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Raiffeisen-Gruppe ist anders als die anderen

Bank Raiffeisen in St. Gallen. Die Gruppe hat schweizweit 2007 ein Spitzenergebnis erzielt. Keystone

Von der Verunsicherung der Bankkunden und Anleger hat kaum eine Bank so profitiert wie die Schweizer Raiffeisen-Gruppe.

Die dezentral aufgebauten Raiffeisen-Genossenschaften sind ähnlich wie die Kantonalbanken vor allem im inländischen Zinsgeschäft (Hypokredit-Vergabe) engagiert. Sie wuchsen rasant und gewannen Marktanteile.

Die Gruppe figuriert mit einem Hypotheken-Portfolio von knapp 95 Mrd. Franken (+7%) als Nr. 2 im Schweizer Hypo-Geschäft: Hinter der UBS, aber noch vor Credit Suisse. Beträgt das Marktwachstum im Hypo-Bereich bei Raiffeisen also +7%, kommt der Branchendurchschnitt mit +3,4% nur auf die Hälfte. Auch der Marktanteil von Raiffeisen wuchs, er liegt inzwischen bei über 14%.

Mit ihrem guten Geschäftsjahr 2007 schwimmt die Raiffeisen-Gruppe in keiner Weise gegen den Strom: “Alle Banken, die auf das Inlandgeschäft in der Schweiz fokussiert sind, haben hervorragende Ergebnisse vorgelegt”, sagt Beat Bernet vom Schweizerischen Institut für Banken und Finanzen der Uni St. Gallen: “Da schwimmt die Raiffeisen-Gruppe völlig mit dem Strom. Dasselbe gilt für Kantonalbanken und fast alle Regionalbanken.”

Andere Kreditrisiken als die Investment- und Grossbanken

Was unterscheidet denn die Raiffeisen-Gruppe von jenen übrigen Banken, denen das Jahr 2007 derart übel zusetzte? Raiffeisen-Chef Pierin Vincenz betont vor allem die Unterschiede in der Immobilien-Finanzierung in der Schweiz und in Amerika, wo die Subprime-Krise 2007 ihren Anfang nahm. Auch betrage die durchschnittliche Kreditsumme pro Geschäft bei Raiffeisien nur rund 250’000 Franken.

Dagegen werden in den USA die Kredite von Brokern aggressiv der Kundschaft beinahe aufgedrängt. Die Summe wird dann in kleinere Nennwerte in Form von Schuldbriefen gestückelt und umgepackt in Form von Wertpapieren den Anlegern als Alternative zu Aktien oder Obligationen weiterverkauft.

“Spezielles Geschäftsmodell”

“Die Raiffeisen-Gruppe hat tatsächlich ein etwas spezielles Geschäftsmodell”, sagt Bernet gegenüber swissinfo. “Dieses ist sicher auch mitverantwortlich für den grossen Erfolg, den die Gruppe in den vergangenen Jahren gehabt hat.”

Seit ihrer Gründung ist die Gruppe genossenschaftlich ausgerichtet und besteht aus vielen hundert kleinen, unabhängigen Genossenschaften. “Sie ist also dezentral ausgerichtet.”

“Gleichzeitig gibt es aber in St. Gallen ein Raiffeisen-Zentralinstitut und eine Zentralbank, die in allen wesentlichen Bereichen wie Risikomanagement, Refinanzierung oder Rating ihre Genossenschaften sehr zentralistisch führt”, so Bernet.

So komme es, dass einerseits die Genossenschaften nahe am Markt, also direkt beim Kunden, operieren, während andererseits eine zentrale Stelle die Vorgaben von oben macht. “Dieses Modell mit zwei Elementen ist offensichtlich sehr erfolgreich.”

Risikomanagement und ländliche Gebiete

Das Subprime-Problem hatte, wie Raiffeisen-Chef Vincenz vor der Presse betonte, zur Folge, dass niemand mehr klar sehe, wo die Risiken liegen. Bei der Raiffeisen-Gruppe hingegen macht die Zentralstelle strenge Vorgaben, was das Risikomanagement betrifft.

Das beginne bei den Ratings und den Kundenkrediten, so Bernet, führe weiter zu den Vorgaben im Bereich der Bilanzstrukturen und der Frage, wieviel Risiko in die Bilanz hinein genommen werden darf, sagt der St. Galler Professor.

In der Regel werden die geringen Risiken der Genossenschaften zentral gemanagt und abgesichert.

Das Raiffeisen-Geschäftsmodell umfasst darüber hinaus auch nicht betriebswirtschaftliche Kriterien. “Sonst müsste man nämlich rund 300 bis 400 Geschäftsstellen schliessen”, wie Vincenz letzten Herbst vor den Medien vorrechnete.

Die jährlichen Versammlungen der Genossenschafter, die vielen Bankstellen in abgelegenen Tälern rechnen sich zwar nicht, garantieren aber Kundennähe. Allein 2007 stieg die Zahl der Genossenschafter um 73’000 auf 1,44 Millionen.

Traditionell stark auf dem Land verankert, sucht die Bankgruppe weitere Wachstumsregionen. Seit Jahren ist sie daran, über die Agglomerationen in die Städte einzudringen.

Schwergewicht Zinsgeschäft, weniger Anlage-Business

Schwergewichtig sei die Gruppe auf das Zinsgeschäft ausgerichtet, so Bernet (Zinsdifferenz zwischen angebotenem Zinssatz auf Kundengeld und verlangtem Zinssatz für Hypothekar-Ausleihungen).

“Sehr erfolgreich hat sie aber auch ihr Wertschriften- und Anlagengeschäft ausgebaut, in Zusammenarbeit zum Beispiel mit der Bank Vontobel.”

In vielen Ländern präsent, aber unabhängig

Gegründet wurde die Gruppe durch einen Herrn Friedrich Wilhelm Raiffeisen in Deutschland, der dieser Bankform auch seinen Namen gab. Heute gibt es Genossenschaften in mehreren Ländern. Landesspezifische Unterschiede bestünden in der Ausgestaltung der Organisation und der Unternehmenskultur, sagt Bernet.

“Grundsätzlich ist aber weiterhin der genossenschaftliche Gedanke das tragende Element der Raiffeisen-Philosophie. Die Kunden sind sozusagen die Mitbesitzer der Bank.”

Die einzelnen Landesorganisationen seien jedoch völlig unabhängig voneinander. Es gebe zwar informelle Kontakte, aber nicht im strategischen oder operativen Bereich.

swissinfo, Alexander Künzle

Raiffeisen Schweiz (Zahlen Ende 2007):

390 Banken, 1154 Bankstellen: Jede 3. Bankstelle in der Schweiz ist eine Raiffeisen-Bank.
3 Mio. Kunden: Fast jeder zweite Einwohner des Landes.
1,5 Mio. Mitglieder als Genossenschafter
123 Mrd. Franken Bilanzsumme: Nr. 3. im Schweizer Bankenmarkt
94 Mrd. Franken Kundengelder
19% Marktanteil bei Spareinlagen und Kassenobligationen
94 Mrd. Franken Hypotheken: Marktanteil von 14%.

Im rheinischen Heddesdorf greift 1862 der Bürgermeister Friedrich Wilhelm Raiffeisen zur Selbsthilfe.

Die Leute leiden wie vielerorts unter der Ausbeutung durch Wucher.

Raiffeisen sammelt das Geld der Dorfgemeinschaft in Spareinlagen und leiht es gegen Sicherheiten zu günstigen Bedingungen im Ort wieder aus – unter Verpflichtung auf genossenschaftliche Grundsätze.

In Bichelsee im Kanton Thurgau entsteht 1899 auf Initiative von Pfarrer Johann Traber die erste Raiffeisen-Kasse der Schweiz. 1902 gründen 10 Kassen einen Raiffeisen-Verband.

Dieser hat seit 1936 seinen Sitz in St. Gallen. In “Raiffeisen Schweiz” sind 390 selbständige Raiffeisenbanken mit ihren Geschäftsstellen zusammen geschlossen.

Der Zusammenschluss haftet gegenseitig und solidarisch. Dafür stehen in der Schweiz 7,5 Mrd. Franken eigene Mittel zur Verfügung. Seit der Gründung ist aber noch kein Genossenschafter zu Schaden gekommen.

Heute ist das Raiffeisen-System in über 100 Ländern mit rund 350 Mio. Genossenschaftern verankert.

Dadurch, dass die Kundengelder im Geschäftskreis verbleiben, tragen sie direkt zur Entwicklung der Region bei.

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