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Joseph Deiss – der Präsident der Mitte

Bundespräsident Joseph Deiss im Gespräch mit swissinfo. swissinfo.ch

Der neue Bundespräsident Joseph Deiss will 2004 den Dialog im Bundesrat, aber auch innerhalb der Schweizer Bevölkerung fördern.

Zudem will sich der CVP-Wirtschaftsminister für die Rolle der Schweiz auf internationalem Parkett einsetzen und das Wirtschafts-Wachstum fördern, wie er im Gespräch mit swissinfo erklärt.

swissinfo: Sie sind zum ersten Mal Bundespräsident – wegen der Abwahl ihrer Parteikollegin Ruth Metzler ein Jahr früher als vorgesehen. Empfinden Sie trotzdem Freude?

Joseph Deiss: Dieser Verlust einer ausgezeichneten Kollegin ist für mich natürlich das Hauptereignis. Trotzdem will ich das Amt des Präsidenten voll und ganz übernehmen und werde das mit viel Engagement und Freude tun.

swissinfo: Sie sind jetzt im Bundesrat der einzige Vertreter einer Mitte-Partei. Als Bundespräsident kommt Ihnen die Rolle eines Vermittlers zu. Sie müssen eine Equipe im Zaum halten, der einige starke Persönlichkeiten angehören. Haben Sie nicht Angst, dass statt Konkordanz und Kollegialität Zwist herrschen könnte?

J.D.: Jetzt warten wir mal ab und versuchen, nicht im vornherein schon irgendwelche Probleme heraufzubeschwören. Zudem bin ich nicht der einzige Vertreter der Mitte-Parteien, es gibt noch zwei Vertreter der FDP, die auch zur politischen Mitte zählen.

Es stimmt aber, dass die Extreme gestärkt wurden und vielleicht mehr Bedarf für Konsenssuche besteht. Andererseits hat sich das Terrain für die Mitte-Parteien etwas vergrössert. Ich hoffe, es wird möglich, im Zentrum eine eigenständigere Politik zu entwickeln.

Auch hoffe ich, dass wir im kommenden Jahr mehr Dialog und Konkordanz haben, und es im Bundesrat Kollegialität geben wird. Ich werde mich als Bundespräsident bemühen, Lösungen mitzuentwickeln und zu steuern, die annehmbar und verwirklichbar sind.

swissinfo: Welche Akzente werden Sie in Ihrem Präsidialjahr setzen?

J.D.: Ich möchte insbesondere im Innern Akzente setzen und im Bundesrat die Kollegialität fördern. Auch möchte ich den Dialog unter den Schweizern fördern und sie auf das Gemeinsame hinweisen.

Ein weiteres Thema ist die Chancengleichheit. Wir müssen die bereits geschaffenen Bedingungen ausbauen, so dass jeder seine Chance hat. Das ist die Aufgabe der Politik. Auf der anderen Seite müssen wir die Schweizerinnen und Schweizer ermuntern, ihre Chance wahrzunehmen. Das ist dann die Aufgabe jedes einzelnen.

swissinfo: Welche Signale wollen Sie ans Ausland, im Speziellen an die Auslandschweizer-Gemeinde senden?

J.D.: Einerseits, dass die Schweiz bereit ist, im Rahmen der WTO, in den Verhandlungen mit der EU und in anderen Gremien dafür zu sorgen, dass die Rahmenbedingungen für die internationalen Wirtschaftsbeziehungen verbessert werden – im Interesse der Schweiz, aber auch im Interesse unserer Partner.

Zudem soll sich die Schweiz weiterhin und mit gleichem Elan für ihre Werte einsetzen und ihre Dienste für den Frieden und die Menschenrechte erbringen.

Was die Auslandschweizer betrifft habe ich mich schon als Aussenminister immer stark für sie eingesetzt. Sie sollen wissen, dass wir auf sie zählen, aber auch zu ihnen schauen. Auch möchte ich sie noch mehr animieren, sich am politischen Leben in der Schweiz zu beteiligen.

swissinfo: Terroralarm, Krieg in Irak, Spannungen in Iran und Nordkorea, unsichere Lage in Afghanistan – wie lautet Ihre Einschätzung der internationalen Lage?

J.D.: Wir haben dieses Jahr einen Krieg in Irak erlebt. Ich bin eher zuversichtlich, dass wir darüber hinweg kommen. Aber man sollte nicht zu früh loben.

Ich denke, dass die Schweiz auch in Zukunft ihren Beitrag erbringen soll. Wir haben im Sudan viel getan, wir sind in Afghanistan, Kolumbien und Irak präsent und haben im Nahen Osten eine private Initiative unterstützt. Zudem spielen wir in der UNO eine sichtbare Rolle. Die Schweiz erbringt für die internationale Sicherheit gegenwärtig Anstrengungen, die sich sehen lassen können.

swissinfo: Sie haben sich für einen Beitritt der Schweiz zur EU ausgesprochen. Rückt mit der neuen Zusammensetzung des Bundesrates eine EU-Mitgliedschaft in weite Ferne?

J.D.: Ich stehe hinter der Politik des Bundesrates, der den EU-Beitritt immer als strategisches Ziel gesehen hat. Ich bin aber auch für ein pragmatisches Vorgehen. Gegenwärtig haben wir bilaterale Verträge, die in Kraft sind, wir handeln neue Verträge aus, was nicht einfach ist.

Pragmatisch vorgehen bedeutet, diejenigen Verbesserungen anbringen, die machbar und möglich sind. Wir müssen jedoch stets im Auge behalten, was das Endziel sein könnte.

swissinfo: Die Hauptsorge der Schweizer Bevölkerung ist die Arbeitslosigkeit. Welche Impulse werden Sie als Wirtschaftsminister setzen, um die Wirtschaft anzukurbeln?

J.D.: Wir setzen voll auf Wachstum, also auf die mittel- und langfristige Strategie. Der Bundesrat hat das Wirtschaftswachstum zum Legislaturziel erklärt. Mein Departement hat ein breites Programm zu steuern, das von der Berufsbildung über die Forschung, Innovation und Finanzen bis zum Wettbewerb und der Verbesserung der Zugänge zu den Märkten im Ausland reicht.

Ziel ist es, die Schweiz wieder wettbewerbsfähig zu machen. Das hindert uns nicht, auch die kurzfristige gegenwärtige konjunkturelle Lage im Auge zu behalten. Hier sind alle möglichen Massnahmen voll im Gang: Sei es bei der Nationalbank, der Arbeitslosen-Versicherung oder im Rahmen des Budgets.

Die Anzeichen für eine Besserung sind relativ gut. Wir hoffen, dass wir 2004 ein Wachstum von 1,5% erreichen können.

swissinfo: Sparen – Wirtschaftförderung, ist das nicht ein Widerspruch?

J.D.: Sicher ist das Sanieren unserer Finanzen eine Bedingung für das Wirtschaftswachstum. Das kann kurzfristig etwas widersprüchlich aussehen, aber ich glaube mittel- und langfristig gibt es nur den Weg der gesunden Finanzen.

swissinfo: Wir haben im Bundesrat zwei neue Mitglieder (Merz und Blocher), die unternehmerisch denken. Bedeutet dies nun den Abschied von einer sozialen Schweiz?

J.D.: Ich hoffe nicht. Die Schweiz hat ein System, das der sozialen Marktwirtschaft entspricht, das heisst, wir sind für Marktwirtschaft und Wettbewerb.

Wir sind aber auch der Meinung, dass es der Markt alleine nicht schafft, insbesondere was die Schwächeren betrifft. Und deshalb haben wir ein gut ausgebautes System der sozialen Sicherheit. Dieses System gilt es zu wahren.

Ein zweites wichtiges Ziel des Bundesrates ist es, die Fragen und Probleme rund um die soziale Sicherheit (Altersvorsorge, Krankenversicherung, Invalidenversicherung) zu lösen und deren Sicherheit und Stabilität zu garantieren.

Ein Thema, das indirekt auch mit dem Wirtschaftswachstum zusammenhängt.

swissinfo-Interview: Marzio Pescia und Gaby Ochsenbein

Joseph Deiss wurde am 18. Januar 1946 geboren.
Er ist Mitglied der Christlichdemokratischen Volkspartei (CVP).
Bevor er Bundesrat wurde, war er Wirtschafts-Professor an der Universität Freiburg.
Am 11. März 1999 wurde er in den Bundesrat gewählt.
1999 – 2002 war er Vorsteher des Departemens für auswärtige Angelegenheiten (EDA).
Er verhalf den Bilateralen Verträgen I mit der EU und dem UNO-Beitritt der Schweiz zum Durchbruch.
Seit 2003 ist er Vorsteher des Volkswirtschafts-Departements.
Joseph Deiss ist 2004 Bundespräsident.

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