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Globaler Streit ums Wasser beschäftigt Kirchen

Brasilien versucht dem Wassermangel mit dem Bau von Regenwasser-Zisternen zu begegnen. Thomas Kern

Fünf Jahre nach ihrer Erklärung zum Wasser als Menschenrecht und öffentliches Gut wollen Schweizer und brasilianische Kirchen den Widerstand gegen die Privatisierung des Wassers verstärken. Davon betroffen ist auch der Nestlé-Konzern, der in Brasilien mit Trinkwasser geschäftet.

Brasilien plant, den Rio Xingu, einen Nebenarm des Amazonas, umzuleiten, um bei Belo Monte im Gliedstaat Para das drittgrösste Wasserkraftwerk der Welt zu bauen. Dabei würden 500 Quadratkilometer Wald und Anbauflächen überflutet, und rund 20‘000 Menschen müssten ihre Heimat verlassen.

Im April hat das Oberste Gericht von Para eine Klage von Umweltschützern gegen den Bau gutgeheissen, und die Versteigerung der Rechte für den Bau und Betrieb des Kraftwerks wurde suspendiert. Doch Belo Monte ist nicht das einzige Wasserprojekt der brasilianischen Regierung.

Bischof Cappios gewaltfreier Widerstand

Der Bischof und Umweltaktivist Luiz Flavio Cappio kämpft mit gewaltfreiem Widerstand gegen die Umleitung von Teilen des Rio Sao Francisco im Nordosten Brasiliens und sagt: “Die verzweifelte Lage im Sao Francisco Tal ist Teil einer globalen Krise. Sie macht uns bewusst, dass der blinde Fortschrittsglaube zur Unterentwicklung vieler Völker geführt hat und das Leben der ganzen Erde bedroht.”

2005 unterzeichneten Schweizer und brasilianische Kirchen eine gemeinsame Ökumenische Wassererklärung, in der sie sich verpflichteten, dem “Trend gegen die Privatisierung entgegenzuwirken”. Das Wasser sei vielmehr als öffentliches Gut und der Zugang dazu als Menschenrecht zu betrachten.

Anlass für die Wassererklärung war der Kampf von brasilianischen Umweltschützern gegen die Aktivitäten des Schweizer Nahrungsmittelkonzerns Nestlé, der seit längerem im brasilianischen Wassergeschäft tätig ist. Die Wassererklärung hat Nestlé nicht weiter beeindruckt. Ende 2008 bestätigte der Konzern den Kauf der Mineralquelle Santa Barbara im Staat Sao Paolo, die er für die Herstellung und den Verkauf von Mineralwasser nutzen will.

Was hat die Wassererklärung gebracht?

Die Ökumenische Wassererklärung wurde vom Schweizerischen Evangelischen Kirchenbund (SEK), von der Schweizer Bischofskonferenz (SBK), dem Ökumenischen Rat Christlicher Kirchen Brasiliens und der Katholischen Bischofskonferenz Brasiliens unterzeichnet. Heute stellt sich die Frage, ob ausser einer schönen Absichtserklärung konkret etwas gegen die Privatisierung von Wasser getan wurde.

Otto Schäfer vom SEK betont, dass die Wassererklärung das Thema immerhin auf eine internationale Ebene gehoben habe: “2006 wurde es in die Abschlusserklärung der Vollversammlung des ökumenischen Weltkirchenrats aufgenommen, und im kommenden Juni wird das Thema Wasser an der Versammlung des Reformierten Weltbunds traktandiert.” Doch selbstkritisch räumt Schäfer ein, dass der SEK wohl zu wenig nachdrücklich versucht hat, andere Kantonalkirchen für die Wassererklärung zu gewinnen.

Die Unterzeichner der Ökumenischen Wassererklärung verpflichten sich dazu, auch politisch aktiv zu werden, das heisst ihre Regierungen dazu zu bewegen, das Menschenrecht auf Wasser zu sichern. Alliance Sud, der politische Arm der Schweizer Hilfswerke, organisierte am UNO-Weltwassertag 2009 eine Tagung, an der auch die Problematik der Wasserprivatisierung in Brasilien zur Sprache kam. Doch seither ist es still geworden ums Thema Wasser.

Interessenkonflikt

Der brasilianische Umweltaktivist Franklin Frederick kritisiert, dass die Aktivität von Nestlé im Wassergeschäft von den Kirchen nicht direkt angesprochen werde. Vor zwei Jahren wurde bekannt, dass Nestlé die globalisierungskritische Organisation Attack und auch Frederick bespitzeln liess.

Fast gleichzeitig wurde der Generaldirektor von Nestlé, Roland Decorvet, in den Stiftungsrat des kirchlichen Hilfswerks Heks gewählt, was zu Protesten aus der Kirchenbasis führte, denn auch Heks fordert einen freien und kostenlosen Zugang zu Wasser als Menschenrecht. “Man kann nicht gleichzeitig Nestlé mit ins Boot nehmen und gegen die Wasserprivatisierung kämpfen”, sagt Frederick.

Albert Rieger von der Fachstelle Ökumene, Mission und Entwicklungszusammenarbeit (Oeme) wünscht sich ebenfalls eine klare Positionierung der Kirchen bezüglich der Beteiligung von Nestlé im internationalen Wassergeschäft. Die Oeme engagiert sich seit langem für den freien Zugang zu Wasser als Menschenrecht.

“Die Ökumenische Wassererklärung war ein Meilenstein im gemeinsamen Bemühen der Kirchen von Ländern des Nordens und des Südens”, sagt Rieger, doch der Versuch, weitere Unterstützung zu finden, sei zu zögerlich angegangen worden. Auch die politische Lobbyarbeit sei vernachlässigt worden. “Der SEK und die Bischofskonferenz sollten sich stärker auf der politischen Ebene einsetzen”, fordert Rieger.

Susanne Schanda, swissinfo.ch und InfoSüd

Nestlé investiert seit den 1940er-Jahren im Markt in Brasilien. Sogar die Idee zum Nescafé, der bekanntesten Marke des Konzerns, wurde in Brasilien geboren, als die dortige Regierung sich bei Nestlé nach Möglichkeiten der Konservierung von Kaffee erkundigte.

1992 übernahm Nestlé die Perrier-Gruppe, die damals im brasilianischen Park Sao Lourenco Mineralwasser produzierte. Als der Schweizer Multi im Jahr 2000 begann, dort das Mineralwasser Pure Life zu produzieren, regte sich Widerstand der Umweltorganisationen und der lokalen Bevölkerung. 2006 wurde Pure Life eingestellt.

2008 kaufte Nestlé die Mineralquelle Santa Barbara im Staat Sao Paolo. In Brasilien berichteten die Medien kürzlich, dass Nestlé die Fussball-WM 2014 sponsern wolle – möglicherweise mit einem neuen, in Brasilien hergestellten Mineralwasser.

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