Neuer Anlauf für ein Schweizer Energiekonzept
Mit der anziehenden Konjunktur steigt auch der Stromverbrauch in der Schweiz. Das Bundesamt für Energie hat Energie-Perspektiven erarbeitet, um der sich abzeichnenden Versorgungslücke zu begegnen.
Die Schweizer Energiepolitik im Spagat zwischen den Anforderungen des Klimaschutzes und der Versorgung der Volkswirtschaft mit sicherer und preiswerter Energie.
Seit etwas mehr als dreissig Jahren unternehmen die Schweizer Behörden Anstrengungen, um den Energieverbrauch des Landes in geordnete Bahnen zu lenken.
Jahrzehnte der Hochkonjunktur hatten die Verbrauchskurven unkontrolliert in die Höhe getrieben. Daher wurde 1973 die Kommission für eine Gesamtenergie-Konzeption eingesetzt, mit dem Auftrag, verschiedene Szenarien zu erarbeiten, die als Leitplanke für politische Weichenstellungen dienen könnten.
Die Kommission unter der Leitung von «Energiepapst» Michael Kohn legte 1978 ihren Schlussbericht vor. Einige Empfehlungen konnten in den 1991 von Volk und Ständen angenommenen Energieartikel in der Bundesverfassung eingebracht werden.
Dieser ermöglicht dem Bund in einem gewissen Rahmen, das Energiesparen sowie die Nutzung umweltfreundlicher Energieträger zu fördern.
Energie-Verbrauch steigt weiter
Trotz Verfassungsartikel ist jedoch der Energiekonsum in der Schweiz seit 1980 stetig weiter gestiegen, zwar nicht mehr so rasant wie zwischen 1950 und 1980, aber immer noch markant.
Rund 40% mehr Energie als noch 25 Jahre zuvor verbrauchte die Schweizer Wohnbevölkerung im Jahr 2005 (insgesamt 890’000 TJ. Ein Terajoule = 280’000 kWh). Zwar nahm der Heizölverbrauch dank effizienterer Wärmedämmung der Bauten zwischen 1980 und 2005 von rund 45 auf 25% des gesamten Endenergiekonsums stetig ab.
Dieser Erfolg wurde jedoch zunichte gemacht durch die Zunahme des Treibstoffverbrauchs, der jetzt 31 gegenüber 25% des gesamten Energiekuchens für sich beansprucht.
Stromhunger ungebrochen
Absolut und relativ zugenommen hat zwischen 1980 und 2005 auch der Konsum elektrischer Energie, und zwar von knapp 19 auf 23% des Gesamtenergie-Verbrauches. Strom ist ein wichtiger Produktionsfaktor für Industrie und Dienstleistungsgewerbe, nahezu 70% (inkl. Schienenverkehr) fliessen in diese Bereiche der Volkswirtschaft.
Die Hoffnungen, Wirtschaftswachstum und Stromverbrauch lasse sich entkoppeln, haben sich nicht erfüllt. Tatsächlich hat sich die Nachfrage nach elektrischem Strom in der Vergangenheit jeweils bloss in Rezessionszeiten abgeschwächt, um dann bei Konjunkturerholung gleich wieder anzuziehen.
Atomfrage blockiert Energiediskussion
Dass die Schweiz früher oder später insbesondere bei der Stromversorgung vor einem Engpass stehen könnte, hat sich nicht erst heute abgezeichnet. Doch verhinderte der Streit um die Kernkraftnutzung in den vergangenen zwanzig Jahren die Formulierung einer kohärenten Energiepolitik.
Auch das zwischen 1990 und 2000 in der Verfassung festgeschriebene Moratorium für den Bau neuer KKW verstrich, ohne dass konkrete und realisierbare Vorschläge erarbeitet wurden, wie die Stromversorgung der Schweiz mittel- und langfristig sicher gestellt werden könnte.
Neuer Anlauf
Nun hat das Bundesamt für Energie (BFE) dieses Frühjahr vier Szenarien seiner im Auftrag der Landesregierung entwickelten Energie-Perspektiven 2035/2050 vorgestellt.
Dies vor dem Hintergrund, dass die Zeiten des billigen Erdöls auch in der Schweiz vorüber sind, die inländische Stromproduktion bereits an ihre Kapazitätsgrenze stösst, dass ab dem Jahr 2020 die KKW Mühleberg sowie Beznau I und II voraussichtlich vom Netz gehen werden und Stromlieferungsverträge mit Frankreich auszulaufen beginnen.
Zusätzlich eingeengt wird der energiepolitische Spielraum durch die eingegangene Verpflichtung, den fürs Weltklima schädlichen Ausstoss von Kohlendioxid zu begrenzen.
Bei alledem wird der Bedarf vermutlich nicht stagnieren: Je nach Szenario rechnet das BFE bis 2035 mit einer Zunahme des Stromverbrauchs um bis zu 23%.
Lediglich Szenario IV (2000-Watt-Gesellschaft) verspricht mit massiven Investitionen in effizientere Energienutzung und neue Technologien eine Verringerung des Strombedarfs um knapp 8%. Dies ist bei weitem nicht genug, um den Ausfall der dann ausser Dienst gestellten KKW zu kompensieren.
Fokus auf Energieeffizienz
Dem sich ab 2020 abzeichnenden Engpass will das Bundesamt für Energie mit einer dreiteiligen Strategie begegnen: Höchste Priorität hat die Verbesserung der Energieeffizienz auf allen Ebenen.
An zweiter Stelle steht der gezielte und forcierte Ausbau der Wasserkraft. Die verbleibende Lücke soll durch fossil-thermische Anlagen gestopft werden, wobei die zusätzlichen CO2-Emissionen im Ausland zu kompensieren wären.
Mit Strom aus neuen KKW mag das BFE in einer ersten Runde nicht rechnen, weil diese wegen der langen Bewilligungs-Verfahren voraussichtlich erst 2030/35 ans Netz gehen könnten.
swissinfo, Ulrich Goetz
Auch im Jahr 2005 bestritten die Schweizer Kernkraftwerke mit 38% den grössten Anteil an der inländischen Stromproduktion. Dies trotz langer Stillstandzeit des KKW Leibstadt.
30,7% der Landeserzeugung erfolgte in Speicherkraftwerken, 25,9% in Flusskraftwerken. Konventionell thermische Anlagen lieferten 5,4% der inländischen Stromproduktion.
Gegenüber dem Vorjahr ist die Landeserzeugung 2005 um 8,8% gesunken (Kernkraft minus 13,4%, Wasserkraft minus 6,7%).
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