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Die Spannung vor dem ersten Ton

Üben im Berliner Wohnzimmer statt Konzerte in St. Petersburg: Der international gefragte Harfenist Joel von Lerber ist dennoch optimistisch, bald wieder vor Publikum auftreten zu können.

Sein Kalender für dieses Jahr war mit zahlreichen Engagements gefüllt. Dann erwischte die Corona-Pandemie den 28-jährigen Schweizer Musiker im vollen Lauf. Statt auf der Bühne zu musizieren, joggt Joel von Lerber nun durch den Berliner Tiergarten oder übt in seiner Wohnung neue Stücke ein. Der Harfenist lebt seit fünf Jahren in der deutschen Metropole und hofft sehnsüchtig darauf, dass der Konzertbetrieb im Laufe des Sommers wieder langsam anlaufen möge: Weil er damit als Musiker seinen Lebensunterhalt verdient, aber mindestens so wichtig: Weil er die Musik liebt und die Energie im Konzertsaal schmerzlich vermisst.

junger Mann
Joel von Lerber. Petra Krimphove

Eine Reihe seiner Auftritte, darunter Konzerte in der Schweiz, wurden in das kommende Jahr verschoben und immerhin nicht gänzlich gestrichen. So ist sein Kalender für das Jahr 2021 bereits gut gefüllt. Auch dieser Umstand beruhigt, es gilt derzeit eine Durststrecke zu überwinden, und dabei, betont der Harfenist, hätte die schnelle Hilfe Berlins für Solokünstler sehr geholfen. Der dortige Senat griff Selbstständigen noch im März rasch und für deutsche Verhältnisse erstaunlich unbürokratisch mit einer Einmalzahlung von 5000 Euro unter die Arme. Von Lerber schwärmt von der Energie der deutschen Metropole, ihrem pulsierenden Kulturleben und der Chance, täglich etwas Neues zu entdecken. Zum Glück könne er seine Familie in Bern besuchen, wann immer Konzerte ihn in die Heimat führen. Aber vermissen tue er die Alpen nicht. «Die habe ich meine gesamte Kindheit über gesehen», sagt er und lacht. Er sei eben ein Grossstadtmensch.

Als Vierjähriger entflammt

Bereits als Vierjähriger verliebte er sich in die Harfe und wollte sie unbedingt spielen lernen. Niemand weiss, woher dieser Wunsch rührte. Zunächst glaubte seine Familie in dem kleinen Ort Rüeggisberg bei Bern an eine vorübergehende Laune, doch der kleine Joel gab nicht auf. Und so sass er bereits mit sechs Jahren im Postbus nach Bern, um im dortigen Konservatorium Unterricht zu nehmen. Mit 16 Jahren zeichnete sich ab, dass aus seiner Leidenschaft eine professionelle Musikerkarriere werden könnte. Zu dem Zeitpunkt spielte er auf Vermittlung seines Lehrers bei einer Professorin in München vor. Die prophezeite ihm, dass er an jeder europäischen Hochschule einen Studienplatz bekommen würde. So kam es dann auch. Heute gilt Joel von Lerber als einer der bekanntesten Namen in der Harfenisten-Szene.

Joel von Lerber wurde 1991 in Basel geboren. Mit sechs Jahren begann er seinen Harfenunterricht an der Musikschule Konservatorium Bern. Nach einem Bachelorstudium an der Musikakademie Basel folgten der Master of Arts an der Zürcher Hochschule der Künste und 2016 der Master of Music an der Hochschule für Musik Hanns Eisler Berlin. Anschliessend wurde Joel von Lerber hier in das renommierte Studienprogramm zum Konzertexamen aufgenommen, das er 2019 mit Auszeichnung ablegte. Der junge Harfenist hat bereits zahlreiche PreiseExterner Link gewonnen. Ende 2019 erschien seine erste CD «Harp»Externer Link, die er mithilfe einer Crowdfunding-Aktion innerhalb von zwei Tagen finanzierte.   

Dieser bemerkenswerte Frühling ist für ihn nach dem ersten Schock nun eine Zeit zum Üben und Innehalten. Dass viele seiner Kolleginnen und Kollegen ihre Musik derzeit per Livestream verbreiten, findet Joel von Lerber gut. Er selber tut es kaum. Der virtuelle Auftritt sei einfach kein Ersatz für ein Konzert. «Du willst den Austausch und die gemeinsame Energie.» Musik sei ein einzigartiger Weg, andere Menschen in seine Gefühlswelt einzubeziehen. Und so befürchtet er auch nicht, dass sich die vielen kostenlos gestreamten Konzerte als Konkurrenz zu kostspieligen Philharmonie-Besuchen etablieren könnten. «Wer einmal ein Konzert live erlebt hat, weiss, dass ein Livestream es nicht ersetzen kann.» Er selbst mag vorne auf der Bühne einen Moment ganz besonders: «Ich liebe die gespannte Ruhe in Sekunden, kurz bevor das Stück beginnt.»

Mal im Anzug, mal im Muskelshirt

Auf den Videos auf seiner WebsiteExterner Link kann man erleben, wie der Harfenist mit seinem 188 Zentimeter hohen Instrument verschmilzt und sich in die Musik versenkt. Stattliche 41 Kilogramm wiegt seine «Arianna», die er vor vier Jahren erwarb. Sie soll ihn Jahrzehnte lang begleiten. Wenn er mit dem Zug zu Konzerten in Deutschland und in seine Heimat fährt, verstaut er seine Harfe in einer voluminösen Tasche im Fahrradabteil. Keine Angst vor Dieben? «Nein, niemand klaut eine Harfe“, sagt er und lacht.

Die erste Absage aufgrund der Corona-Pandemie traf ihn besonders hart. Joel von Lerber sollte mit dem Sankt Petersburger Mariinsky-Orchester in Italien und in der Schweiz spielen und hatte sich sehr darauf gefreut. «Das war schon ein Schlag“, erinnert er sich. Und doch hat er im Vergleich zu Orchestermusikern einen grossen Vorteil: Als Solist kann er mit seiner Harfe auch vor einem kleinen Publikum auftreten. Vielleicht sei das ja ab dem Sommer mit dem notwendigen Abstand im Saal wieder möglich, hofft er.  

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Er übe gerne, sagt er, sei ehrgeizig und liebe den Wettbewerb. Und er bespielt auch die Social Media-Kanäle virtuos. Auf Facebook und Instagram präsentiert sich der Musiker mal im schicken Anzug, mal im Muskel-Shirt oder gar oben ohne an der Harfe. Seine Musik passt eben nicht nur in altehrwürdige Konzertsäle, so scheint die Botschaft, sondern in viele Kontexte. Wer dabei auch an den Schweizer Harfenisten Andreas Vollenweider denkt, zieht allerdings falsche Parallelen. Vollenweider habe zweifellos viel für das Ansehen der Harfe getan, seine Musik sei jedoch eine gänzliche andere, sagt Joel von Lerber: «Das ist, als wenn man Hip Hop und Enya vergleicht.»

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