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Führer durch den Sozialversicherungs-Dschungel

Das Handbuch soll den Gang aufs Amt erleichtern. Keystone

In der Schweiz leben 500'000 Menschen von der Sozialhilfe oder von einer Invalidenrente. Das Sozialversicherungs-System ist wie ein Dschungel.

Ein neues Handbuch fördert die Zusammenarbeit der verschiedenen Institutionen.

Die Zusammenarbeit der Sozialwerke soll verbessert werden. “Angesichts der steigenden Anzahl von Menschen, die von der Sozialhilfe abhängig sind, ist dies unumgänglich,” sagte Ruth Lüthi, Präsidentin der kantonalen Sozialdirektoren.

Lüthi präsentierte ein neues Handbuch zur interinstitutionellen Zusammenarbeit (IIZ).

Dieses Handbuch liefert den betroffenen Behörden Tipps und Hinweise, wie die Kooperation verbessert werden kann. “Wirtschaft und Sozialversicherungen sind nicht Gegensätze, sondern vielmehr zwei Instrumente, die das selbe Ziel verfolgen: Die Integration der Menschen in die Gesellschaft”, sagte Lüthi weiter.

Derzeit laufen in 18 Kantonen 20 IIZ-Projekte, wie Daniel Luginbühl vom Staatssekretariat für Wirtschaft (seco) sagte. Das seco hat das Projekt IIZ lanciert, welches durch die Konferenzen der kantonalen Volkswirtschafts- und Sozialdirektoren unterstützt wird.

500’000 Menschen sind auf Hilfe angewiesen

In der Schweiz beziehen mehr als eine halbe Million Menschen Leistungen der Arbeitslosen- oder Invalidenversicherung oder der Sozialhilfe, wie Hans-Peter Burkhard, Präsident des Verbands Schweizerischer Arbeitsämter, erklärte. Der grösste Teil sei im erwerbsfähigen Alter, die Bezüger würden tendenziell immer jünger.

Bei vielen Leistungsbezügern häuften sich berufliche soziale und gesundheitliche Probleme. “In der Regel ist nicht klar, ob diese Menschen keine Arbeit haben, weil sie krank sind, oder ob sie krank sind, weil sie keine Arbeit haben.” Deshalb sei oft auch nicht sofort klar, welche der Sozialversicherungen leistungspflichtig sei.

Ruth Lüthi bemerkte, die Tendenz zum Ausstieg vieler Menschen aus der Arbeitswelt sei unverkennbar. Es müsse alles daran gesetzt werden, dass dieser Trend gebrochen werde und zwar nicht nur aus finanziellen, sondern ebenso sehr aus sozialen Gründen.

Weiter sagte die Freiburger Staatsrätin: “Es genügt in keiner Weise, Schlagworte wie ‘Scheininvalide’ oder ‘Sozialschmarotzer’ ins Feld zu führen.” Sicher gebe es immer einzelne Profiteure eines sozialen Systems. Das sei nicht neu. Man müsse aber den Ursachen des Unbehagens nachgehen und die Arbeitswelt vermenschlichen.

“Drehtür-Effekt” vermeiden

Interinstitutionelle Zusammenarbeitsmodelle vereinen vorhandene Kompetenzen und lösen die Schnittstellenproblematik. Krankmachendes Weiterreichen von einer zur nächsten Institution, der so genannte Drehtür-Effekt, soll damit unterbunden werden.

Es gehe nicht darum, dass zum Beispiel die Sozialhilfe ihr Budget entlaste, indem sie möglichst viele Leute zur IV-Anmeldung schicke, sagte Beatrice Breitenmoser, Vizedirektorin des Bundesamts für Sozialversicherung (BSV).

Vielmehr solle sich die Sozialhilfe schon früh und immer wieder fragen, ob bei der von ihr betreuten Person nicht eine gesundheitliche Problematik vorliege, bei der das Instrument IV zum Zug kommen müsse, um allenfalls eine wirksame Eingliederung zu erreichen.

Hier müssten aber auch die Arbeitgeber vermehrt Hand bieten, sagte die Freiburger Staatsrätin Ruth Lüthi und Präsidentin der Schweizerischen Sozialdirektorenkonferenz. Eine lebenslange Abhängigkeit von Sozialhilfe oder IV-Rente könne kein Ziel sein. Deshalb müssten die Betroffenen so früh wie möglich wieder integriert werden.

“Ein bescheidener Anfang”

Walter Schmid, Präsident der Schweizerischen Konferenz für Sozialhilfe, sagte gegenüber swissinfo: ” Es ist tatsächlich nur ein erster und ein ganz, ganz kleiner Schritt. Das Bewusstsein für eine Zusammenarbeit ist bei allen Institutionen gewachsen. Die Sozialhilfe ist besonders an einer solchen Entwicklung interessiert, weil sie wie keine andere Institution auf Zusammenarbeit angewiesen ist.” Er nennt dabei die Stichworte Jugendämter, Berufsberatung, IV, ALV.

“Jetzt kommt aber das grosse Aber”, erklärt Schmid weiter: “Solange die finanziellen Anreize in diesen Systemen eben nicht so sind, dass man zusammenarbeitet, ist es auch schwierig, diese Zusammenarbeit zu fördern. Es fehlt heute nicht an gutem Willen. Wir kennen uns alle, arbeiten gerne zusammen. Aber wenn am Schluss des Tages diejenige Stelle am besten qualifiziert wird, die am meisten Kosten auf die Kollegen verschoben hat, versteht man, dass diese Zusammenarbeit eben mehr braucht als nur ein Handbuch und guten Willen.”

Hier sei auch die Politik gefordert. Sie müsse die Anreize für die einzelnen Kassen und Systeme so setzen, dass sich die Zusammenarbeit lohne.

swissinfo und Agenturen

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500’000 Personen leben von Sozialhilfe oder einer Invalidenrente.

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