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Freie Schulwahl für alle

Rund 200 Kinder übergeben vor dem Bundeshaus in Bern die Petition "für eine echte freie Schulwahl". Keystone

Der Verein "elternlobby schweiz" fordert, dass Eltern ihre Kinder dort zur Schule schicken können, wo sie möchten. Der Geldbeutel dürfe nicht entscheiden.

Das Argument, die freie Schulwahl führe zu besseren Schulen, wird allerdings von der OECD bezweifelt.

Mit einer farbenfrohen Übergabe hinterlegte der vor einem Jahr gegründete Verein “elternlobby schweiz” im Bundeshaus 40’646 Unterschriften. Gefordert wird damit die – wie die Präsidentin des Vereins, Pia Amacher, gegenüber swissinfo sagte – “Chancengleichheit bei der Schulausbildung der Kinder in der Schweiz”.

Gemäss Amacher verstösst die heutige Regelung der Schule in der Schweiz gegen die Menschenrechte. Mit der Petition lege man nun den Finger auf diesen Missstand.

In Artikel 26.3 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948 stehe nämlich: “In erster Linie haben die Eltern das Recht, die Art der ihren Kindern zuteil werdenden Bildung zu bestimmen.”

Auch in der Schweizer Bundesverfassung stehe, dass der Grundschulunterricht obligatorisch sei. Zudem stehe da, dass er an öffentlichen Schulen unentgeltlich sei.

Das sei in der Schweiz aber nicht so. Die Wahl der Schule in der Schweiz sei vom Geldbeutel abhängig, wenn jemand nicht die Volksschule besuchen wolle. So werde ein Zweiklassensystem gefördert. “Wir streben ein nordisches Schulsystem an, bei dem die Schulwahl allen möglich ist”, sagt elternlobby schweiz.

Finnland als Vorbild

Wenn die freie Schulwahl gefordert wird, dann heisst das im Klartext, dass der Staat diese gewährleisten und auch finanzieren solle. “Das käme erst noch billiger”, weist Pia Amacher den Vorwurf zurück, man wolle schlicht Geld locker machen für die Privatschulen und den Staat zusätzlich zur Kasse bitten.

Dass das Geforderte nicht einfach Utopie sei, beweise Finnland, sagt “elternlobby schweiz”. Dass das finnische System zudem erfolgreich sei, zeige die PISA-Bildungsstudie, wo Finnland einen Spitzenplatz belege.

Die Schulen in Finnland, aber auch in Schweden seien in den 13 Jahren, in denen das System der freien Schulwahl nun gelte, besser geworden, ebenso die Chancengleichheit.

In Finnland zahlt der Staat pro Jahr rund 2000 Euro pro Kind. Egal in welche Schule es geht. Die Schule selber darf von den Eltern kein Schulgeld erheben. “Damit erhalten alle Erziehungsberechtigten ein volles Wahlrecht zwischen sämtlichen Schulen. Dies unabhängig von ihren Vermögens- oder Wohnverhältnissen”, sagt Pia Amacher.

Schweizer Eltern geben die Kinder ab

Genau das funktioniere in der Schweiz nicht. “Hier geben die Eltern ihre Kinder dem Staat ab und ziehen sich aus der Verantwortung zurück.” Das sei hier deshalb so, weil schon ein Schulhauswechsel fast unüberbrückbare Hürden bedeute.

Private Schulen seien zwar oft gewünscht, für die meisten aber zu teuer. Der Schweiz drohe schon heute ein schulisches Zweiklassensystem. “Es nimmt schleichend zu”, sagt Amacher. Wenn es so weiter gehe und die Schulwahl weiterhin finanziell eingeschränkt sei, “dann drohen uns immer mehr angloamerikanische Verhältnisse”.

Das, so Amacher, werde noch verstärkt, indem vermögende Eltern mit ihren Kindern von “schlechten” Schulorten wegziehen in teurere Quartiere. Konkret: Die Schweizer verlassen oft die Quartiere mit einem hohen Ausländeranteil (elternlobby schweiz spricht nicht von Ausländern, sondern von “Neuschweizern”).

Generell ist der Verein davon überzeugt, dass durch die Freigabe des staatlichen Monopols im Schulwesen eine gesunde Konkurrenz entstehen würde, die sich positiv auf die Qualität der Bildung in der Schweiz auswirken dürfte.

Mehrheit will freie Schulwahl, wenn…

Laut Angaben des Bundesamtes für Statistik besuchten im Schuljahr 2001/02 gut 2,2% aller Primarschüler und 4,2% aller Schülerinnen und Schüler der Sekundarstufe eine private Schule, die nicht subventioniert wird. Der Anteil der Kinder, die eine staatlich subventionierte Privatschule besuchen, liegt noch tiefer.

Eine Studie der Arbeitsgemeinschaft Schweizerischer Privatschulen (ASP) kommt zum Schluss, dass 86% der Eltern mit den staatlichen Schulen ihrer Kinder zufrieden sind. Trotzdem wünscht eine klare Mehrheit von 72% der befragten Eltern eine freie Schulwahl, wenn der Staat die Finanzierung übernimmt.

OECD: Schule wird nicht besser

Gabriela Fuchs, Sprecherin der kantonalen Erziehungsdirektoren-Konferenz, steht den Forderungen der Petitionäre skeptisch gegenüber.

Von Chancengleichheit könne man höchstens in grösseren Städten oder Agglomerationen sprechen. Doch, so ihre Bedenken, wie sollte die freie Schulwahl zum Beispiel in den Berggebieten funktionieren?

Das wäre unmöglich, und deshalb habe man in der Schweiz das System, dass in keinem Kanton die Schule frei wählbar sei. Aus organisatorischen Gründen nehme die Gemeinde die Schulzuweisung vor.

Auch das Argument, die Schule werde qualitativ besser und kindgerechter, weist Fuchs von sich. “PISA beweist gar nichts”, sagt sie gegenüber swissinfo. Die Studie der OECD “Freie Schulwahl im internationalen Vergleich” sage sogar, dass diese Schulwahl zu keiner besseren Bildung führe und sogar die soziale Trennung fördere.

Und im Kanton Tessin sei genau eine solche Forderung nach Bildungs-Gutscheinen, welche die geforderte freie Schulwahl ermöglicht hätten, in einer Volksabstimmung abgelehnt worden.

swissinfo, Urs Maurer

Bildung ist in der Schweiz fest in den Händen der Kantone.
Im Jahr 2000 gab die Schweiz für Bildung 22,1 Mrd. Franken aus. Davon bezahlte der Bund lediglich 2,7 Mrd. Franken.

Die Schweiz gibt für Bildung 5,5% des Brutto-Inlandproduktes (BIP) aus.

Das ist etwas weniger als Frankreich und Österreich, aber mehr als Deutschland, USA und Italien. Am höchsten ist der Anteil in Schweden.

Bei der Bewilligung einer Privatschule verlangen die Kantone diese Bedingungen:

– die Schule muss die Stundenpläne und den Lehrplan des Kantons einhalten
– den Ausbildungsstand wie beim Kanton erfüllen
– diplomierte Lehrkräfte einstellen
– die Schule muss allen Kindern offen sein
– die Schule darf keinen Druck ausüben
– es müssen angemessene Räumlichkeiten und Infrastruktur vorhanden sein

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