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“Ohne Beziehungsnetz läuft man schnell auf Grund”

Rudolf Wyder: Im Laufe seiner ASO-Karriere ist politisches Lobbying zu seinem Hauptbusiness geworden. Courtesy of ASO

Das Interesse für die Auslandschweizer als Wählerpotential hat in den letzten Jahren massiv zugelegt. Damit sei sein Job immer politischer geworden, sagt Rudolf Wyder. Nach einem Vierteljahrhundert tritt er von seinem "Lebensjob" als Direktor der Auslandschweizer-Organisation zurück und zieht Bilanz.

“Wie damals, als ich begann, führe ich noch heute eine kleine NGO, welche die Interessen der Auslandschweizer wahrnimmt. Die Vielfalt der Aktivitäten ist enorm, man macht 1000 verschiedenen Sachen – wie in einem Gemischtwarenladen”, sagt der 65-jährige ASO-Direktor.

Im Laufe der Zeit hat sich aber Grundlegendes verändert: Seit die Auslandschweizer 1992 das briefliche Stimm- und Wahlrecht haben, sind sie auch im Denken der politischen Parteien präsent. Dabei gehe es nicht nur um die Wünsche und Bedürfnisse der Auslandschweizer, sondern vor allem auch um deren Wählerpotential. “So ist Lobbying zu meinem Hauptbusiness geworden, denn es braucht ein politisches Beziehungsnetz, das sehr breit abgestützt ist – sonst läuft man sehr schnell auf Grund.”

Legitimität der ASO

Dass die Politik die Landsleute im Ausland entdeckt hat, belegt laut Historiker Rudolf Wyder auch die Parlamentarische Gruppe Auslandschweizer. Sie zählt zur Zeit 112 Mitglieder und ist damit eine der grössten. Heute gebe es keine Parlamentssession mehr, in der nicht Vorstösse oder Fragen zur Fünften Schweiz eingebracht würden. “Vor 25 Jahren gab es vielleicht einmal pro Jahr etwas, das von der ASO eingebracht wurde.”

Eine wichtige Rolle spielt dabei der Auslandschweizerrat, das “Parlament der Fünften Schweiz”. Er setzt sich aus 120 Delegierten der Auslandschweizer Institutionen und 20 Inlandschweizern zusammen. “Auch wenn wir uns immer wieder die Frage stellen, in wessen Namen wir auftreten – der Rat hat unzweifelhaft eine hohe moralische Autorität. Er hat zwar keine gesetzgeberischen Kompetenzen, aber die Versammlung spiegelt die wichtigen Anliegen der Auslandschweizer”, betont Wyder.

Stark verändert hat sich mit den Jahren auch die Kommunikation zwischen der Schweiz und ihrer Diaspora. Vor allem dank Internet und der Plattform SwissCommunity seien die Landsleute im Ausland der Schweiz heute viel näher als vor einem Vierteljahrhundert, so der ASO-Chef.

Wieso nennt man die Auslandschweizer-Gemeinde auch Fünfte Schweiz?

Dies kommt aus der Zeit, als Rätoromanisch die 4. Landessprache wurde. Da hiess es: Achtung, es gibt noch jene, welche auch dazu gehören, auch wenn sie ausserhalb der Landesgrenze wohnen, also die 5. Schweiz.

Wie viele Auslandschweizer gibt es insgesamt?

716’000

Wie viele Doppelbürger?

Die Quote liegt bei 69% (Korrekt: 72,5%)

Wo leben am meisten Auslandschweizer?

Ganz klar in Frankreich

In welchem Land, welchen Ländern leben keine Auslandschweizer?

Ich glaube auf Nevis, einem Inselstaat der Kleinen Antillen, und auf Tuvalu. Zur Zeit eventuell auch in Irak, und in Afghanistan gab es auch mal 0.

Wie viele sind im Stimmregister eingetragen?

Gut 149’000

Wie viele Auslandschweizer Vereine gibt es?

Wir sind mit über 700 in Kontakt

Welches ist der kleinste Verein?

Das weiss ich nicht. (swissinfo.ch auch nicht)

Wie viele Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer kennen Sie?

Über all die Jahre bin ich ca. 500 bis 1000 begegnet.

Wie viele Länder, wo Schweizer Staatsangehörige wohnen, haben Sie besucht?

Es dürften etwa 30 sein.

Wie beschreiben Sie den typischen Auslandschweizer?

Patriotisch und weltoffen.

“Kinder” der Globalisierung

In den letzten Jahren hat die Mobilität stark zugelegt, die Zahl kurzer oder mehrerer Aufenthalte hintereinander teils in verschiedenen Ländern ist gestiegen. Man denke nur an die Erasmus-Programme für Studierende oder berufsbedingte, zeitlich begrenzte Einsätze im Ausland.

Den Schweizern sei zu wenig bewusst, dass überall Hinreisen keine Selbstverständlichkeit sei. Dank sektoriellen Sonderlösungen und der Personenfreizügigkeit habe die Schweiz als Nicht-EU-Mitglied zwar fast denselben Status wie die anderen Europäer. “Wir müssen aber aufpassen, dass wir die Reziprozität nicht vergessen. Sonst könnten die anderen uns verweigern, was wir gerne für uns in Anspruch nehmen, warnt der EU-Befürworter.

Selbstverständlicher geworden ist auch die Mobilität aufgrund persönlicher Motive. “Interessant ist, dass die Fünfte Schweiz überwiegend weiblich ist (57%). Grund dafür dürfte sein, dass Frauen ihren ausländischen Partnern folgen. Das müsste den Schweizer Männern zu denken geben”, witzelt der ASO-Direktor.

Getrübtes Image

Früher galt die Schweiz in vielen Bereichen als Musterknabe, und noch heute sieht sie sich gerne in dieser Rolle. Ihr Image hat aber in den letzten Jahren ein paar Kratzer abbekommen, etwa im Zusammenhang mit der Affäre um die nachrichtenlosen Vermögen von Holocaust-Opfern in den 1990er-Jahren, dem umstrittenen Bankgeheimnis oder dem Rohstoffhandels-Platz Schweiz.

Wie wirken sich diese Kontroversen auf das Leben der Auslandschweizer aus? Die Aussagen aus dem Ausland dazu seien widersprüchlich, sagt Wyder: “Für die einen hat das Bild der Schweiz stark gelitten: Man werde langsam scheel angeschaut, den Schweizer Pass zu zeigen, sei nicht mehr so gemütlich. Andere meinen, Schweizer zu sein sei noch immer ein Vorteil. Dass die Schweiz auf der Anklagebank sitze, sei ein Medienrummel, ein politisches Gezerre. Sicher ist aber, dass das rein idyllische Bild der Schweiz stark differenziert wurde.”

Ein aktuelles Problem, das vielen Auslandschweizern im Zusammenhang mit Bankgeheimnis und Steuerstreit zu schaffen macht, ist, dass die Banken ihre Schweizer Kunden im Ausland vor die Türe stellen. “Es begann in den USA, aber mittlerweile erhalten wir aus allen Weltteilen Meldungen, dass Auslandschweizer ihr Konto aufheben mussten und Mühe haben, eine andere Bank zu finden. Ich hoffe, dass die schweizerische Bankenwelt möglichst schnell wieder mit den internationalen Standards in Harmonie lebt und operiert”, sagt Wyder. “Dass man bestraft wird, nur weil man in einem anderen Land lebt, ist ein unglaublicher Rückschritt und steht im Widerspruch zu Globalisierung und Mobilität, findet der ASO-Chef.

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Ob die Rechnung aufgeht?

In den letzten 30 Jahren hat sich die Zahl der Auslandschweizer auf über 715’000 verdoppelt. Im gleichen Zeitraum wurde die Zahl der Konsulate halbiert. Viele Dienstleistungen sind zwar übers Internet erhältlich. Um aber einen Pass zu beantragen oder zu verlängern, müssen die Leute nun grössere Distanzen zurücklegen.

“Das ist eines der grossen Ärgernisse dieser Zeit”, sagt Wyder. “Hier hat man übers Ziel hinausgeschossen, denn auch die Konsulate müssen grössere Distanzen auf sich nehmen, um etwa Schweizer im Spital oder im Gefängnis zu besuchen. Ich bin nicht sicher, ob das Aussendepartement EDA die Rechnung richtig gemacht hat. Die Verlagerung ins Diplomatische auf Kosten des Konsularischen finde ich problematisch. Das Netz wurde zu stark ausgedünnt. Man wird zurückbuchstabieren müssen.”

E-Voting wird flächendeckend kommen

Ein weiterer Dauerbrenner ist das E-Voting, das im Zuge der NSA-Spionage-Affäre einmal mehr in Frage gestellt wird. Trotz der US-Geheimdienstaffäre stuft die Bundeskanzlei das Abstimmen via Internet als sicher ein. Derselben Meinung ist Rudolf Wyder. “Ich erachte es als zwingend, dass man die Kommunikationsmittel der Zeit anpasst. Die NSA-Affäre zeigt zwar, dass Kommunikationssysteme beliebte Angriffsziele sind. Hacking von Abstimmungen und Spionage sind aber immer noch zwei paar Stiefel. Für jene, die schon immer gegen E-Voting waren, ist dies jedoch ein gefundenes Fressen.”

Dass jetzt eine intensivere Diskussion über Sicherheit im Gang ist, begrüsst der ASO-Direktor. “Wir haben bereits jetzt eine Hochsicherheitsstrategie. Die Bundeskanzlei war von Anfang an sehr auf Sicherheit vor Geschwindigkeit bei E-Voting ausgerichtet.” Wyder rechnet damit, dass bei den eidgenössischen Wahlen 2015 eine grosse Mehrheit der Auslandschweizer elektronisch wählen kann. “Nichts spricht dagegen.”

Mehr Spielraum für Schulen  

Ein breiter Konsens durch alle Parteien im Parlament herrscht bezüglich der Schweizer Schulen im Ausland, die immer wieder mit finanziellen Problemen zu kämpfen hatten. “Sie sind ein Instrument der Schweizer Aussenpolitik”, sagt Wyder, Mitglied der Freisinnig-Demokratischen Partei.  

Am 12. Dezember hat der Ständerat das Auslandschweizer-Ausbildungsgesetz als Erstrat angenommen. Damit sollen die 17 Schweizer Schulen im Ausland mehr wirtschaftliche Freiheit und grössere Planungssicherheit erhalten. Zudem soll der Mindestanteil von Schweizer Schülern – der bei 20 bis 30 Prozent lag – aufgehoben werden.

 

“Im Parlament ist man sich einig, dass diese Schulen der Schweiz viel bringen: Junge Leute lernen die Schweiz kennen, es ist ein Plus für die Tourismusförderung, aber auch für die Rekrutierung künftiger Führungskräfte”, sagt “Mister ASO”, der Ende Jahr seinen Sessel in Bern räumen wird.

Der Abschied fällt ihm “nicht extrem schwer”, auch wenn er nach 26 Jahren mit der Institution “verheiratet” sei. Der anstehende Generationenwechsel sei eine gute Sache, sagt Rudolf Wyder. “Und dann muss mein Büro gestrichen werden, denn zu Beginn meiner Zeit hier habe ich noch Pfeife und Zigarren geraucht.”

Am 1. Januar 2014 übernehmen Ariane Rustichelli und Sarah Mastantuoni die Direktion der Auslandschweizer-Organisation.
 
Der gegenwärtige ASO-Direktor Rudolf Wyder geht auf den 31. Dezember 2013 in Pension.

Wyder leitete die Organisation seit 1987.
 
Rustichelli ist gegenwärtig Leiterin Kommunikation und Marketing, Mastantuoni leitet den Rechtsdienst.

Rudolf Wyder wird als Freelancer die 100-Jahr-Feier der ASO im Jahr 2016 organisieren.

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