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Guantánamo: Fragezeichen um Tod von Gefangenen

Professor Mangin vermisst klärende Informationen aus den USA. Keystone

Als Todesursache von drei Insassen sei Selbstmord wahrscheinlich, doch blieben wichtige Fragen offen, sagte der Lausanner Gerichtsmediziner Patrice Mangin.

Nach dem Wissenschafter, der eine der Leichen obduzierte, hält das US-Militär wichtige Informationen und Material zurück.

“Ich finde es bedauerlich, dass die US-Behörden den Zugang zu Material verwehrte, mit dem sich die Selbstmord-These erhärten liesse”, sagte Patrice Mangin in Genf. Dabei gebe es wenig Zweifel, dass die Gefangenen sich selbst das Leben genommen hätten.

Der Direktor des gerichtsmedizinischen Instituts der Universität Lausanne listete deshalb offene Fragen in einem Bericht auf, den er am Freitag vorstellte.

Misstrauen

Ein Jemenit und zwei Saudiaraber wurden am 10. Juni 2006 tot in ihrer Zelle des Gefängisses auf dem US-Stützpunkt Guantánamo aufgefunden. Das Urteil der US-Behörden lautete “Suizid durch Erhängen”. Die Familie des Jemeniten Ahmed Ali Abdullah gab sich mit dieser Angabe nicht zufrieden, weil sie es für unmöglich erachtete, dass sich der Sohn das Leben nahm.

Sie kontaktierte die in Genf ansässige Menschenrechts-Organisation Alkarama. Diese beauftragte in der Folge das Lausanner Institut mit einer Autopsie Abdullahs. Mangin führte diese am 21. Juni in einem Spital in Sanaa durch, der Hauptstadt Jemens.

Wieso fehlen aufschlussreiche Organe?

In einem Interview mit der Westschweizer Tageszeitung Le Temps vom Samstag sagte Mangin, die sterblichen Überreste des Jemeniten wiesen tatsächlich Strangulationsmale am Hals auf. Aber Teile des Rachens, des Kehlkopfs und der Luftröhre hätten gefehlt, die Organe also, deren Prüfung bei Erhängen am wichtigsten seien.

Sein Brief mit den entsprechenden Fragen an die US-Behörden sei bisher nicht beantwortet worden, fügte Mangin bei. Der saudische Gerichtsmediziner, der die andern beiden Toten obduziert habe, sei mit demselben Mangel konfrontiert gewesen.

Spuren beseitigt?

Mangin hatte auch blaue Flecken auf dem rechten Handrücken festgestellt, die möglicherweise durch eine Injektion verursacht wurden. Unverständlich sei ferner, dass die Finger- und Zehennägel kurzgeschnitten worden seien.

Der Jemenit sei durch Ersticken gestorben, sagte Mangin weiter. Es sei demnach möglich, dass es sich um Suizid handelte, allerdings sei dies nicht die einzige potenzielle Todesursache. Er schloss auch eine Hinrichtung durch Hängen oder Strangulieren nicht aus.

Praktisch lückenlose Überwachung

Nach Aussagen früherer Guantánamo-Gefangenen gingen mindestens alle fünf Minuten Wärter vor den Zellen vorbei. Ein Tod durch Erhängen dauere mindestens drei Minuten, führte Mangin aus. Die Person hätte demnach nur zwei Minuten Zeit gehabt, um alles vorzubereiten, “… und drei Selbstmorde durch Erhängen am selben Tag?”, fragte er sich.

Washington habe all seine Verantwortung wahrgenommen, sagte Dan Wendell, Sprecher der US-Botschaft in Bern, gegenüber swissinfo. “Wir unternehmen alles, um die Gefangenen daran zu hindern, sich ein Leid anzutun.” Die Leichen seien ferner würdevoll behandelt worden, fügte er an.

swissinfo, Adam Beaumont und Agenturen

Die Menschenrechts-Organisation Alkarama will den Bericht Mangins den UNO-Sonderberichterstattern für aussergerichtliche Hinrichtungen und für Menschenrechte und Terrorismusbekämpfung übergeben.

Die Angehörigen von Abdullah wollen die USA gerichtlich zur Herausgabe von fehlenden Dokumenten zwingen.

Die USA halten in Guantanamo seit 2002 Gefangene fest, die sie des Terrorismus verdächtigen.
Schätzungen gehen von 400 Insassen aus über 30 Ländern aus.
Die Schweizer Regierung und das IKRK haben sich über die Menschenrechtslage in Guantanamo besorgt gezeigt.

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