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Mangelware “Weisses Gold”

Streusalz ist in diesem Winter zu einem raren Gut geworden. Keystone

Das bis anhin schneereiche Winterwetter lässt die Herzen von Kindern und Wintersportlern höher schlagen. Gleichzeitig aber treibt sie den Chefs der Strassenverkehrsämter Sorgenfalten auf die Stirn. Streusalz ist europaweit Mangelware.

Bereits im letzten Winter herrschte zeitweise ein ernster Streusalzmangel auf Europas Strassen. Und in dieser Saison hat sich der Mangel auch in der Schweiz noch viel früher bemerkbar gemacht.

Können wir uns nach den Wintern mit relativ mildem Klima nicht mehr auf ernste Situationen einstellen? Oder ist das insbesondere in der Schweiz geltende Salzmonopol verantwortlich für die maroden Zustände?

Nieder mit dem Salzmonopol?

Nationalrat Otto Ineichen, von den Freisinnigen.Die Liberalen (FDP) und andere Politiker fordern eine Marktöffnung, nachdem das Salzmonopol der Kantone offenbar die Nachfrage nicht genügend befriedigen kann.

Ineichen ist mit dieser Forderung schon 2005 abgeblitzt, die Kantone als Inhaber des Salzmonopols wollten von einer Aufhebung nichts wissen. Sie begründen dies hauptsächlich mit der Versorgungssicherheit.

Jürg Lieberherr, Direktor der Schweizerischen Rheinsalinen, an welche die Kantone ihr Monopol delegiert haben, sieht das Problem nicht beim Monopol: “Es ist weder ein schweizerischer noch ein struktureller Mangel. Es handelt sich um ein meteorologisches Problem.” Vom dritten strengen Winter in Folge sei ein grosser Teil des europäischen Kontinents betroffen.

Was kann man dagegen tun? Die Produktion erhöhen? “Das kann niemand bezahlen. Eine Produktionsleistung auf eine Spitze ausrichten, ist mehr als fahrlässig. Und weil es sich hierbei um ein kontinentales Problem handelt, gibt es praktisch keine Möglichkeit, Salz in der nötigen Menge zu beschaffen”, sagt der Rheinisalinenchef.

“Wir haben in der Schweiz das Glück, dass wir dank unserer Salinen unsere Kunden zwar mässig, aber immerhin regelmässig bedienen können. Wenn Sie von Lörrach aus nach Norden schauen, wo das nackte Chaos herrscht, wo keine Reserven mehr bestehen, muss man sagen, es geht uns zur Zeit noch ziemlich gut.” 

Reserven bilden

Die einzige Lösungsmöglichkeit wäre die Erhöhung der Lagerbestände. Lieberherr gibt an, in ganz Europa, bis nach Übersee, nach Streusalz Ausschau zu halten. Relevante Mengen habe man jedoch nicht gefunden.

Bernhard Jurt, Chef des Luzerner Strasseninspektorats ist da anderer Ansicht. Er hat kurzfristig über 200 Tonnen des weissen Goldes in Italien organisiert. Dies entschärft in Luzern die angespannte Situation ein wenig, aber weil die Rheinsalinen die bestellte Salzmenge nicht vollständig liefern können, zeichnet sich auch in der Zentralschweiz eine gewisse Knappheit der Ressourcen ab. 

Verbesserungen nötig

Jurt zeigt sich jedoch mehr als überrascht, dass das von den Rheinsalinen eingelagerte Salz bereits Anfang Winter zur Neige zu gehen schien. “Dass wir bereits im November über eine Kontingentierung des Salzes in Kenntnis gesetzt wurden, hat uns schon ein wenig aufhorchen lassen. Aus diesen Gründen wird es erforderlich sein, dass eine Vertretung der ‘Kommunalen Infrastruktur’, einer Fachorganisation des Schweizerischen Städteverbandes, im Anschluss an den diesjährigen Winter die kritischen Punkte mit den Rheinsalinen bespricht und für den nächsten Winter klare Vorgaben festlegt, die durch die Salinen zu erfüllen sind.”

Sie hätten mit der Kontingentierung frühzeitig begonnen, “damit wir keine Bauchlandung machen müssen”, rechtfertigt sich Liebermann. “Es ist ja nicht so, dass wir schon gar nichts mehr hätten.”

Kriminelle Praktiken

Der Luzerner Jurt will sich nicht festlegen, ob er das Salzmonopol lieber aufgelöst hätte oder nicht. “Wenn wir jedoch die Einfuhrgenehmigung für das italienische Salz nicht erhalten hätten, hätte ich wirklich Probleme mit dem Monopol bekommen. Zudem sind wir in den vergangenen Jahren von den Rheinsalinen recht gut bedient worden. Es gab praktisch keine Probleme.”

Vor dem Gespräch mit swissinfo.ch ein er habe ein zusätzliches Angebot für Salz aus Griechenland erhalten, erzählt er weiter. “Das hat mich erstaunt, wenn ich mir den Bericht in der Fernsehsendung 10 vor 10 vergegenwärtige, in der die Rheinsalinen aufzeigten, wo sie in Europa schon überall nach Salz gefragt hätten. Offenbar muss es noch Quellen geben im Mittelmeerraum, wo das Salz aus dem Meer gewonnen wird.”

Es gebe auch in diesem Business schwarze Schafe, warnt der Rheinsalinenchef: “Da wird zwei, dreimal verkauft, und zum Teil werden Vorauszahlungen in Millionenhöhe verlangt. Man muss vorsichtig sein. In diesem Markt bewegen sich Leute, mit denen das Geschäfte-machen sehr risikoreich werden könnte.” 

Höhere Ansprüche

Die ständig anwachsenden Autobahnkilometer sind laut Liebermann mit ein Grund für den hohen Salzverbrauch im Strassenverkehr. Beispiele: Westumfahrung Zürich bis nach Zug, die Transjurane im Jura.

Für den Stadtluzerner Strassenbauinspektor gibt es noch weitere Mitverantwortliche für den zunehmenden Streusalz-Ausschüttungen:”Die Automobilisten erwarten heute schwarzgeräumte Strassen. Sie sind immer weniger bereit, die Geschwindigkeit den Strassenverhältnissen anzupassen. Und wenn es kracht, stellt man den Winterdienst in Frage und nicht, dass man zu schnell unterwegs gewesen sein könnte”,

Auch die Zweiradfahrer verlangten geräumte Fahrspuren und viele Fussgänger hätten den Anspruch, auch im grössten Schneetreiben mit normalen Schuhen unterwegs sein zu können.

Dass der Salzverbrauch nicht noch weiter angestiegen ist, führt Jurt auf die moderneren Winterdienstgeräte zurück. “Die Streutechnik ist wesentlich besser geworden, sie kann feiner eingestellt werden. Denn für uns gilt: So wenig wie möglich – so viel wie nötig. Wir haben an einer Ausweitung kein Interesse, das erhöht nur unsere Kosten.”

In der Schweiz besitzen die Kantone das Salzregal. Alle Kantone mit Ausnahme des Kantons Waadt haben ihr Regal an die Vereinigten Schweizerischen Rheinsalinen abgetreten.

Es gibt Bestrebungen, das Salzmonopol abzuschaffen. Dazu wäre eine Änderung der Bundesverfassung nötig. Die Kantone könnten auch von sich aus auf das Regal verzichten, was zurzeit als unwahrscheinlich gilt.

Die Schweizerischen Rheinsalinen könnten im Moment täglich 6000 bis 7000 Tonnen Streusalz absetzen.

Die tägliche Streusalz-Produktion in den Salinen Schweizerhalle und Riburg beträgt indes höchstens 1500 Tonnen.

Die beiden letzten kalten Winter werden für die fehlenden Vorräte verantwortlich gemacht. Der rund 80’000 Tonnen fassende Salzdom in Riburg konnte bis Winterbeginn nicht ausreichend gefüllt werden.

Adrian Aeschlimann, Leiter Sektion Medien vom Bundesamt für Umwelt, sagt gegenüber swissinfo.ch, die Strassendienste seien sich bewusst, dass die Ausbringung von Streusalz gewisse Probleme für die Umwelt schaffen könne.

Nimmt man für die Umwelt Partei oder schenkt man der Sicherheit der Bevölkerung im Verkehr mehr Gewicht? Für Aeschlimann ist das eine Interessenabwägung.

Streusalz wird seiner Ansicht nach in der Schweiz “moderat eingesetzt”. Zudem würden heute viele Strassen eigens entwässert und das Wasser in speziellen Kläranlagen gereinigt.

Das Schweizer Spezialitäten-Chemie-Unternehmen Clariant muss seine Enteisungsmittel-Produktion wegen Lieferschwierigkeiten für vier Tage unterbrechen

Clariant beliefert europaweit rund 100 Flughäfen. diesen drohen nun Engpässe.

Die Schweizer Flughäfen sind davon nicht betroffen, sie haben einen anderen Lieferanten..

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