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Hochschulen verstärken internationale Präsenz

Studierende am Forschungszentrum der ETH Zürich in Singapur. Naomi Hanakata/ETH

Weil komplexe Forschungsprojekte immer internationaler abgewickelt werden, dringen Schweizer Hochschulen zunehmend an Standorte der Spitzenforschung im Ausland vor. Jüngstes Beispiel: Ein ETH-Zentrum für globale Nachhaltigkeit in Singapur.

Mitte März hat der Schweizer Innenminister Alain Berset in Singapur das “Singapore-ETH Centre for Global Environmental Sustainability” (SEC) eingeweiht. Es handelt sich um ein Projekt der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich (ETHZ), das gegenwärtig 119 Forschende zählt.

Die Präsenz der ETHZ in Singapur hatte vor einem Jahr mit einer Belegschaft von fünf Personen ihren Anfang genommen. Konzipiert wurde sie etwa zur selben Zeit, als die Eidgenössische Technische Hochschule Lausanne (EPFL) 2009 eine Forschungspräsenz in den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAR) etablierte.

Franco Vigliotti, Dekan des im Emirat Ras al-Khaiman angesiedelten Forschungszentrums EPFL Middle East, erklärte gegenüber swissinfo.ch, die strategische Lage der Vereinigten Arabischen Emirate zwischen Asien, Europa und Afrika habe den Ausschlag zur Wahl des Ortes gegeben. Etwa 13 bis 15% der Studierenden an der EPFL stammten heute aus dem Nahen und Mittleren Osten, aus Nordafrika und Indien.

Die EPFL sei auf europäischem Niveau heute eine der Top-Hochschulen, was das Interesse an der EPFL auch in Ländern des Mittleren Ostens und darüber hinaus steigen lasse, so Vigliotti. “Die EPFL rechnet mit einer steigenden Nachfrage nach Studienplätzen. Wir können nicht weiterfahren wie bisher, sondern müssen einen Weg finden, etwas anzubieten, das sie in Betracht ziehen können – und das näher bei diesen Ländern liegt.”

Die Emirate haben sich laut Vigliotti sehr darum bemüht, international renommierte Forschungsinstitutionen ins Land zu holen. Heute seien 25% der weltweiten Offshore-Universitätseinrichtungen dort angesiedelt. “Die Bemühungen, die VAR zu einen Hub für höhere Bildung in der Region zu machen, haben zu einem extrem schnellen Wachstum geführt”, sagt er.

Den Schritt ins Ausland erleichtern einerseits finanzielle Anreize, welche Regierungen setzen, um ihr Land zu einem bevorzugten internationalen Forschungsstandort zu machen. Andererseits zwingt wachsender internationaler Wettbewerb auch die Schweizer Institutionen, ihr Knowhow und ihre Expertise zunehmend zu exportieren. Davon erhoffen sie sich, Einflüsse und Auswirkungen ihrer Forschungen zu vergrössern.

Auch dank Internet 

Die zunehmende Internationalisierung war einer der prägenden Faktoren der wissenschaftlichen Forschung in den letzten zwei Dekaden. Vorangetrieben wurde diese Entwicklung durch leichteres Reisen und neue Kommunikationsmittel.

Mauro Moruzzi, Chef der Abteilung Internationales beim Staatssekretariat für Bildung und Forschung (SBF) erklärt, 35% der veröffentlichten wissenschaftlichen Artikel weltweit würden heute auf internationaler Zusammenarbeit beruhen, während es vor 15 Jahren noch 25% gewesen seien.

“In der Schweiz ist das Forschungs-Personal extrem international, an der ETHZ wie an allen Schweizer Universitäten sind zur Zeit etwa die Hälfte der Lehrkräfte ausländische Staatsangehörige, bei den Doktoranden und Postdoktoranden stammen gar rund zwei Drittel aus dem Ausland”, sagt Moruzzi.

Gerhard Schmitt, Direktor des Singapore-ETH Center, erklärt, der Entscheid für den Standort Singapur sei auf die bereits bedeutende Forschungszusammenarbeit der ETH mit Partnern in Asien wie Singapur, Japan, Indien, China und Australien zurückzuführen. “Wir hatten mit Singapur schon eine starke Zusammenarbeit, was die Publikation von Artikeln und den Austausch von Studierenden betrifft”, so Schmitt. “Wir wussten daher, dass dies eine sehr gute Universität ist. Und die Kollegen hier sind Forschende von hohem Renommee.” Dies seien wichtige Aspekte, um das Zentrum für Professoren und Professorinnen der ETH attraktiv zu machen.

Die Besten im Visier 

Die Forschungskompetenz von Wissenschafterinnen und Wissenschaftern ist ein wichtiger Faktor für Schweizer Universitäten bei der Evaluation von Partnerinstituten im Ausland.

“Es ist natürlich viel einfacher, mit anderen Forschenden zusammenzuarbeiten, wenn man im gleichen Gebäude ist”, unterstreicht Schmitt. Er weist darauf hin, dass auch international führende Hochschulen wie das Massachusetts Institute of Technology (MIT) und die University of California in Berkeley, mit denen die ETHZ bereits enge Bande hat, auf dem Campus for Research and Technology (Create) in Singapur präsent sind.

“Das Thema Urbanisierung ist für uns von grossem Interesse. Das MIT ist interessiert an Aspekten wie der Mobilität. Und die University of California in Berkeley hat grosses Interesse am Bereich Gebäude-Effizienz, der auch für unser Projekt ‘Stadt der Zukunft’ sehr wichtig ist. So haben wir hier eine grosse urbane Gruppe, die schon allein aus gemeinsamen Interessen heraus zusammenarbeitet”, erklärt Schmitt.

Aber beim Entscheid, im Ausland ein Forschungszentrum einzurichten, gehe es um mehr als nur den Wunsch nach einer engeren Zusammenarbeit mit ausländischen Freunden und Kollegen. Der Schritt ins Ausland sei auch mit einem Ausbau der Forschungsgebiete verbunden. Doppelspurigkeiten sind laut Schmitt zu vermeiden. “Wir wollten nicht ausserhalb der Schweiz Forschung betreiben, die auch an der ETHZ erfolgen kann.”

Neuland betreten 

Vigliotti stimmt dem zu und erklärt die Präsenz in den Vereinigten Arabischen Emiraten als einen “neuen Forschungsmarkt”, der es der EPFL ermöglicht habe, neue oder komplementäre Forschungsgebiete zu erkunden. Solches wäre in der Schweiz nicht möglich gewesen.

“Beispielsweise konnten wir Solarzellen testen, die in der Schweiz für Extrembedingungen entwickelt worden waren. Im Vordergrund der Tests standen Lebensdauer und Wirkungsweise der Zellen. Anhand solcher Tests können wir das Exportpotenzial solcher Sonnenkollektoren für Regionen wie den Mittleren Osten abschätzen”, erläutert er.

Wenn die Schweiz ihren Spitzenplatz in Forschung und Innovation verteidigen wolle, “müssen wir uns der Welt öffnen”, erklärt Vigliotti. “Die Schweiz ist ein kleines Land. Wenn man schon nur allein die Zahlen anschaut, ist das Becken zur Rekrutierung von Studierenden und Professoren etwas klein.”

Für Schmitt stellt die Präsenz der ETH auf dem Create-Campus in Singapur zudem einen Bruch dar mit den universitären Strukturen alter Schule. “Wir beschäftigen Forscher und ermöglichen neue Wege von Interaktionen, indem auf Themen, Forschungsresultate, Verbreitung und Interaktion mit den besten Leuten weltweit fokussiert wird statt auf Fächer”, schwärmt Schmitt. “Es ist ein wirklich neues Modell und wir sind sehr gespannt, wohin es führen wird.”

Das ETH-Labor für Zukunftsstädte (Future Cities Laboratory, FCL) ist ein interdisziplinäres, fächerübergreifendes Forschungszentrum mit Fokus auf nachhaltiger Stadtentwicklung in einem globalen Rahmen.

Es ist das erste Forschungsprogramm des “Singapore-ETH Centre for Global Environmental Sustainability” (SEC).

Es umfasst aktuell mehr als 100 Doktoranden, Postdoktoranden und Forschungs-Professoren aus unterschiedlichen Fachgebieten.

Konkret befasst sich das FCL vor allem mit der Frage, wie Städte der Zukunft gestaltet, verwaltet, gepflegt und bewohnt werden können, um die Ziele einer globalen und nachhaltigen Entwicklung zu stärken.

In einem interdisziplinären Rahmen beschäftigt sich das Zentrum sowohl mit weiter gefassten Bedrohungen und dem Potential zeitgenössischer Städte.

Das Forschungszentrum EPFL Middle East, das Diplom- und Nachdiplomforschung im Energie- und Nachhaltigkeits-Bereich zusammenführt, befindet sich in Ras al-Khaiman in den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAR).

Angeboten werden Forschungsprogramme auf Stufe Masters und Promotion in den Bereichen Stadtverkehr, Wind, Energie und Wasser, sowie Lehr- und Weiterbildungs-Programme in verwandten Bereichen.

(Übertragung aus dem Englischen: Rita Emch)

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