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“Wir möchten eine Heimat bieten”

Eine Frau lächelt in die Kamera
"Es könnte mehr solche Häuser geben, und man würde sie füllen", sagt Doris Albisser, die Betriebsleiterin. Christina Stucky, Bern

Es ist eine ungewöhnliche Kombination von "Sinn und Gewinn", die den Nerv der Zeit trifft. "Josephine's Guesthouse for Women" ist eine moderne Pension mitten in der Stadt Zürich. Und zugleich eine Unterkunft für Frauen in Not.

Nur ein schlichtes, auf eine blaugraue Wand gemaltes Wort weist auf “Josephine’s” hin. Der Eingang ist unprätentiös, die Rezeption gleichzeitig schlicht, aber einladend und bunt. Nichts deutet auf die über 100jährige Geschichte des Hauses hin, in der es immer um Frauen ging.

1869 wurde hier das Töchterheim St. Jakob gegründet. 50 Jahre später übernahm es der Martaverein, ein Ableger des 1877 gegründeten Internationalen Vereins Freundinnen Junger Mädchen. Die Pension Lutherstrasse diente als sicherer Hort für Frauen, die im Zuge der Industrialisierung vom Land nach Zürich zogen, um eine Anstellung zu finden.

Als Teil der Sittlichkeitsbewegung des frühen 20. Jahrhunderts, sollte die Pension den Frauen nicht nur eine bezahlbare Unterkunft bieten, sondern verhindern, dass sie aus Not oder unter Zwang eines Mädchenhändlers in die Prostitution gerieten.

Eine Blume
Das Gasthaus soll eine freundliche Atmosphäre vermitteln. Christina Stucky, Bern

“Wollen wir wirklich nur eine gute und billige Unterkunft für unsere jungen Mädchen schaffen?”, fragte 1928 die damalige Präsidentin des Martavereins an der Eröffnungsfeier der neu erbauten Frauenpension. “Nein, wir möchten mehr. Wir möchten ihnen eine Heimat geben, wenn es sich auch nur um eine vorübergehende, kurze handeln kann. Es soll ein Ort sein, wo sie sich geborgen fühlen.”

Soziales Engagement für Frauen

Ein sicherer Hort ist die komplett renovierte und als “Josephine’s Guesthouse for WomenExterner Link” eröffnete Pension immer noch. Sowohl für Frauen, die Zürich vorübergehend als Studentinnen, Geschäftsfrauen oder Touristinnen besuchen, als auch für Frauen, die einen Ort brauchen, wo sie nach einer Notsituation zur Ruhe kommen und sich neu orientieren können. Der Geist des früheren Töchterheims und der späteren Frauenpension Lutherstrasse durchweht das moderne Gasthaus Josephine’s.

Dieser Geist wird zweifach gelebt. Josephine’s ist weiterhin für weibliche Gäste reserviert, die die Zimmer für eine Nacht oder ein paar Monate buchen können. Ausser einem Techniker arbeiten nur Frauen dort, sonst kommen Männer in der Regel nur bis an die Rezeption.

Benannt nach der Britischen Frauenrechtskämpferin und Sozialreformerin Josephine Butler, bleibt Josephine’s auch dem sozialen Engagement ihrer Namensgeberin verpflichtet: bis zu 10 der 38 Zimmer sind für Frauen in Notsituationen reserviert.

Eine Rezeption
Die Rezeption des Guesthouse Josephine’s. Christina Stucky, Bern

“Wir haben den Nerv der Zeit getroffen”, ist Verena Kern Nyberg überzeugt. Sie ist die Direktorin der gemeinnützige Frauenhotel AG, die in Zürich auch das Hotel Lady’s FirstExterner Link und das Hotel MartaExterner Link führt. Diese Hotels beherbergen Männer und Frauen und beschäftigen auch psychisch beeinträchtigte Frauen.

Der Nerv der Zeit ist ablesbar an den schnell ausgebuchten Monatszimmern, wo ausländische Studentinnen oder Neuzuzügerinnen unterkommen, bis sie eine Mietwohnung finden, am Konzept “Frauen unter sich”, und am Engagement für Frauen in Not, erklärt Kern Nyberg.

Josephine’s hält stets Zimmer in der günstigsten Preiskategorie für diese Frauen zurück, da “Notsituationen nicht planbar sind”. Im Durschnitt wohnen acht bis zehn Frauen in diesen reservierten Zimmern, oft auch mit ihren Kleinkindern.

“Unkompliziert, schnell und ohne Kaution”

Gerade in Zürich, wo die Suche nach preiswerten Mietwohnungen eine Herausforderung ist, füllt Josephine’s eine Lücke. “Hier bekommen sie eine befristete Unterkunft, unkompliziert, schnell, ohne Kaution, und ohne mit 50 anderen Mietern um die Wohnung kämpfen zu müssen,” erklärt Verena Kern Nyberg.

Die Betriebsleiterin Doris Albisser ist überzeugt, “es könnte mehr solche Häuser geben und man würde sie füllen”. Josephine’s funktioniere, sagt sie, “weil die Leute selbstständig funktionieren”.

Die für alle Gäste zur Verfügung stehende Gemeinschaftsküche und die Waschküche entsprechen dem “Bedarf nach günstigem städtischen Wohnraum, wo sie selber waschen und kochen können”, ob eine Frau eine Woche in Zürich ist und lieber kocht als alleine im Restaurant zu essen, oder sie von den Soziale Diensten der Stadt Zürich überwiesen wurde, die für die Kosten der Bewohnerinnen der “Notzimmer” aufkommt (siehe Kasten).

Vielfältige Lebensgeschichten

“Viele reden nicht über die Situation, die sie hierhergeführt hat. Sie erzählen Ausschnitte. Die ganze Lebensgeschichte kennen wir selten”, sagt Betriebsleiterin Doris Albisser.

Eine Gemeinschaftsküche
Die Gemeinschaftsküche steht allen Gästen zur Verfügung. Christina Stucky, Bern

Diese Lebensgeschichten sind so vielfältig wie die Frauen selbst. Die Frau, die im Zürcher Frauenhaus Schutz vor häuslicher Gewalt sucht und dann im Josephine’s ihren nächsten Schritt plant. Die schwangere ausländische Studentin, die aus der Wohngemeinschaft geworfen wurde. Die Frau, die sich nach einer Haftstrafe neu orientieren muss. Die abgewiesene Asylbewerberin mit Säugling, die auf ihre Ausschaffung wartet.

Manche der Hotelgäste lesen über dieses soziale Engagement auf der Website von Josephine’s und fragen nach oder kommen am täglichen Frühstücksbuffet ins Gespräch mit einer der Frauen. Die Reaktionen der zahlenden Gäste seien meist gut, sagt Doris Albisser.

Sie hat ein Gespür dafür entwickelt, ob eine Frau “ins Haus passt und sich an die Regeln halten wird”. 

Bei gravierenden Verstössen gegen die Hausordnung droht eine Kündigung. Der Frau, die mehrmals einen Mann in ihr Zimmer geschmuggelt hatte und dann mit ihm in einen handfesten Streit geriet, wurde fristlos gekündigt.

Josephine’s “coole Community”

“Der Mix an verschiedenen Gästen ist uns wichtig, weil der Rest an Frauen die eine oder andere ‘exzentrische Person’ verträgt. Wir sind keine psychologisch betreuende Institution, haben aber ein offenes Ohr und wissen um die Sorgen.” Es gilt, die Balance zu halten, zwischen einem wirtschaftlich tragfähigen Hotel und einem “Ort für Frauen, die im Leben eine Pechsträhne hatten”.

Kern Nyberg freut sich über die positiven Rückmeldungen der Hotelgäste. “Die sagen uns immer wieder, was für coole Frauen sie im Josephine’s kennenlernen.” Unter dem Strich, sagt Kern Nyberg, präge die “coole Community” den Charakter des Betriebs viel stärker. Die Ausstrahlung des sicheren Horts für Frauen komme gar nicht so sehr zum Tragen. 

Josephine’s Guesthouse

Monatlich belaufen sich die Kosten für die Zimmer in Josephine’s Guesthouse für Frauen in Notlagen auf zwischen 1’600-2’000 CHF, Frühstück und WLAN inbegriffen. Die grösseren Zimmer werden von Frauen mit Kindern belegt. Sie dürfen in der Regel maximal sechs Monate in Josephine’s bleiben.

Die Kosten werden von den Sozialen Diensten (SOD) der Stadt Zürich gedeckt, die mit der Betriebsführung von Josephine’s einen Rahmenvertrag abgeschlossen hat.

Obwohl manche der Frauen arbeiten, reichen oft die eigenen Mittel nicht für den Lebensunterhalt aus. Das Ziel sei, die Obdachlosigkeit der Frauen zu verhindern und ihnen die Zeit zu geben, um eine Anschlusslösung zu finden, erklärt die SOD in einer schriftlichen Stellungnahme

Die SOD bezeichnet die Zusammenarbeit mit Josephine’s als “unkompliziert und sehr konstruktiv”. Diese Plätze seien besonders wichtig für Kurzzeit-Aufenthalte für Frauen, die keine zusätzliche Betreuung benötigen und ihr Leben selbstständig organisieren können.

“Für die Sozialen Dienste ist Josephine’s eine wichtige Institution. Diese Art von privater sozialer Arbeit ergänzt andere städtische Angebote, was wir sehr schätzen”.

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