer Fussballnati lesenswert.

“Das Buch ist ein unabhängiges Projekt, das auch niemandem verpflichtet ist”, sagt Jung. Trotzdem hatten die Autoren ungehinderten Zugang zu den Archiven des Schweizerischen Fussballverbandes (SFV). Daneben wurden mit über 60 Spielern, Trainern und Beobachtern der Schweizer Fussballszene Gespräche geführt.

Starthilfe aus England

Den Fussball brachten britische Studenten auf den Kontinent und so auch in die Schweiz. Leute also, die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu den Privilegierten gehörten, die über Freizeit verfügten und diese mit Sport füllten.

Fussball war damals auch in der Schweiz stark vom Englischen geprägt. Noch heute erinnern Clubs wie die Berner Young Boys, die Basler Old Boys, die Zürcher Grasshoppers oder die Blue Stars aus St. Gallen an diese Zeit. Auch wurden der Eckball und der Elfmeter in der Schweiz nie heimisch. Hier wird von Corner, Penalty oder Foul gesprochen.

Der erste Schweizer Fussballverein wurde 1879 in St. Gallen gegründet von jungen Kaufleuten, die am Institut Rosenberg in Rorschach studiert hatten. Ihr Captain hiess C.C. Bryan, ein Engländer.

Fussball Drehscheibe

Zu den Anfangszeiten war die Schweiz ein wesentlicher Entwicklungshelfer in Sachen Fussball. Von hier aus verbreitete sich das Spiel Richtung Südeuropa, aber auch nach Deutschland. Meist durch Absolventen schweizerischer Eliteschulen.

Der Fussball wurde gleichzeitig auch in der französischsprachigen Schweiz populär und strahlte nach Frankreich aus. Servette Genf wurde 1890 gegründet. Fortan führten die Auffassungen über das Spielsystem der Nationalmannschaft nicht selten zu einem Fussball-Röschtigraben.

Das erste Ländespiel der Schweizer Fussballnati ging am 12. Februar 1905 gegen Frankreich 0:1 verloren. Die ehrenvollen Niederlagen, von denen im Buch viel die Rede ist, begannen früh.

Neutralität

Das Buch “die Nati” zeigt überraschende Parallelen zur gesellschaftspolitischen Wirklichkeit auf. Als die Schweiz an der WM 1938 mit der vom Wiener Coach Karl Rappan (Mitglied der NSDAP) erfundenen Defensivtaktik – dem Schweizer Riegel – Grossdeutschland besiegte, wurde das Spielsystem flugs Symbol für die wehrhafte Schweiz.

Aus dem Riegel wurde der Igel. Die Nati gab das Mittelfeld preis, das Land wollte das Mittelland Hitlerdeutschland überlassen und aus der Defensive, aus dem so genannten Réduit in den Alpen, angreifen.

Die Schweiz verstand unter gelebter Neutralität auch während des Kriegs, zu Länderspielen gegen das Deutsche Reich oder gegen Vichy-Frankreich anzutreten. Sie war es auch, die 1950 als erste ein Länderspiel gegen das besiegte Deutschland austrug und dem Land den Weg aus der Isolation ebnete.

Persönliches Erinnern

Irgendwann beginnt für Leserinnen und Leser die Zeit, in der die persönlichen Erinnerungen einsetzen. Beim “Sans Papier” Génia Walaschek, der zu Beginn als Staatenloser in der Nati spielen durfte. Der Genfer aus Russland ist der einzige Schweizer Natispieler, dem ein Film (Walascheks Traum) gewidmet ist. Auch Paul Klees Bild “Alpha bet I” hat Walaschek zum Thema.

Dann die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg. Das denkwürdige 5:7 gegen Österreich 1954 im WM-Viertelfinal in der Lausanner Hitze. Die Ära der ehrenvollen Niederlagen, als die Zuschauerzahlen in der Schweiz zurückgingen, und die Nati auch international nicht mehr einen würdigen Gegner abgab. Dafür unter den Stichworten “Sheffield” und der “Nacht von Oslo” über zwei vermeintliche Eskapaden des heutigen Coaches Köbi Kuhn diskutierte.

Es folgte die Auferstehung in den 90er-Jahren, nach einer mustergültigen Jugend- und Nachwuchsförderung unter Köbi Kuhn. Das Transparent “Stop it Chirac” gegen die französischen Atombombenversuche. Und jetzt, die multikulturelle Truppe mit Spielern, die fast alle im Ausland ihr Geld verdienen, und – so steht es geschrieben – die heutige Schweiz verkörpern.

swissinfo, Urs Maurer

1879 wurde der erste Schweizer Fussballverein, der FC St. Gallen, gegründet.

1895 folgte die “Schweizerische Football-Association”. Gründungsort: Bahnhofbuffet Olten.

In der Verbandsleitung waren vier von fünf Mitglieder britische Staatsangehörige.

1913 änderte der Verband den Namen in “Schweizerischer Fussballverband” (SFV).

In der Schweizer Nati spielten über 700 Spieler. Davon traten 101 Akteure über 40 Mal im Schweizer Dress an.

31 Trainer coachten die Schweizer Nati.

Die Schweiz trug bis heute insgesamt 661 Länderspiele gegen 70 Länder aus (darunter auch Saarland oder DDR).

207 Siegen stehen 310 Niederlagen gegenüber. 144 Mal gab es ein Unentschieden.

Rekordnationalspieler ist Heinz Hermann mit 117 Einsätzen. Es folgen Alain Geiger (112) und Stéphane Chapuisat (103).

Das Buch “die Nati” – die Geschichte der Schweizer Fussball-Nationalmannschaft – erscheint im Verlag “die Werkstatt”, Göttingen (D).
Herausgeber: Beat Jung. Mit Beiträgen von Christian Koller, Fabian Brändle, Jürg Ackermann, Thomas Knellwolf.
Im Buch auch die Geschichte der Frauen-Fussballelf (Marianne Meier), die Landesauswahl der Arbeiterfussballer und die Geschichte der jüdischen Fussballauswahl von Makkabi Schweiz.

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