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Gletscherschwund – na und?

Stiftung Landschaftsschutz

Die Schweizer Berge ohne Gletscher – kaum vorstellbar. Aber die Gletscher gehen zurück, das ist nicht neu. Schweizer Gletschergemeinden haben sich bis jetzt nicht auf dieses für sie bedrohliche Szenario eingestellt.

Das Gletschereis schmilzt nicht nur in Grönland oder am Kilimandscharo. Die Schweiz ist unmittelbar betroffen, so auch der Berner Oberländer Ort Grindelwald, am Fuss des Eigers und – inzwischen bald ausser Reichweite – des Grindelwaldgletschers. Dieser hat 2007 rund sieben Meter an Dicke verloren.

Das ist alarmierend, aber wer tut was dagegen? “Ich glaube, das Problem ist zu wenig greifbar und es ist zu schwierig, langfristig zu denken”, versucht Christine Neff von der Stiftung Landschaftsschutz Schweiz (SL) zu erklären. In einer Umfrage bei den 131 Schweizer Gletschergemeinden hat die SL eruiert, dass die meisten Kommunen diesem Problem fatalistisch gegenüberstehen.

“Die Verantwortlichen haben das Gefühl, zu wenig ausrichten zu können, denn Klimawandel und Gletscherschwund sind ja globale Probleme.” Wie soll man als einzelne Gemeinde einen Beitrag leisten, etwas in Richtung CO2-Neutralität zu machen?

Klimaveränderung für sich arbeiten lassen

Dabei könnten die betroffenen Gemeinden die Klimaveränderung auch für sich arbeiten lassen. Christine Neff: “Sie könnten mit dem Wandel werben: Wir sind uns bewusst, dass es einen Klimawandel gibt, denn unser Gletscher ist direkt davon betroffen. Deshalb setzen wir auf Energieeffizienz, fördern die Anreise mit öffentlichen Verkehrsmitteln, reduzieren den Energieverbrauch und kompensieren unseren CO2-Ausstoss.”

Zwar geben 40% der befragten Kommunen an, Gletscher seien ein wichtiger Bestandteil des touristischen Angebots. Aber es geht um viel mehr als nur um den Tourismus, der abnehmen könnte, wenn die Gletscher-Postkartenidylle nicht mehr stimmt.

Mehrfachnutzen

Das in den Gletschern gebundene Wasser ist auch als Trinkwasser und für die Energiegewinnung sehr wichtig. Schmelzen die Gletscher ab, schmelzen auch die Wasserzinsen weg.

Zudem erhöht ein Rückgang der Gletscher das Potenzial von Naturgefahren. Durch die Aufweichung des Permafrostes kann das bisher stabile Erdreich in Bewegung geraten und Erdrutsche verursachen. Darunter leiden die Talgemeinden, aber auch die touristische Infrastruktur wie Berg- und Seilbahnen werden betroffen sein.

Rund 70% der Gemeinden erwarten eine Zunahme von Naturgefahren, wenn die Gletscher wegschmelzen, haben jedoch keine Rezepte, diesem Gefährdungspotenzial zu begegnen. Sie fühlen sich offenbar ohnmächtig, denn nur 22% der befragten Kommunen glauben, dass sie einen Beitrag zum Schutz der Gletscher leisten können.

Kaum Zukunftszenarien

So erstaunt es nicht, dass lediglich 13% der befragten Gemeinden Zukunftsszenarien erstellt haben. Ja, sie befürchten nicht einmal einen Gästeverlust.

Für Christine Neff illustriert dies, dass sich Behörden- und Tourismusvertreter zu wenig mit der Problematik befasst haben.

“Erstaunlich, angesichts der grossen Bedeutung der Gletscher im ästhetischen Alpenbild und bei der grossen Änderung, die durch die Erderwärmung passieren wird.”

Konkrete Massnahmen gefragt

Eine pfannenfertige Lösung kann auch die Stiftung Landschaftsschutz nicht bieten. Sie ist jedoch der Ansicht, dass nur konkrete Massnahmen im Bereich Umweltbildung und –sensibilisierung etwas bringen.

Christine Neff nennt ein paar geglückte Projekte: “Davos hat einen Landschaftsweg mit dem Schnee- und Lawinenforschungsinstitut Weissfluhjoch geschaffen. Riederalp bietet als Umweltbildungsmassnahme ‘Schule auf dem Gletscher’ an.”

Als positives Beispiel führt sie auch das Walliserdorf Visperterminen an, das Probleme mit der Wasserversorgung bekam, weil die Zuleitung von den Gletschern immer dürftiger wurde. “Sie stellten zwei alte Holzwasserleitungen wieder in Stand und verbesserten mit diesem historischen Instrument die Wasserzufuhr für die Kulturlandschaft.”

Bundesaufgabe?

Christine Neff: “Man kann den Bund, die Politik durchaus in die Verantwortung nehmen. In diese Richtung zielt unser Vorschlag, einen ‘Aktionsplan Gletscher’ zu erarbeiten, analog dem Aktionsplan ‘Umwelt und Gesundheit’. Damit hätte man ein Instrumentarium, gewisse Massnahmen, an denen die Gemeinden interessiert sind, durchzuführen.” Damit könnten diese auf einen finanziellen Anschub und Anreiz zählen. Denn oft scheiterten Projekte am Mangel finanzieller Hilfsmittel.

“Wenn man die Umweltziele des Bundes betrachtet, spielen Nachhaltigkeitskonzept und CO2-Reduktion eine grosse Rolle. All das hängt sehr stark mit Klimawandel und Gletscherschwund zusammen. Und wenn man das anhand der Ikone Gletscher konkretisieren könnte, würde die Problematik auch greifbarer”, ist Neff überzeugt.

swissinfo, Etienne Strebel

Laut einer Inventarisierung der Gletscher in der Schweiz (Stand 2000) haben diese zwischen 1985 und 2000 rund 18% ihrer Fläche verloren. Von 1973 bis 1985 war es lediglich 1%.

Der Schwund ist unter anderem auf die heissen 90er-Jahre und die generell erhöhten Temperaturen zurückzuführen.

In den Alpen hat die Temperatur zudem stärker zugenommen als in den übrigen Regionen der Schweiz: Von 1850 bis 2000 wurde eine Zunahme um 0.6 Grad Celsius verzeichnet, in den Bergen waren es dagegen 1 bis 1.5 Grad.

Vor allem die kleinen Gletscher (kleiner als 0,5 Quadratkilometer) leiden unter den höheren Temperaturen in den Alpen.

Der Tourismus ist nicht nur Betroffener, sondern auch ein wichtiger Mitverursacher der Klimaänderung. Er trägt weltweit rund 5% zu den CO2-Emissionen bei, wobei der Strassenverkehr 32%, der Luftverkehr 40% und die Beherbergung 21% besonders ins Gewicht fallen.

Im Vergleich des Beitrags des Tourismus am weltweiten Bruttoinlandprodukt von 3,6% ist dieser Anteil überproportional.

Grundidee: Primär versuchen, möglichst wenige Treibhausgase zu emittieren und zusätzlich unvermeidliche Emissionen anderswo zu kompensieren.

Treibhausgase wirken global schädlich. Deshalb können Emissionen von Treibhausgasen von Ort A durch Verminderungsmassnahmen an Ort B neutralisiert werden.

Die Kompensation der Emissionen kann durch den Kauf vom Emissionsminderungs-Zertifikaten aus anerkannten Klimaschutzprojekten oder durch Unterstützung entsprechender Klimaschutzprojekte erfolgen.

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