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“Gute Mischung zwischen Neuem und Altbewährtem”

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Thomas Kaiser ist der jüngste Präsident eines Schweizer Vereins in Deutschland, nämlich jenes in München, dem ältesten und mitgliederstärksten Schweizerclub im nördlichen Nachbarland. Er will der Fünften Schweiz neuen Schwung verleihen.

Unter Studenten würde er zu den älteren Semestern zählen, in der Auslandschweizer-Organisation (ASO) gehört er zum Nachwuchs.

Der 41-jährige Thomas Kaiser lebt seit zehn Jahren in München. Dort traf er seine jetzige Frau, eine “halbe” Schweizerin. Die Schwiegermutter war es, die den jungen Zürcher in den Schweizer Club holte. Seit sechs Jahren ist er Mitglied, seit vier Jahren im Vorstand, seit zwei Monaten Präsident.

Mehr Schweizer sein im Ausland

Er, der sagt, nicht mehr in der Schweiz leben zu können, weil er “mehr Freiheit und Offenheit im Sinne von Grösse und Raum brauche”. Er, der sagt, in der Schweiz sei es ihm zu eng, räumlich, aber auch im Kopf. Ausgerechnet er engagiert sich an vorderster Front im Schweizer Vereinsleben, wo vor allem Traditionen gepflegt und oft auch idealisiert werden.

Vielleicht sei das widersprüchlich, meint der Wahlmünchner, aber es sei so, dass er sich – wie viele seiner Landsleute auch – mehr mit der Schweiz befasse, seit er im Ausland lebe. Kaiser ist stolz, Schweizer zu sein und fühlt sich der Kultur verpflichtet.

Noch sind die älteren Vereinsmitglieder in der Mehrzahl. Kaiser will jedoch umpolen und den Verein so umstrukturieren, dass er auch für die junge Generation attraktiv wird.

“Wir wollen nicht nur Jassen, Raclette und Kegeln, sondern unter anderem auch Sprach- und Kochkurse anbieten. In erster Linie kommt die Schweizer Küche zum Zug, aber es darf auch thailändisch sein. Das Angebot soll sich nicht steif auf die Schweiz konzentrieren.”

Zielgruppe Familie

Da Kaiser erst seit kurzem im Amt ist, sind die Ideen noch jung. Geplant ist bereits ein Ausflug mit Familien ins Legoland, Würste braten an der Isar. Auch sollen sich Eltern regelmässig treffen können, um über Probleme und Erfahrungen zu diskutieren. Kurz: Er will das Angebot ändern, damit mehr Junge kommen. Dass diese Entwicklung Zeit braucht, ist ihm klar.

Klar ist für ihn auch, dass das Programm für ältere Mitglieder nicht vergessen geht, denn ihnen habe man schliesslich viel zu verdanken. “Und die Älteren finden es toll, dass neuer Wind reinkommt und etwas für die Jungen getan wird.”

Der Nationalfeiertag wird von Jung und Alt übrigens “ganz normal” begangen, wie Kaiser sagt – mit einer Feier im Schweizer Haus, dem vereinseigenen Domizil. Es wird gesungen (auch die Nationalhymne), ein 1.-August-Feuer gezündet, der Ansprache des Bundespräsidenten samt Glockengeläut gelauscht. Serviert wird eine kalte Platte.

Zukunftsvisionen

Thomas Kaiser ist überzeugt, dass in den Vereinen generell ein Umdenken stattfinden und die Zusammenarbeit mit der offiziellen Schweiz intensiviert werden muss.

Vor allem wichtig aber sei die Vernetzung unter den Vereinen. “Bis jetzt gibt es praktisch keine Zusammenarbeit. Ich wünsche mir viel mehr Kontakt: Vorschläge und Erfahrungen sollen ausgetauscht werden. Nicht jeder muss das Rad neu erfinden.”

Warum, so fragt der junge Präsident, soll man zum Beispiel kulturelle Angebote nicht grösser werden lassen? Andere Vereine einladen? Einander besser kennenlernen?

Kleine Schweiz – grosses Deutschland

Kaiser hat natürlich nicht nur mit Landsleuten, mit Traditionen und der Rekrutierung von Neumitgliedern zu tun. Schliesslich wohnt und arbeitet er in München – unter Deutschen.

Seit immer mehr Deutsche in die Schweiz auswanderten, sei die kritische Einstellung der Schweizer dem grossen Nachbarn gegenüber schon ein Thema. Man müsse aber auch sehen, dass viele Schweizer nach Deutschland kämen. Und Deutschland tue eindeutig zu wenig, um die eigenen Fachleute zu halten. Das sei ein Problem.

Ein Problem sieht er auch auf die Schweiz zukommen: “Die Schweiz will in der EU mitreden und tut es auch, ist jedoch nicht Mitglied. Je grösser jedoch die EU wird, desto kleiner wird die Schweiz.”

Kaiser ist für einen Beitritt der Schweiz zur EU – wie die meisten Schweizer im Ausland. “Weil wir diese Diskrepanz spüren. Sonst könnte es irgendwann sein, dass die Schweiz zu klein wird für die EU.”

swissinfo, Gaby Ochsenbein, Rostock

Aufgewachsen in Glattbrugg bei Zürich-Kloten.

Er arbeitete viele Jahre bei Adidas.

Der heute 41-Jährige kam vor 10 Jahren nach Deutschland.

In München bildete er sich zum Diplombetriebswirt aus.

Er ist als Verkaufsleiter für eine australische Kosmetikfirma tätig.

Kaiser ist mit einer “halben” Schweizerin verheiratet und Vater von drei Kindern.

Der Verein feiert im November 2008 seinen 160. Geburtstag.

Der Club hat gut 400 Mitglieder, davon gut 320 Aktivmitglieder (Schweizer Staatsbürger). Die anderen sind Passivmitglieder.

Der Schweizer Club München besitzt ein eigenes Haus, das Schweizer Haus in Schwabing an der Leopoldstrasse.

Gebaut wurde es vom langjährigen Präsidenten des Vereins, dem Architekten Tino Walz, der im April 2008 gestorben ist.

Seit Frühjahr 2008 ist der 41-jährige Thomas Kaiser Präsident des Münchner Vereins.

In Deutschland leben gut 75’000 Schweizerinnen und Schweizer.
46’000 sind Doppelbürger.

3145 in Deutschland lebende Schweizer sind in Vereinen organisiert. Das sind fast 100 weniger als im Jahr zuvor.

Die Auslandschweizer-Organisation Deutschland hat in den letzten 15 Jahren über 500 Mitglieder verloren.

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