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Heavy Metal am Berg

Auf dem Klettersteigim Baltschiedertal. swissinfo.ch

Klettersteige werden in den Schweizer Alpen immer populärer. An den fest installierten Stahlseilen können auch normale Berggänger Erfahrungen machen, die sonst Kletterern vorbehalten sind.

swissinfo nahm einen Augenschein bei den Routen, die bei Umweltschützern auf Widerstand stossen.

Der Weg zum Klettersteig im Baltschieder-Tal im Wallis führt entlang einem alten, in den Fels gehauenen Wasserkanal. Nach etwa einer Stunde deutet Bergführer Hans-Christian Leiggener auf eine steile Klippe: “Da hinauf gehen wir.” Fast 1000 Höhenmeter geht es ab hier beinahe senkrecht hinauf.

Militärisches Erbe

Stahlkabel, Metallsprossen, Leitern und Brücken wurden seit Mitte des 19. Jahrhunderts verwendet, um steile und unzugängliche Routen-Abschnitte zu sichern. Im ersten Weltkrieg bauten Soldaten in den italienischen Alpen regelrechte Netzwerke, um Nachschub zu liefern und Kanonen in Stellung zu bringen.

In Italien existieren heute noch rund 150 Klettersteig-Routen in den Dolomiten, im Südtirol und um den Gardasee. Sie erfreuen sich einer grossen Popularität. Seit ungefähr zehn Jahren werden auch in der Schweiz solche Routen eröffnet.

Selbstsicherung am Stahlseil

Zwei grosse Karabiner sind mit einem kurzen Stück Seil an unserem Klettergurt befestigt. Der Bergführer erklärt uns, wie wir immer einen davon ins Stahlkabel einhängen müssen, bevor wir den andern umhängen. Das Kabel zieht sich bis zur Spitze durch. Wir können ihm folgen, ohne jemals ungesichert zu sein.

Im Falle eines Sturzes würde dieses so genannte “Klettersteig-Set” den Kletterer vom Sturz in den Tod retten. So können auch Nicht-Kletterer Routen begehen, die sonst Kletterern vorbehalten blieben.

Etwas verhalten hängen wir uns ein und wagen die ersten Schritte auf dem Weg zum Gipfel. Wo es geht, halten wir uns an den Vorsprüngen im Fels. Wird er zu glatt oder überhängend, greifen wir nach den Metallsprossen. Und manchmal ziehen wir uns beinahe verzweifelt am Stahlseil selber hoch.

Touristen-Attraktion

In der Schweiz gibt es mehrere Dutzend Klettersteige. Einige sind älter als 100 Jahre, die meisten wurden aber erst kürzlich eingerichtet.

“Es ist ein wichtiges Teil im ganzen Puzzle, das mehr Touristen anlocken soll”, erklärt Bergführer Leiggener.

Im Falle des Dorfes Ausserberg im Baltschiedertal ist es eines der wenigen Puzzle-Teile, die überhaupt Leute in die Region locken. Das Dorf besteht aus einigen Hotels, einer rustikalen Hütte auf einem Grat über dem Dorf und einer Bergschule.

Besucher kamen früher nur in kleiner Zahl, sie suchten die Berghänge, die von keinen Skiliften verbaut sind und die Flüsse, die von keinem Damm gestaut werden. Seit 1997, der Eröffnung des Klettersteigs, kommen die Touristen vermehrt: Jährlich um die 500 bezwingen den Berg entlang den Stahlseilen.

Entsetzte Umweltschützer

Die Umweltschutz-Organisation “Mountain Wilderness” kämpft gegen “die schleichende Verschandelung der ursprünglichen Gebirgslandschaften”. Die Umweltschützer sorgen sich, dass immer neue Klettersteige das fragile alpine Öko-System übermässig belasten.

“Der Klettersteig erlaubt den Zugang zu einer Landschaft, die normalerweise der breiten Öffentlichkeit nicht offen steht”, verteidigt Bergführer Leiggener die Kabel und Leitern am Berg. “Umweltschützer sähen die Alpen am liebsten als touristisches Sperrgebiet. Aber ohne Touristen könnten die Bergdörfer nicht überleben und alle müssten in die Städte ziehen.”

Er wehrt sich auch gegen den Vorwurf, die Schweizer Berge seien bald so erschlossen wie die italienischen Alpen. Es gäbe keine Pläne, im Baltschiedertal einen weiteren Klettersteig einzurichten. Und: “Ich bin kein grosser Fan von Heavy Metal”, meint er scherzend.

Murmeltiere und Steinböcke auf dem Weg zum Gipfel

Auf dem steilen Weg nach oben hören wir den schrillen Pfiff eines Murmeltiers. Während der wohlverdienten Rast beobachten wir einen Steinbock, wie er über ein Schneefeld huscht.

Der Bergführer deutet beim Aufstieg auf Orchideen, Alpenrosen, Enziane und andere Berg-Blumen in voller Blüte. Nach anstrengenden vier Stunden stehen wir auf dem Gipfel und geniessen die Aussicht über das gesamte Baltschiedertal.

swissinfo, Dale Bechtel, Baltschiedertal
(Übertragung aus dem Englischen: Philippe Kropf)

Key facts:
Ein Klettersteig ist eine Bergroute, die mit Kabeln, Griffen und manchmal Leitern oder Brücken gesichert ist.
Entlang dem Klettersteig können auch Berggänger ohne Kletter-Erfahrung Gipfel bezwingen.
In der Schweiz gibt es rund zwei Dutzend Klettersteige.

Klettersteige als Tourismus-Attraktion kamen in der Schweiz erst in den letzten Jahren auf, im Gegensatz zum Nachbarland Italien, wo sie sehr verbreitet sind.

Umweltschützer fürchten ums alpine Öko-System, weil Klettersteige zu einer erhöhten Belastung der Felsflora führen und Wildtiere in ihren Rückzugsräumen stören.

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