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Gratis-Ortungsdienste haben ihren Preis

Michael Wolf

Navigationsgeräte, Mobiltelefone, soziale Netzwerke nutzen sie: Technologien, die auf GPS-Daten basieren, sind in letzter Zeit immer selbstverständlicher geworden. Doch die Folgen und Komplexität ihrer Nutzung sind nicht immer klar.

Meine letzte Anwendung war eine Velo-App (Abkürzung für Applikation), die mit Hilfe der GPS-Ortung meines Smartphones alle Reisen, die ich mache, aufzeichnet. Sie ist gratis und erlaubt mir auf einer dazugehörenden Website, meine sportlichen Ausfahrten mit dem Velo festzuhalten.

Doch um die Anwendung zu nutzen, muss ich mich erst beim Hersteller der App registrieren, sei es über ein soziales Netzwerk oder über meinen eigenen Benutzernamen. Bereits der erste Schritt also bedeutet, dass ich meine Daten mit anderen Leuten teile.

Einmal eingeloggt, kann ich mit meinem Velo loslegen. Mit eingeschalteter GPS-Funktion kann ich anfangen, meine Tour aufzuzeichnen. Doch will ich wirklich, dass andere Leute wissen, wo ich bin?

Jeder Schritt verlangt eine Entscheidung. Sollen die Daten, die ich aufzeichne, öffentlich sein oder nicht? Will ich die Daten in Echtzeit aufzeichnen oder erst, wenn ich die Tour abgeschlossen habe? Und wer soll dies zu sehen bekommen? Personen, die eine Geolokalisierungs-App benutzen, müssen sich entscheiden, wie viel ihnen die Privatsphäre wert ist.

Experten warnen vor Risiken im Umgang mit solchen Apps. “Eine Person, die beispielsweise eine Karten-Applikation auf ihrem Smartphone benutzt, hat vielleicht kein Problem damit, doch sie realisiert vielleicht nicht, dass ihre Positionsdaten gesammelt und zu anderen Zwecken genutzt werden können”, sagt Nicolas Nova, der an der Genfer Universität für Kunst und Design Ethnographie lehrt.

Während in den Nutzungsbedingungen einiger Apps erwähnt wird, dass solche Daten gesammelt werden können, kann dies auch ohne das Einverständnis des Nutzers geschehen.

So haben beispielsweise US-Forscher letztes Jahr belegen können, dass Mobiltelefone von Apple versteckt Ortungsdaten aufzeichneten, die jederzeit abgerufen werden können. Später kam heraus, dass auch Smartphones, die mit dem Android-Betriebssystem laufen, Lokalisierungs-Daten an Google schickten.

Keine Abschreckung

Doch laut dem Spezialisten für Internet-Recht Sébastien Fanti hat dies die Betreiber von GPS-Diensten nicht daran gehindert, mit ihrer Praxis weiterzumachen.

“Wenn man den Wert der Informationen bedenkt, die sie sammeln können, ist der Ansporn für Anbieter sehr hoch, sich über Gesetze und Regulierungen hinwegzusetzen”, sagt er gegenüber swissinfo.ch. “Und werden sie erwischt, drohen ihnen keine Sanktionen.”

Laut Fanti können Anbieter Querschlüsse aus solchen Daten ziehen, was nicht im Sinne des Nutzers ist. Details wie Gesundheit (Spitalbesuche), Religion (Kirchenbesuche), sexuelle Vorlieben (Klubbesuche) oder sogar Sucht (häufige Barbesuche) könnten mit Geo-Daten über einen gewissen Zeitraum offensichtlich werden.

Eine bevorstehende Gesetzgebung der Europäischen Union, die Bussen von bis zu zwei Prozent des Jahresumsatzes eines Betreibers vorsieht, könnte Teil einer Lösung werden. Im Normalfall übernimmt die Schweiz die EU-Gesetzgebung, indem sie ihre eigenen Gesetze anpasst.

Im Idealfall aber sollten die Nutzer ihr Einverständnis geben können, ob sie bereit sind, ihren Standort mit anderen zu teilen. “Wenn die Leute den Geschäftsbedingungen zustimmen, sind sie sich nicht bewusst, welche Folgen das hat”, erklärt Fanti. “Punkte, die mit Geolokalisierung zu tun haben, sollten ausdrücklich und separat erwähnt werden.”

Nova stimmt dieser Einschätzung zu. Eine Applikation sollte den Nutzer fragen, wenn sie den Standort bestimmen will. “Einigen mag das mühsam erscheinen, doch für mich garantiert das mein persönliches Recht auf Privatsphäre”, ergänzt er. “Dazu sollte auch das Recht gehören, betreffend meinem Standort zu lügen.” Kommt dazu, dass Kriminelle diese Daten zu ihrem Nutzen brauchen könnten, was vielen Nutzern Sorgen bereitet.

Doch für standortbasierte Dienste aller Art unsichtbar zu bleiben, ist ziemlich schwierig. Während es möglich ist, online nicht mitzumachen, erklärte das Schweizer Zentrum für Technologiefolgen-Abschätzung kürzlich in einem Bericht, dass man mit Systemen wie Videoüberwachung immer noch im öffentlichen Raum verfolgt werden kann.

Technologie über Privatsphäre

“Viele Nutzerinnen und Nutzer teilen private Daten wie etwa ihren Standort nicht gerne”, sagt Nova. “Während sie gerne Kartendienste benutzen, sind sie weniger daran interessiert, Dienste zu nutzen, die sie aufspüren. Die Leute sind vorsichtiger, weil sie die Folgen von Geolokalisierung einfacher abschätzen können.”

Eine US-Erhebung von diesem Jahr zeigte, dass fast 60 Prozent der Nutzer von Smartphones standortbasierte Dienste nutzten, trotz Bedenken über die persönliche Sicherheit und dass ihre Daten geteilt werden könnten. Forscher nennen dies das “Privacy-Paradox”.

Eine Erklärung für dieses Verhalten könnte sein, dass Konsumenten Technologie und Innovation höher werten als ihre Privatsphäre. “Viele von diesen Applikationen sind gratis, im Austausch für persönliche Daten, die für Werbezwecke oder zur gezielten Datenauswertung zum Erstellen eines Konsumentenprofils benutzt werden können”, erklärt Nova.

“Wenn eine Dienstleistung gratis ist, geht es immer darum, Daten oder Profile zu nutzen. Das Paradox wurde offensichtlich, nachdem solche Dienste erhältlich waren. Einige Nutzer hörten auf, diese zu nutzen, als sie das realisierten. Doch viele haben den ‘Preis’ akzeptiert, den sie zahlen müssen.”

Auf dem Polizei-Radar

In den USA hat die Polizei bereits Standortdaten von Smartphones herbeigezogen, um Personen zu finden. Damit wurde das System in ein Überwachungs-Instrument umfunktioniert. Vor einigen Monaten hat die New York Times berichtet, dass dieses “Tracking” häufig genutzt werde, auch wenn es gegenwärtig noch Unsicherheiten betreffend der Rechtslage gebe.

Dies ist in der Schweiz eher unwahrscheinlich. Während der “Patriot Act” in den USA alle möglichen Experimente mit Standortdaten möglich macht, kann die Schweizer Polizei nur bei schweren Verbrechen darauf zurückgreifen, und nur dann, wenn sie die Erlaubnis von einem Staatsanwalt erhalten hat.

Wie also sollen Nutzerinnen und Nutzer mit diesen Dienstleistungen umgehen? Das Büro des Eidgenössischen Datenschutzbeauftragten empfiehlt, zu entscheiden, ob die Positionsdaten wirklich nötig sind. Ein Fahrplan der Bahn braucht den Standort nicht zu wissen, ein Navigationssystem aber schon.

Wie verhalte ich mich nun auf meinem Velo? Vermutlich lasse ich den Anbieter auf meine Standortdaten zugreifen, weil ich den Dienst gut finde. Doch will ich die Resultate mit dem Rest der Welt teilen? Nein, denn ich schäme mich zu sehr über meine mageren Trainingsergebnisse.

Satellitenortung per Global Positioning System (GPS) wurde ursprünglich zur Navigation im militärischen Bereich entwickelt. Heute wird das System in verschiedensten Bereichen eingesetzt, häufig zur Navigation mit dem Auto.

Handy-Ortung erfolgt über die Mobilfunkantennen. Die Präzision der Ortsangaben hängt von der Dichte der Sendemasten ab. Technisch ausgereifte Handys mit Internetzugang, so genannte Smartphones, sind mit einem GPS-Modul ausgestattet, das eine genauere Ortung zulässt.

Wireless Local Area Networks (WLANs) dienen der drahtlosen Verbindung von nahe beieinander stehenden Computern untereinander und mit dem Internet. Eine WLAN-Basisstation ermöglicht den drahtlosen Zugang zu einem lokalen Netzwerk. Geortet werden die mobilen Geräte in Bezug auf die Basisstationen, sofern diese in entsprechenden Datenbanken verzeichnet sind.

Ortung über die IP-Adresse: Für den Zugriff aufs Internet benötigt jedes Gerät eine IP-Adresse. Da jeder Provider über einen festen Bestand an Adressen verfügt, lässt sich bei bekannter IP-Adresse der geographische Standort des Endgerätes auf ein bestimmtes Gebiet einschränken. Die genaue Ortung setzt voraus, dass der Provider die Verbindungsdaten preisgibt.

(Quelle: TA-Swiss: Geographische Wegmarken in der Cyberwelt. Ortungstechnologien als Herausforderung für eine offene Gesellschaft)

Das Zentrum für Technologiefolgen-Abschätzung machte in der Studie folgende Vorschläge an Politik und Verwaltung:

– Sie müssen sich für Massnahmen starkmachen, damit der Datenschutz im internationalen Rahmen durchgesetzt werden kann.

– In dem Mass, als die Organisation von Rettungsdiensten, Verkehrssystemen und anderen Handlungsfeldern der öffentlichen Hand auf Ortungssysteme aufbauen, müssen diese in das Schweizer Programm zum Schutz kritischer Infrastrukturen aufgenommen werden.

– Zudem gilt es, verlässliche und transparente Softwareprodukte zu zertifizieren, so dass der Datenschutz zu einem Qualitätsmerkmal der entsprechenden Angebote erhoben wird.

– Ferner gilt es, eine eingeschränkte Aufbewahrungsdauer von Ortungsdaten gesetzlich festzuschreiben; den Betroffenen sollte eine Art “digitaler Radiergummi” in die Hand gegeben werden, damit sie im Hinblick auf ihre personenbezogenen Ortungsdaten das Recht auf Vergessen durchsetzen können.

– Schliesslich ist die Kompetenz über elektronische Medien generell und besonders bei Jugendlichen zu verbessern, um diese für die Chancen und Risiken ihrer online gestellten Bewegungsprofile und Aufenthaltsorte zu sensibilisieren.

(Quelle: TA-Swiss: Geographische Wegmarken in der Cyberwelt. Ortungstechnologien als Herausforderung für eine offene Gesellschaft)

(Übertragen aus dem Englischen: Christian Raaflaub)

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