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Grimsel: Turbinen und Touristen

Die Grimsel-Region ist für die Wasserversorgung der Schweiz von grosser Bedeutung. Keystone

Alpenlandschaften und Stauseen finden vermehrt zueinander, seit Wasser als erneuerbare, saubere Energiequelle verstanden wird.

Die Kraftwerke Oberhasli (KWO) versuchen, im Grimselgebiet Landschaftspflege, Energiegewinnung, Tourismus, Landwirtschaft und Beschäftigung zu vereinen.

Im Osten des Berner Oberlands, im Grimselgebiet, treffen grossartige Landschaften mit grossangelegten Industrieanlagen aufeinander. Dort vermochte sich, dank oder trotz den Stauseen und Kraftwerken, eine Natur zu erhalten, die heute das grösste Schutzgebiet des Kantons Bern umfasst.

Dadurch steigt der Nutzwert der Gegend zwischen Brienzersee und Grimselpass als “naturbelassene” Freizeitzone mit schützenswerter und dennoch bewohnter Landschaft. Nun könnten die Folgen des Klimawandels Energiebarone, Umweltbewusste, Anwohner und Touristen einander näherbringen.

Einziger Rohstoff der Schweiz: Wasser

Seit über 100 Jahren nutzen Kraftwerke in der Schweiz den praktisch einzigen Rohstoff des Landes: Wasser. Dieser günstigen Energiequelle verdankt die Schweiz ihre frühe Industrialisierung. Doch die Monopolsituation der Energie-Branche führte zu technokratischer Megawatt-Mentalität.

Andererseits schossen sich die Umweltschützer seit den 70er Jahren auf die Stauseen ein, die ihrer Ansicht nach den Wasserhaushalt der Natur schändeten.

In den 90er Jahren realisierte man schliesslich, dass Wasserkraftwerke nicht nur historisch bedingte Anhängsel im Portfeuille von auf Kernkraft fixierten Energie-Unternehmen sind.

Man wurde sich der Bedeutung der Wasserkraft als erneuerbare Energiequelle bewusst. Wasserkraftwerke produzieren CO2- und abfallfrei. Auch stellen Stauseen gegenüber thermisch betriebenen Kraftwerken (KW) sicher das kleinere Umwelt-Übel dar.

Wasserkraft: Wasserschloss gegen Blackouts

Die Wasserkraft steht heute laut Energieexperten vor einer neuen Blüte in Europa. Europas Stromnetze sind längst miteinander verbunden. Und deren Strompreis-Liberalisierung brachte auch mentale Bewegung bis in die Alpen, dem Wasserschloss Europas.

“Die Stromproduktion in Wasser-KW kann nach Belieben hoch- und runtergefahren werden, in thermischen KW geht das nicht”, sagt Roland Künzler von den Kraftwerken Oberhasli (KWO) zu swissinfo. “Deshalb wird Strom aus Wasser zum Ausgleich von Spitzenbelastungen benötigt.”

Wasser-Kraftwerke dienen deshalb auch als “Blackout-Verhinderer” – wichtig für ihre ausgleichende Rolle innerhalb der europäischen Netze. Das ist der Grund, weshalb die KWO die Mauern ihres Stausees um 23 Meter erhöhen möchten, “weil sonst zu wenig Spitzenenergie für die Winterzeit angeboten werden kann”, so Künzler.

Als Folge des derart vergrösserten Stausees gäbe es dann als Attraktion eine neue Hängebrücke für die Autofahrer, die auf 2000 Meter über Meer Teile der heutigen Pass-Strasse ersetzen würde.

Kompromisse im “Energy Valley” – Aaretal

Die Umwelt- und Landschaftsschützer stehen vor einem Dilemma: Höhere Staumauern sind unerwünscht, noch mehr Atomstromimporte aus dem Ausland ebenso. Aber der Energie-Konsum nimmt ohnehin zu.



Und die KWO haben begriffen, dass ihre Energiequelle zwar erneuerbar ist – und dass man die Landschafts-Pflege dabei nicht vergessen darf. Sie haben daher einiges unternommen, um den Alpenraum als attraktiven Lebensraum zu bewahren. “Wasserkraft, das heisst ‘Berge und Alpen’, so wie Erdöl für ‘Arabien und Wüste’ steht”, sagt Roland Künzler.

Er verbindet das Energiewirtschaftliche mit Landschaft, Tourismus und Regionalpolitik. Indem die KWO beispielsweise für Arbeitsplätze für Leute sorgen, die nebenbei noch Landwirtschaft betreiben, sorgen sie auch dafür, dass keine Vergandung einsetzt. An Löhnen und Steuern geben die KWO jährlich rund 40 Mio. Franken ab.

Konzerte bis Kristalle

So bleiben nicht nur die über der Baumgrenze gelegene Grimselgegend, sondern das ganze Tal inklusive der wilden Aareschlucht bis zum Brienzersee touristisch attraktiv.

“Die KWO sind bereits eine Art eigene Destination geworden”, sagt der Info-Chef Ernst Baumberger. Hotel, Hospiz, Berghaus, Konzerte in den Turbinenhallen, Kongress-Infrastrukturen, Kristallkluft, rekordsteile Zahnradbahn, eine eigene Zubringerbahn durch die Aareschlucht.

Aus dem eindimensional auf Megawatt und Mauerbeton ausgerichteten Kraftwerk ist ein integriert auftretender “Player” im touristischen Angebot geworden. Innerhalb der “Alpen Region” genannten Oberländer Destination Brienz-Meiringen-Hasliberg ziehen die KWO inzwischen jährlich bis 30’000 Gäste an.

Turbinen-Hallen als lebendige Industrie-Museen

Bleibt der Bezug zu den Technologie- und Energie-Themen, die als “special interest”-Erlebnis Anklang finden: 6 Stauanlagen, 9 Kraftwerke, 29 Maschinengruppen sowie 130 km Zugangs- und Wasserstollen lassen die Herzen vieler Technik-Fans höher schlagen: “Energy Park” oder “Energy Valley” wäre in diesem Fall die richtige Bezeichnung.

Besonders, da die KWO ihren Strom teils noch mit einem robusten “Turbinenpark” herstellen, der aus den zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts stammt. Die Anlagen, buchhalterisch längst auf einen Rappen abgeschrieben, werden technisch noch lange funktionieren.

Auf den Maschinen und Turbinenteilen entdeckt man Bezeichnungen wie “BBC – Brown Boveri”, “Escher-Wyss”, “Maschinenfabrik Oerlikon” und andere klingende Namen aus der Schweizer Industriegeschichte.

Stauseen statt Schmelz-Gletscher

Der drohende Klimawandel zwingt die Akteure zu Partnerschaften: Galten früher Stauseen als künstliche Fremdkörper einer als heil erachteten Alpenwelt, dienen sie heute als ökologisch benötigtes Hydro-Ausgleichsbecken. Denn sie übernehmen Funktionen, welche die Gletscher vielleicht nicht mehr bewerkstelligen können.

Früher sogen die Gletscher die unregelmässig anfallenden Niederschläge auf und gaben sie im Sommer wieder ab. Heute schmelzen sie selbst, und ihre ausgleichende Wirkung nimmt ab.

Ohne diesen Ausgleich würden nach ergiebigen Niederschlägen jeweils wilde Wassermassen die Talwiesen auswaschen und in den tiefer gelegenen Seen und Flüssen zu Überschwemmungen führen. Das hohe Wasserrisiko würde die Gegend weniger wohnlich machen, und auch die Gäste blieben aus.

Szenarien, wie man sie aus der wassermässig ungenügend regulierten Po-Ebene oder aus Dritt-Welt-Ländern kennt.

swissinfo, Alexander Künzle, Innertkirchen

Wasser – praktisch einziger Rohstoff der Schweiz

Wasser – weltweit wichtigste und wirtschaftlichste der erneuerbaren Energiequellen (neben Wind und Sonne)

Wasser – Attraktion (Aareschlucht, Stauseen, etc.)

Wasser – als Gletscher heute dem Klimaeffekt unterworfen (Abschmelzen)

Wasser – als Reservoir übernehmen die Stauseen die Funktion der Gletscher

Kraftwerke Oberhasli:
Aktienkapital: 120 Mio. Fr., 50% davon gehört BKW
Bilanzgewinn: 4,26 Mio. Fr.
Lohnsumme: über 19 Mio. Fr.
Steuern: über 20 Mio. Fr.
Stauanlagen: 6
Kraftwerke: 9
Stollen: 130 km
Gäste: jährlich rund 30’000
Hotel/Restaurant: 3
Betten: über 250 (Zimmer, Lager)
Kongress: 5 Säle von 15 bis 200 Plätze

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