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“Die Folgen von PCB wurden unterschätzt”

Über die Nahrungskette gelangt PCB auch auf unsere Teller. imagepoint

Nicht nur Fische in Schweizer Gewässern sind mit polychlorierten Biphenylen (PCB) belastet, sondern auch der Mensch. In der Schweiz gibt es bisher nur wenige Studien zu PCB-Rückständen im Körper, sagt die Umwelttoxikologin Margret Schlumpf.

PCB – diese drei Buchstaben stehen für eine schwere Altlast: Zwar gilt in der Schweiz seit 1986 ein Totalverbot für diese chemische Substanz, doch lagern immer noch Hunderte von Tonnen davon auf Deponien und Schrottplätzen. Sie kommen auch in alten Elektroanlagen und Gebäuden vor, in Farbanstrichen und Korrosionsschutz-Beschichtungen.

Dort halten sich die persistenten Schadstoffe allerdings nicht still: Über Wasser und Luft gelangen sie in die Umwelt – und reichern sich in der Nahrungskette an. Unter anderem auch in Fischen.

“Der grösste Teil der Fische in Schweizer Gewässern ist nicht übermässig mit polychlorierten Biphenylen (PCB) belastet”, erläutert das Bundesamt für Umwelt (BAFU) seinen kürzlich veröffentlichten Bericht “Polychlorierte Biphenyle (PCB) in Gewässern der Schweiz” .

Deutliche Überschreitungen der im Lebensmittelrecht festgelegten Höchstkonzentrationen für dioxinähnliche PCB und Dioxine wurden laut BAFU indes in Fischen aus der Birs unterhalb des Industriestandorts Choindez, der Saane unterhalb der Deponie La Pila, dem Hochrhein sowie in Agonen aus dem Tessiner Langensee gemessen.

“Bitte Fischverzehr-Empfehlungen beachten”

Ist das nicht eine Hiobsbotschaft? “Unter der Bedingung, dass die Fischverzehr-Empfehlung des Bundesamts für Gesundheit und des BAFU eingehalten werden, ist nach heutigem Wissen keine Gefährdung für die Gesundheit vorhanden”, sagt Josef Tremp, wissenschaftlicher Mitarbeiter beim BAFU und Co-Autor des oben erwähnten Berichts zur PCB-Belastung in Fischen gegenüber swissinfo.ch.

Die Fischverzehr-Empfehlungen haben das Bundesamt für Gesundheit (BAG) und das BAFU 2009 veröffentlicht, um die Kantonen bei ihren Entscheidungen bezüglich Fischerei und Fischkonsum in den besonders betroffenen Regionen zu unterstützen und ein “mögliches Gesundheitsrisiko der Bevölkerung durch den Konsum von Fisch zu reduzieren”.

Auf Grund der neuen Studie empfiehlt das BAFU den Kantonen nun zudem, Abklärungen über PCB-Punktquellen in Gewässernähe vorzunehmen.

“Kantone in Altlastenbearbeitung hinterher”

Genügen diese Massnahmen? Laut einer Antwort des Bundesrats 2009 auf eine Interpellation von Nationalrätin Tiana Angelina Moser reichen die bestehenden rechtlichen Bestimmungen und die vorhandenen Vollzugshilfen über den sicheren Umgang mit den noch vorhandenen PCB-Vorkommen in Bauten, Anlagen und Geräten sowie über die Entsorgung von PCB-haltigen Abfällen weitgehend aus.

Handlungsbedarf sieht der Bundesrat indes bei Abklärungen über PCB-Vorkommen in Gebäuden, elektrischen Anlagen und belasteten Standorten, bei der Umsetzung von bestehenden Vorschriften sowie der Anwendung von technischen Regeln in der Bau-, Sanierungs- und Entsorgungspraxis.

“Die meisten Kantone hinken in der Altlastenbearbeitung hinterher”, sagt Martin Forter, der sich im Ende März erscheinenden Buch “Falsches Spiel: Die Umweltsünden der Basler Chemie vor und nach ‘Schweizerhalle'” mit den Folgen chemischer Substanzen auf Mensch und Umwelt befasst.

Für Forter ist klar: “Um das Problem zu lösen, muss in erster Linie verhindert werden, dass die PCB in die Flüsse gelangen.” Doch er habe den Eindruck, dass es in der Schweiz heute immer mehr um die Verwaltung statt um die Bekämpfung von chemischen Stoffen gehe.

Chronische Aufnahme gefährlich

Der Bericht des BAFU zur PCB-Belastung von Fischen geht nur am Rande auf den Menschen ein. Viel bedeutender als akut toxische Wirkungen von PCB für den Menschen ist die chronische Aufnahme, ist diesbezüglich etwa zu lesen.

Und diese Aufnahme geschieht laut Forter nicht nur über den Fischverzehr, sondern allgemein durch die Aufnahme von Spuren über die Nahrung, die sich dann insbesondere im Fettgewebe der Menschen anreichern.

Die schlechte Spermaqualität von Männern in Industriezentren, die in einer kürzlich veröffentlichten Studie erfasst wurde, könnte laut Forter unter anderem auch mit der PCB-Belastung in Zusammenhang stehen.

PCB in der Muttermilch

Wie sich die PCB im Fettgewebe angereichert haben, zeigt sich in der Muttermilch.”Es gibt Frauen mit höheren PCB-Werten in der Muttermilch und solche mit niedrigeren, doch es gibt keine PCB-freie Muttermilch mehr”, sagt Margret Schlumpf, Umwelttoxikologin an der Universität Zürich, die an einer Studie zu Fremdstoffen in der Muttermilch arbeitet. Die Schweiz liege diesbezüglich im europäischen Durchschnitt.

Trotzdem ist eine langzeitige Belastung von PCB nicht zu verharmlosen, vor allem während der frühen Entwicklung des Kindes.

Das Problem bisheriger PCB-Studien sei, dass sich die Forschung auf einzelne Substanzen konzentriere. “Das hat mit der Realität nichts mehr zu tun. Heute ist der Mensch verschiedenen chemischen Mischungen ausgesetzt, die schwerwiegendere Auswirkungen haben könnten, als man bisher annahm.”

Die aktuelle Toxikologiebewertung ist eine “kalamitöse Sache”, sagt auch der Direktor des Instituts F.-A. Forel der Universität Genf, Walter Wildi. So seien etwa dioxinähnliche PCB, die nach heutigen Kenntnissen besonders problematisch sind, weder in den zur Berechnung der PCB-Werte verwendeten Indikatoren noch in der Altlastenverordnung enthalten.

Josef Tremp sagt zur bisherigen PCB-Strategie des BAFU: “Rückblickend kann man feststellen, dass das Gefährdungspotenzial dieser Stoffe für Mensch und Umwelt sowie der Aufwand und die Kosten für die Beseitigung der PCB lange unterschätzt wurden.”

swissinfo.ch, Corinne Buchser

Polychlorierte Biphenyle (PCB) sind giftig, persistent, akkumulieren in terrestrischen und aquatischen Ökosystemen und verteilen sich über atmosphärische Prozesse weltweit.

PCB weisen eine hohe chemische Stabilität auf und bauen sich in der Umwelt sehr langsam ab. Sie reichern sich über die Nahrungskette im Fettgewebe von Tier und Mensch an.

PCB sind für ein breites Spektrum von chronisch toxischen Wirkungen bekannt. Sie schädigen unter anderem das Immunsystem und das zentrale Nervensystem und schädigt das Hormonsystem. Ein Teil weist dioxinähnliche Wirkungen auf.

Versuche mit Ratten zeigen, dass PCB in grossen Mengen akut verabreicht weniger gefährlich ist als über längere Zeit in kleinen Dosen.

In der Schweiz sind PCB in “offenen Systemen” seit 1972 verboten. Als “offene Systeme” gelten zum Beispiel elastische Fugendichtungsmassen, Korrosionsschutzbeschichtungen sowie Farben und Lacke. 1986 wurde ein Totalverbot für PCB eingeführt.

Bei verschiedenen Raubvogelarten – die wie der Mensch am Ende einer Nahrungskette stehen – hat sich der Reproduktionserfolg laut der BAFU-Publikation “Polychlorierte Biphenyle (PCB) in Gewässern der Schweiz” in den letzten 30 Jahren insbesondere wegen PCB besorgniserregend verschlechtert.

So kann etwa das Brutverhalten von Vögeln durch die hormonartigen Wirkungen der PCB gestört werden.

Generell gelangen insbesondere mit Beginn der Brutzeit bei weiblichen Vögeln PCB und deren Metabolite in die Eier, was zu einer erhöhten Toxizität für den Nachwuchs führt. Vor allem in Jungvögeln ist eine weitere Anreicherung von PCB zu beobachten, da deren Enzymsysteme offenbar noch nicht in der Lage sind, diese Fremdstoffe effizient zu metabolisieren.

Auch als Grund für das Aussterben der Fischotter in der Schweiz werden vor allem hohe Konzentrationen an Umweltschadstoffen wie PCB angesehen.

PCB wirken als hormonaktive Stoffe auf den Steroidmetabolismus, was wahrscheinlich die Ursache für
die beobachteten Reproduktionsbeeinträchtigungen dieser Tiere ist.

Bedeutsam für Effekte hormonaktiver Stoffe ist, dass ihre Wirkung im Embryo
und Jungtier oft anders äussert als im erwachsene Tier und dass die Effekte stark verzögert
oder sogar erst in nachfolgenden Generationen auftreten können.

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