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Der strenge Blick auf die Phonak-Affäre

Serge Demierre als sportlicher Leiter des PostSwiss Teams an der Tour de Romandie 2001. Keystone

Serge Demierre, ehemaliger Schweizer Radrennfahrer und Leiter zweier Schweizer Radsportgruppen, geht mit dem Team Phonak hart ins Gericht.

Die Verantwortlichen der von der ProTour-Serie ausgeschlossenen Schweizer Rad-Equipe hätten ihre Verantwortung nicht wahrgenommen, so der Ex-Profi.

Demierre, der heute in Genf ein Radsport-Geschäft betreibt, fuhr 14 Jahre erfolgreich im Peleton der Radrennfahrer mit. Danach war er sportlicher Leiter zweier Schweizer Radteams, ab 1992 bei Helvetia und ab 2000 beim PostSwiss Team. Beides Mannschaften, die mangels Sponsorgelder eingegangen sind.

Zwar schmerzt es ihn, wenn nun auch Phonak von der Bildfläche zu verschwinden droht. Dennoch findet Demierre die Sanktionen des internationalen Radsport-Verbandes (UCI) in Ordnung.

Hätte nämlich das Team von Hörgeräte-Hersteller Andy Rihs seine Verantwortung wahrgenommen, würde Phonak unter den 20 Teams figurieren, die 2005 bei der ProTour, der neuen Rennserie, dabei sind, so Demierre’s These.

swissinfo: Serge Demierre, ist der von der UCI gegen Phonak verhängte Ausschluss von der ProTour nicht ein harter Schlag für den gesamten Schweizer Radsport?

Serge Demierre: Zweifellos. Ein harter Schlag für den Radsport und dessen Image. Ich verhehle nicht, dass ich sehr enttäuscht war, als ich die Nachricht vernahm.

Es ist aber unmöglich, den Kampf gegen Doping zu führen, ohne schmerzhafte Entscheide zu fällen. Heute hat es unglücklicherweise eine Schweizer Equipe getroffen. Morgen ist vielleicht ein belgisches oder französisches Team an der Reihe, denn die Phonak-Fahrer sind nicht die einzigen, die mit dem Feuer spielen.

Der UCI-Entscheid bedeutet aber nicht, dass der gesamte Schweizer Radsport am Ende ist. Phonak muss den Laden nicht notwendigerweise dichtmachen. In vier Jahren – für diese Periode gelten die ProTour-Lizenzen – ist ein Neustart mit einer frisch formierten und starken Equipe möglich.

swissinfo: Ist der Ausschluss des ganzen Phonak-Teams von der ProTour nicht zu hart?

S.D.: Nach der Affäre Festina, welche 1997 die Tour de France und den gesamten Radsport in seinen Grundfesten erschütterte, gingen die UCI-Funktionäre an die Arbeit. Seither haben sie Barrieren eingebaut, um den Dopingmissbrauch immer wirksamer bekämpfen zu können.

Wenn ein Team diese Schranken umgeht, wird es bestraft, und das zu Recht. Ein Busfahrer, der ein Rotlicht überfährt, muss auch damit rechnen, dass er den Führerausweis abgeben muss.

Phonak hätte schon mehrmals gewarnt sein müssen. Beispielsweise beim Dauphiné libéré im Frühling, wo sämtliche Fahrer des Teams verdächtige Hämatokritwerte aufwiesen. Aber niemand wollte die Probleme sehen.

Anstatt sofort die sich aufdrängenden Sanktionen auszusprechen, zogen es die Team-Verantwortlichen vor, das Problem herunterzuspielen. Erst danach folgte klammheimlich die Entlassung eines Fahrers. Für solches Verhalten zahlt Phonak heute einen hohen Preis.

swissinfo: Hat Phonak im Profi-Radsport überhaupt noch eine Perspektive, ohne das Ticket für die ProTour?

S.D.: Schwer zu sagen. Ich weiss nicht, wie das Team reagieren wird. Phonak könnte aber ausserhalb der ProTour schon überleben. Sie haben zumindest theoretisch die Chance, mit Wildcards zu einigen Rennen eingeladen zu werden. Das ist aber wenig wahrscheinlich.

Eines ist sicher: Es braucht jetzt eine andere, neue Schweizer Equipe, welche jungen hoffnungsvollen Radrennfahrern eine Perspektive bietet und ihnen den Einstieg in die Profiwelt ermöglichen kann. Ein Team, das den Espoirs einen gesunden Rahmen vorgibt, damit sie die anvisierten Ziele auch erreichen können.

swissinfo: Es dürfte aber schwierig sein, das nötige Geld dafür aufzutreiben. Das haben Sie ja selber erleben müssen, als Sie 2002 die nötigen Mittel nicht mehr auftreiben konnten, um eine neue Equipe formieren zu können.

S.D.: Das war mir nicht mehr gelungen, weil der Ruf des Radsports angekratzt war: Die Sponsoren wollten nicht, dass ihr Name mit Betrügern in Verbindung gebracht wird.

Der Wille der UCI, Doping mit wirksamen Methoden zu bekämpfen und Vergehen zu sanktionieren, wie jetzt im Fall Phonak geschehen, macht den Radsport eines Tages hoffentlich wieder sauberer und so glaubwürdiger.

Wenn die Fahrer die Steigungen in den Pässen wieder mit normaler Geschwindigkeit erklimmen, wäre die neue Basis für einen schönen und packenden Sport gelegt. Dadurch könnte bei Fahrern, Teamverantwortlichen und Sponsoren wieder Vertrauen geschaffen werden und Hoffnungen entstehen.

Gerade die Sponsoren würden so ermutigt, wieder in den Radsport zu investieren. Denn ein solches Sponsoring ist relativ billig, verglichen mit den möglichen Erträgen.

Interview swissinfo: Mathias Froidevaux
(Übertragung aus dem Französischen: Renat Künzi)

Der 48-jährige Genfer Serge Demierre war von 1977 bis 1991 Radrennprofi. Er fuhr für die Teams Bianchi-Campagnolo, Cilo und Helvetia.

Er war unter anderem 1976 Schweizer Meister der Amateure, Sieger des Weltcup-Rennens Tropheo Baracchi 1981 (zusammen mit Daniel Gisiger) und Schweizermeister bei den Profis 1983.

Demierre gewann mehrere Etappen der Tour de Suisse und eine Etappe der Tour de France (Roubaix-Le Havre 1983.

Der Genfer war auch sportlicher Leiter von zwei Schweizer Teams: Helvetia 1992 und Post Swiss Team 2000-2001.

2002 versuchte Demierre ein neues “Swiss Team 2002” aufzustellen. Sein Versuch scheiterte aber mangels finanzieller Mittel.

Heute betreibt er in Genf ein Radsport-Geschäft.

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