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Europäischer Grosshandel für dreckige Luft

Durch den Handel mit CO2-Zertifikaten soll dessen Ausstoss eingedämmt werden. Keystone Archive

Die Europäische Union (EU) hat seit dem 1. Januar ein Handels-System für das Treibhausgas CO2.

An diesem marktwirtschaftlichen Umweltinstrument könnte sich auch die Schweiz beteiligen – falls sie eine CO2-Abgabe einführt.

In den Auftakt zur Weltpremiere mischt sich ein kleiner Misston: Zwar richtet die EU am 1. Januar das “erste internationale Emissionshandels-System der Welt” für das Treibhausgas Kohlendioxid (CO2) ein, wie der EU-Umweltkommissar Stavros Dimas an der Klimakonferenz in Buenos Aires Mitte Dezember stolz angekündigt hatte.

Aber mindestens vier der 25 EU-Länder sind nicht am Start, darunter peinlicherweise die Heimat des griechischen Umweltkommissars. Sie hatten es versäumt, rechtzeitig taugliche Pläne für die Zuteilung der CO2-Emissionen auf die heimische Industrie einzureichen.

Neuland im Klimaschutz

Ab Neujahr betritt die EU dennoch Neuland im Klimaschutz: Verschmutzte Luft wird ein Grosshandelsgut.

Es ist nur eine Frage der Zeit, bis das System die insgesamt 12’000 Industrieanlagen und Kraftwerke erfasst, die zusammen rund die Hälfte der EU-weiten CO2-Emissionen in die Luft blasen.

Jede dieser Anlagen erhält gratis CO2-Zertifikate zugeteilt. Übersteigt ihr CO2-Ausstoss die darin festgelegte Menge, müssen die Besitzer Zertifikate zukaufen. Unterschreiten sie den CO2-Austoss, können sie nicht benötigte Zertifikate verkaufen.

Theoretisch ist das System viel versprechend: Bis zu sieben Börsen, darunter die Leipziger Energiebörse EEX, wollen in den Handel einsteigen. Der Börsenpreis für die Tonne CO2, im Vorhandel gegenwärtig bei knapp 9 Euro, soll Investitionen in den Klimaschutz für Firmen berechenbar machen.

Zertifikate werden zu grosszügig verteilt

Die EU ihrerseits kann den CO2-Austoss der Grossindustrie über die Zertifikatsmenge steuern: In der Pionierphase 2005 bis Ende 2007 erhalten die Firmen bis zu 5 Prozent weniger CO2 zugeteilt, als sie bisher ausstiessen.

2008 bis 2012, in der entscheidenden Phase für Kyoto, werden es bis zu 10 Prozent weniger sein.

Die Krux liegt darin, dass die EU-Mitgliedsländer dazu neigen, die heimische Industrie zu grosszügig mit Zertifikaten auszustatten. Sogar der Musterknabe Deutschland leistete sich einen peinlichen Patzer: Weil einige Grosskonzerne von Ausnahmen profitieren, müssen nun wohl die Anteile der übrigen Wirtschaft nachträglich gekürzt werden.

Die Schweiz zeigt Interesse

Immerhin zeigen die Empörung darüber sowie die hartnäckigen Konflikte zwischen der EU-Kommission und den Mitgliedstaaten, dass das System ernst genommen wird.

Nicht-EU-Länder wie Japan und Norwegen zeigen bereits Interesse an einem Anschluss, und prinzipiell wäre auch die Schweiz willkommen.

Sie müsste ihre Tauglichkeit für den CO2-Handel allerdings beweisen, wie die Sprecherin von Umweltkommissar Dimas, Barbara Helfferich, erklärt: “Die Schweiz benötigt ein eigenes Handelssystem mit Zielvorgaben und einem Allokationsplan, den die EU genehmigen müsste.”

Dass die Schweiz grundsätzlich interessiert sei, bestätigt Thomas Stadler vom Bundesamt für Umwelt, Wald und Landschaft (Buwal). “Ein eigenes Handelssystem ist geplant, funktioniert aber nur, falls sich der Bundesrat für eine CO2-Abgabe entscheidet”, erklärt er.

Bundesrat wird entscheiden

Handel treiben könnten jene 300 Firmen, die sich freiwillig zu einer CO2-Reduktion verpflichtet haben und als Gegenleistung von einer allfälligen CO2-Abgabe befreit wären. “Ein Handelssystem wäre eine Art Rückversicherung für diese Firmen”, sagt Stadler.

Sollten sie ihre Ziele nicht ganz erreichen, könnten sie Zertifikate kaufen anstatt die CO2-Abgabe nachzuzahlen.

Entscheidet sich der Bundesrat jedoch gegen eine CO2-Abgabe, dann fehlen die Eckwerte für ein Handelssystem. Und es gibt auch keinen finanziellen Anreiz für jene Firmen, die ihren CO2-Ausstoss freiwillig reduzieren.

Für die Geschäftsführerin der Schweizerischen Vereinigung für ökologisch bewusste Unternehmensführung (ÖBU), Gabi Hildesheimer, wäre dies ein kontraproduktives Signal: “Es ist volkswirtschaftlich schädlich, auf halbem Weg die Spielregeln zu ändern.”

swissinfo, Simon Thönen, Brüssel

Die Schweizer Regierung will den CO2-Ausstoss der Schweiz durch neue Abgaben senken.

Sie hat im Oktober vier Varianten in die Vernehmlassung (Konsultations-Verfahren) geschickt, wovon drei eine CO2-Abgabe enthalten.

Variante 1: Treibstoffe ab 2006 mit 15 Rp., ab 2008 mit 30 Rp. pro Liter belasten. Brennstoff (Heizöl): 9 Rp. pro Liter. Dafür erhält jeder Bürger 192 Fr. Prämienabschlag bei Krankenkassen. Einnahmenausfall von 450 Mio. Fr. beim Bund.

Variante 2: Teilzweckbindung. Treibstoff: nur 15 Rp. Brennstoffe wie Variante 1. Prämienabschlag: 122 Fr., Einnahmenausfall von 220 Mio. Fr. Bund muss Emissionsrechte im Ausland zukaufen.

Variante 3: Abgabe mit Klimarappen. Treibstoffe: freiwilliger Klimarappen pro Liter. Brennstoffe wie Variante 1. Verwendung der Einnahmen für Biotreibstoffe.

Variante 4: Treibstoffe ein Klimarappen von 1,6 Rp. pro Liter. Brennstoffe: Keine Abgabe. Verwendung der Einnahmen wie Variante 3.

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