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Einstein als Bundesbeamter

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Vor hundert Jahren trat Albert Einstein in den Dienst des Amts für Geistiges Eigentum ein - eine der glücklichsten Zeiten seines Lebens, wie er später schrieb.

Am 23. Juni 1902 trat Albert Einstein seine Stelle an der Genfergasse in Bern an. Es war, wie er später schrieb, “eine Art Lebensrettung, ohne die ich wohl nicht gestorben, aber geistig verkümmert wäre”.

“Ingenieur II. Klasse”

Beworben hatte sich Einstein um die im Bundesblatt vom 11. Dezember 1901 ausgeschriebene Stelle eines “Ingenieurs II. Klasse” mit einem nüchternen, sich auf äussere Fakten beschränkenden Schreiben.

Einstein war, nach einer privaten Lehrtätigkeit in Schaffhausen, im Frühjahr 1902 nach Bern gekommen und überbrückte die Zeit bis zum Stellenantritt mit der Erteilung von Nachhilfestunden an Studenten – eine Nebentätigkeit, welcher er auch in der Zeit als Beamter weiterhin nachging.

Gewählt von der gesamten Regierung

Durch Beschluss des Gesamtbundesrats vom 16. Juni 1902 – selbst die Anstellung eines subalternen Bundesbeamten fiel damals noch in die Kompetenz der Landesregierung – wurde er mit einem Jahresgehalt von 3500 Franken provisorisch und in Abweichung von der Stellen-Ausschreibung zum “Experten III. Klasse” gewählt.

Einstein war seiner Ausbildung entsprechend vornehmlich mit der Prüfung elektrotechnischer Erfindungen betraut. Bis auf eine Patentexpertise, die zu den Gerichtsakten genommen wurde, sind wahrscheinlich aber keine Gutachten Einsteins dem Reisswolf entronnen.

Hochzeit dank Lohn

Die 48-Stunden-Woche empfand er, nachdem er richtig eingearbeitet war, als erträglich. Die Entlöhnung war ordentlich, sie entsprach gar etwa dem doppelten Betrag, mit dem Einstein als Assistent an der Universität hätte rechnen dürfen.

“Hab ich Dir auch schon gesagt, was für reiche Leut wir in Bern sein werden?”, schrieb er, auf die Anstellung spekulierend, bereits am 28. Dezember 1901 an seine spätere Frau Mileva Marić. In der Tat war Einstein endlich seiner materiellen Dauersorgen enthoben, und die häuslichen Verhältnisse gestatteten ihm 1903 Eheschluss und Familiengründung.

Der strenge Direktor

Das Verhältnis zum etwas grobschlächtigen Direktor Haller (“strenger als mein Vater”) war ungetrübt, obwohl dieser die anfänglichen Mühen Einsteins im Lesen der technischen Zeichnungen bemängelte und deswegen die Zeit der provisorischen Anstellung auf über zwei Jahre erstreckte.

Einstein aber lernte schnell und verfügte dank seiner überragenden Auffassungsgabe bald über geistige Freiräume, in denen er sich, entweder abends in seiner verrauchten Wohnung oder heimlich (und mit schlechtem Gewissen) am Arbeitsplatz, seinen physikalischen Interessen zuwandte.

“Geschätzter Experte”

Immerhin, nicht zuletzt wegen seines neu erworbenen Doktortitels wurde Einstein nach knapp vier Jahren zum “Experten II. Klasse” befördert, was mit einer Gehaltserhöhung auf 4500 Franken verbunden war.

Die Beförderung am Patentamt war wiederum dem Direktor Haller zu verdanken, der Einstein in seinem Beförderungsantrag an den Bundesrat zu den “geschätztesten Experten des Amtes” zählte.

Verkannt als Forscher und Lehrer

Im annus mirabilis 1905 veröffentlichte Einstein vier physikalische Aufsätze zur speziellen Relativitätstheorie, von denen jeder einzelne für sich ihm einen Platz in der Wissenschafts-Geschichte gesichert hätte.

Bis auf seine engsten Berufskollegen scheint aber am Patentamt selber kaum jemand realisiert zu haben, dass in einer der Berner Amtsstuben Physikgeschichte geschrieben wurde.

Am 6. Juli 1909 ersuchte Einstein den Vorsteher des Justiz- und Polizeidepartements um Entlassung aus dem Bundesdienst auf den 15. Oktober 1909 mit der Begründung, dass der Unterzeichnete vom Regierungsrat des Kantons Zürich zum Professor der theoretischen Physik an die Zürcher Hochschule berufen worden sei und er diesen Ruf angenommen habe.

Praktisch-intuitiver Blick geschärft

Verleitete ihn die manchmal etwas eintönige, aber Disziplin erfordernde Arbeit zum Ausspruch von den “Patentierknechten”, die täglich acht Stunden Arbeit redlich “abzuhocken” hätten, so hat doch Einstein die Tätigkeit des Patentexperten nie gering geschätzt.

Tatsächlich erwarb sich der junge Forscher in jenen Jahren am Berner Patentamt den wissenschaftlichen Instinkt und den praktisch-intuitiven Blick für das Wesentliche einer wissenschaftlichen Lösungshypothese.

Die Tatsache, dass sich auch ein Geistesriese wie Einstein diesen Blick in einem arbeitsamen Lernprozess erst aneignen musste, mag der Nachwelt ebenso Trost wie Ermunterung sein. Das Eidgenössische Amt für Geistiges Eigentum ist als Stätte dieses von Albert Einstein durchlebten Lernprozesses in die Wissenschafts-Geschichte eingegangen.

Gregor Wild

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