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Schweiz übernimmt strikte Gentech-Regeln der EU

Die Deklaration für Gentech-Lebensmittel wird drastisch verschärft. swissinfo.ch

Was in der EU erst nach jahrelangen heftigen Diskussionen zustande gekommen ist, soll nun in der Schweiz ohne viel Aufhebens übernommen werden.

Jedes Lebensmittel, das irgendwann im Herstellungsprozess mit Gentechnik in Kontakt kam, muss künftig deklariert werden.

Die Zeit, als die Schweiz im Bereich Gentechnologie Vorreiterin war, ist lange vorbei. Heute ist es die Europäische Union (EU), die den politischen und juristischen Rahmen setzt und sich dabei äusserst fortschrittlich zeigt.

Mit einer neuen Kennzeichnungsregel übernimmt die Schweiz nun einmal mehr Regeln, die zuvor von der EU ausgearbeitet wurden.

In einer kurzen Mitteilung vom Donnerstag markiert das Bundesamt für Gesundheit (BAG) denn auch reine Routine. Nichts deutet auf die Brisanz hin, die die Änderungen der Lebensmittelverordnung enthalten. Der Entwurf geht für zwei Monate in eine Anhörungsrunde.

Im Zentrum steht eine neue Kennzeichnungspflicht für Gentech-Produkte, die weit über die bestehenden Regelungen hinaus geht.

Deklarationspflicht für GVO-Ketchup

Bisher musste in der Schweiz ein Lebensmittel nur gekennzeichnet werden, wenn der verwendete gentechnisch veränderte Organismus (GVO) im Endprodukt nachgewiesen werden konnte (z.B. bei Tomaten, unverarbeiteten Sojabohnen oder Maiskörnern).

In Zukunft muss jedes Lebensmittel und jeder Bestandteil, der im Verlaufe des Herstellungsverfahrens mit einem GVO in Kontakt kam, auf der Verpackung als GVO gekennzeichnet werden, selbst wenn keine GVO-Spuren mehr nachweisbar sind (verarbeitetes Speiseöl oder Glukosesirup aus Maisstärke, Ketchup oder Vitamine, die auf Basis von GVO hergestellt wurden).

Diese Regelung hätte noch vor ein paar Jahren in der Schweiz keine Chance gehabt. Heute, im Sog der EU-Gesetzgebung, wird die Vorschrift unspektakulär in eine Verordnung gepackt, bei der weder Parlament noch Volk mitzureden haben.

Eine Vorschrift mit weitreichenden Konsequenzen

Die verschärfte Deklarationspflicht hat weitreichende Folgen für die gesamte Lebensmittel-Herstellung.

Weil die GVO im Endprodukt teilweise nicht mehr nachweisbar sind, muss künftig jedes Lebensmittel, Futtermittel und jeder Bestandteil über die gesamte Verarbeitungskette zurückverfolgt werden können, um zu dokumentieren, ob irgendwo im Herstellungsprozess GVO im Spiel waren.

Ausgenommen sind lediglich Produkte von Tieren, die mit GVO gefüttert worden sind: Fleisch, Eier und Milch unterliegen nicht der Deklarationspflicht. Schätzungen in der EU gehen dennoch davon aus, dass künftig gegen 50% aller Lebensmittel als GVO gekennzeichnet werden müssen.

Konsumenteninformation trotz höheren Kosten

In der EU war der Protest der Industrie gegen diese Regelung gewaltig, doch Ministerrat und EU-Parlament blieben hart. Die lückenlose Buchführung sei zweifellos anspruchsvoll, hiess es in Brüssel. Höhere Kosten dürften aber kein Grund sein, den Konsumenten diese Informationen vorzuenthalten.

Konsequenterweise will die Schweiz auch den Schwellenwert, ab dem GVO-Inhalt deklariert werden muss, an die EU anpassen. Er soll gemäss Verordnungsentwurf von bisher 1% GVO-Anteil auf den EU-Wert von 0,9% gesenkt werden.

Bis zu diesem Anteil kann beispielsweise Soja mit GVO verunreinigt sein, ohne dass es als GVO deklariert werden muss. Eine Reinheit von 0% sei bei den heutigen Produktions- und Transportwegen unrealistisch, ist man sich in Brüssel und Bern einig.

Die Wahlfreiheit ist beschränkt

Bei der Schweizerischen Arbeitsgruppe Gentechnologie (SAG) begrüsst man die anstehenden Änderungen. Mit der Anpassung an das fortschrittliche EU-Recht würden viele Forderungen der SAG endlich erfüllt, sagte SAG-Geschäftsführer Daniel Ammann gegenüber swissinfo.

In einigen zentralen Punkte bleibt die SAG aber kritisch. Nach wie vor sei bespielsweise der Schwellenwert für Verunreinigungen zu hoch.

Wenn der Konsument 0,9% GVO-Anteile akzeptieren müsse, obwohl er eigentlich GVO-freie Produkte kaufen wolle, dann sei die Wahlfreiheit deutlich eingeschränkt. Die SAG fordert deshalb einen Schwellenwert von Null Prozent.

Gegen einen solch tiefen Wert gibt es allerdings auch aus traditionellen Landwirtschaftskreisen grosse Bedenken.

Weil eine Verunreinigung durch Pollenflug oder später bei der Verarbeitung oder beim Transport schnell passieren kann, würden wohl nur noch wenige Ernten als garantiert GVO-frei durchgehen. Den wirtschaftlichen Verlust, eine Ernte wegen einer geringen Verunreinigung als GVO-haltig zu deklarieren, müssten dann die Bauern tragen.

Gentech-freie Schweiz

Bisher mussten solche Fragen in Europa erst theoretisch diskutiert werden, da in der EU erst wenig GVO angebaut wird und die Schweizer Landwirtschaft bis heute sogar gentech-frei produziert.

Die Volksinitiative “für Lebensmittel aus gentechnikfreier Landwirtschaft”, die vergangenen Herbst eingereicht worden ist, soll nun dafür sorgen, dass dies zumindest in den nächsten fünf Jahren auch so bleibt. In diesem Zeitraum sollen keine gentechnisch veränderten Pflanzen oder Tiere in der Schweizer Landwirtschaft verwendet werden.


swissinfo, Katrin Holenstein

In der Schweiz müssen in Zukunft alle Lebensmittel, die im Laufe des Herstellungsprozesses mit GVO in Kontakt kamen, gekennzeichnet werden. Dies gilt auch, wenn GVO im Endprodukt nicht mehr nachgewiesen werden kann.

Die Schweiz passt sich damit der strengen Gesetzgebung der EU an.

Die Folgen für die Lebensmittelproduktion sind beachtlich:

Weil das Deklarations-Kriterium nicht mehr die Nachweisbarkeit von GVO-Spuren im Endprodukt ist, sondern die Beteiligung von GVO bei der Herstellung, muss der gesamte Herstellungsprozess lückenlos dokumentiert werden.

Gentech-kritische Organisationen begrüssen die Übernahme des EU-Rechts.

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