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Gewerkschaften: Lohndumping ist Realität

Lohndumping ist vor allem im Baugewerbe stark verbreitet. Keystone Archive

Der freie Personenverkehr zwischen der Schweiz und der EU hat laut den Gewerkschaften den Druck auf die Löhne in der Schweiz erhöht.

Die Regierung räumt ein, Lohndumping sei in einzelnen Kantonen ein Problem, glaubt jedoch nicht, dass das ganze Land betroffen ist.

Am 1. Juni trat die zweite Phase eines bilateralen Abkommens über den freien Personenverkehr in Kraft, und die so genannte Inländer-Bevorzugung wurde aufgehoben. Schweizer Arbeitnehmer werden seither im inländischen Arbeitsmarkt nicht mehr bevorzugt.

Bern hatte diesen zweijährigen Aufschub ausgehandelt, weil man befürchtete, das Land könnte von billigen Arbeitskräften aus dem EU-Raum überschwemmt werden.

Auch die Gewerkschaften fürchteten, dass die Löhne vor allem in den Grenzregionen der Schweiz ins Rutschen kommen könnten.

Seit dem 1. Juni haben Arbeitskräfte aus 15 Staaten der Europäischen Union freien Zugang zum Schweizer Arbeitsmarkt. Für die Ausdehnung des freien Personenverkehrs auf die 10 neuen EU-Staaten sind die Modalitäten noch nicht ausgehandelt.

Gewerkschaften warnen

Die neue Grossgewerkschaft Unia, die Mitte Oktober aus den Gewerkschaften GBI, Smuv, VHTL und Unia entsteht, soll mit einem Referendum gegen die Ausweitung des freien Personenverkehrs auf die osteuropäischen EU-Bürger antreten. Dies kündigte der designierte Tessiner Unia-Sekretär Saverio Lurati an.

“Wir haben schon früh vor den Gefahren des freien Personenverkehrs gewarnt. Jetzt zeigt sich im Tessin und anderen Landesteilen, dass die Probleme tatsächlich eintreffen”, sagt Lurati.

Die Zahl der Unternehmen, die Arbeiter zu tieferen Löhnen anstellen, habe seit dem 1. Juni zugenommen, erklärt der Chef-Ökonom des Schweizerischern Gewerkschaftsbundes (SGB), Serge Gaillard.

Die Gewerkschaften sind besonders über das Lohndumping im Bausektor beunruhigt. Die Branche beschäftigt 30% ausländische Arbeitnehmer.

“Viele Betriebe der Baubranche schliessen Zulieferverträge mit ausländischen Firmen ab, welche mit ihren Arbeitskräften in die Schweiz kommen und diese zu tieferen Löhnen beschäftigen”, sagt Gaillard weiter.

Kontrollen fehlen

Hans Rudolf Gysin, Direktor der Wirtschaftskammer Baselland, räumt ein, es sei für ausländische Firmen einfacher geworden, mit Schweizer Firmen Verträge auszuhandeln, ohne die Behörden zu informieren.

“Es gibt zuwenig Kontrollmechanismen”, so Gysin, “und ich muss sagen, das Lohndumping hat zugenommen. Im Kanton Baselland machen sich rund 20% der Firmen des Lohndumpings schuldig”.

Gemäss Gysin ist es in einem besonders schlimmen Fall vorgekommen, dass ein ausländischer Arbeiter 15 Franken in der Stunde verdiente, statt der vertraglich geforderten 27 Franken. Das ist entspricht einem Unterschied von 55 %.

Nicht allgemein verbreitet

Laut dem Bund, ist Lohndumping aber kein landesweites Problem. “Einige Kantone haben effektiv Probleme gehabt, aber ich denke, es nicht noch zu früh, um eine schlüssige Bilanz zu ziehen”, erklärt der Informationschef Bundesamtes für Zuwanderung, Integration und Auswanderung, Mario Tuor.

Ein detaillierter Bericht über die Auswirkungen des Abkommens und über den Einfluss der ausländischen Arbeitskräfte auf den Arbeitsmarkt wird Ende Jahr publiziert.

Die Kantone sind verpflichtet, den Arbeitsmarkt zu beobachten und bei Lohndumping einzuschreiten.

Gewerkschafter Gaillard weist darauf hin, dass viele Kantone die dazu nötigen Infrastrukturen noch nicht eingeführt haben. “Einige Kantone haben noch nicht mit Lohndumping-Kontrollen begonnen. In der Schweiz ist es nicht üblich, dass die Behörden auf dem Arbeitsmarkt Nachforschungen anstellen.”

Die Gewerkschaften wollen nun ihre Kontakte mit den Gewerkschaften in den umliegenden Ländern intensivieren.

swissinfo, Katalin Fekete
(Übertragung aus dem Englischen: Andreas Keiser)

Die zweite Phase eines bilateralen Abkommens über den freien Personen-Verkehr trat am 1. Juni in Kraft.

EU-Bürgerinnen und Bürger (EU 15) können seither ohne Arbeits-Bewilligung in der Schweiz arbeiten.

Laut den Gewerkschaften führt das Abkommen in der Schweiz zu Lohndumping.

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