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Gegen Gewalt an Schulen

'Das Hauptproblem sind versteckte Gewaltformen, zum Beispiel Mobbing', sagt der Psychologe Allan Guggenbühl. SRK

Das Programm "Chili" des Roten Kreuzes geht gegen Gewalt an Schulen vor - eine Massnahme unter vielen, das Echo ist beachtlich.

Seit knapp zwei Jahren bietet das Schweizerische Rote Kreuz (SRK) das Konflikt-Training “Chili” an. In einem mehrtägigen Kurs lernen Jugendliche, wie sie gewaltlos mit Streit umgehen können. Sie lernen ihre Verhaltensmuster kennen und suchen nach neuen Lösungen im Umgang mit Konflikten.

“Chili” stösst auf Interesse, wie die Verantwortlichen an einer Zwischenbilanz am Dienstag vor den Medien betonten. Es soll deshalb ausgebaut und auf die Romandie ausgedehnt werden. 30 Kurse (550 Schülerinnen und Schüler) gab es im letzten Jahr, heuer wurden bereits 25 Kurse durchgeführt.

Das achtköpfige Team sei bereits bis Februar 2003 ausgebucht, sagt Projektleiterin Isabel Uehlinger. Das gute Echo deute nicht auf eine Zunahme der Gewalt hin. Vielmehr seien die Lehrkräfte stärker sensibilisiert. “Sie fühlen sich zunehmend unter Druck, das Thema anzugehen, bevor es eskaliert.”

“Troubleshooter für Krisen”

Längst nicht jedes Präventions-Programm eignet sich für jede Klasse. Bei “Chili” müssten Lehrpersonen, Schülerinnen und Schüler vorher abklären, ob es ihrer Situation entspreche, sagt Roland Zurkirchen. Er ist so genannter “troubleshooter” für Krisen im Stadtzürcher Schulbereich.

Kommt es zu kritischen Situationen, können die Schulen seine Hilfe anfordern. Er versucht dann, das Problem in den Griff zu kriegen, unter Mithilfe des schulpsychologischen Dienstes, des Jugend-Dienstes der Stadtpolizei oder der Jugendanwaltschaft.

Zu solch einer Intervention kann es kommen, wenn Spannungen zwischen Gruppierungen verschiedener Klassen eskalieren. Weitere Probleme, die zu Konflikten führen: Cliquen, die einzelne Kinder ausschliessen, Mobbing, Schlägereien, Erpressungen. Zudem tauchen vermehrt “Hilfsmittel für Gewalt” auf, wie Baseballschläger oder andere Waffen.

“Die Lehrkräfte bekommen die Probleme immer wieder in den Griff”, betont Roland Zurkirchen. Er geht allerdings davon aus, dass es einen grossen Graubereich gibt von Ereignissen, welche kaum fassbar sind.

Föderalistische Strukturen…

Jeder Kanton, jede Stadt und jede Gemeinde haben eigene Projekte zur Gewaltprävention entwickelt. Die Art und Weise, wie das Thema angegangen wird, variiert. Das Bieler Projekt “Peace” legt zum Beispiel vom Kindergarten an Wert auf Anstand und Respekt und bindet Jugendliche und deren Eltern ein. Teil des Projektes ist es, dem Alter angepasste Sanktionen auszuarbeiten.

Im luzernischen Hitzkirch werden Schülerinnen und Schüler des Gymnasiums zu sogenannten “Peacemakers” – “Friedensstiftern” – ausgebildet. Sie greifen bei Konflikten ein, wenn ein Streit noch nicht ernsthaft handgreiflich ist. In anderen Fällen holen sie eine Lehrkraft zu Hilfe.

…zusammenbringen

Damit die Kantone untereinander von den unterschiedlichen Erfahrungen profitieren können, will die Erziehungsdirektoren-Konferenz (EDK) in diesem Herbst die Arbeitsgruppe “Gewalt an der Schule” gründen – auf Wunsch der Kantone. Auslöser sei der Amoklauf in Erfurt gewesen, sagt die Kommunikations-Verantwortliche Gabriela Fuchs.

Es gehe um einen Austausch mit dem Ziel, einen besseren Umgang zu finden mit der Gewalt und ihrer Prävention. Erarbeitet werden sollen auch Notfall-Szenarien. Erfahrung hat hier St Gallen: Nachdem Ende 1999 ein unzufriedener Vater den Lehrer seiner Tochter ermordet hatte, wurde eine 24-stündiger Pikettdienst für Notfälle eingerichtet.

Roland Zurkirchen meint, dass Eskalierungen wie jene von St. Gallen oder Erfurt nie vorausgesehen werden können. “Wir sollten aber solche Ereignisse dazu benützen, um unsere eigenen Interventionen und unsere eigenen Handlungen zu hinterfragen.” Wichtig scheint ihm dabei, dass die verschiedenen zuständigen Departemente gemeinsam nach Lösungen suchen, wie es Zürich bereits versucht.

Richtige Massnahmen treffen

Der Jugendpsychologe und Leiter des Instituts für Konfliktmanagement, Allan Guggenbühl, betont, Prävention sei wichtig. Dabei müsse zuerst geklärt werden, wie sich Konflikte zeigen, erst dann sollen Massnahmen ergriffen werden. Das SRK-Projekt “Chili” könne nach solch einer Abklärung eine Möglichkeit sein.

Wenig hält Guggenbühl von der Idee,Gewalt könne durch eine Stärkung der Selbstkompetenz verringert werden oder dadurch, dass Kinder lernen, ihre Gefühle besser zu äussern. Die Überlegung sei primitiv, dass jemand, der seine Gefühle nicht äussere, stattdessen die Faust brauche.

Im Grossen und Ganzen bestehe kein Grund zur Angst, dass die Gewalt an den Schulen eskaliere, sagt Guggenbühl: “Wenn wir Massnahmen treffen, ist die Wahrscheinlichkeit sehr gross, dass wir Gewalt und Aggression in der Schule beherrschen können.”

Kathrin Boss Brawand

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