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Jüdische Gemeinde Lugano ins Herz getroffen

Kundgebung gegen Brandanschlag auf die Synagoge von Lugano. Keystone

Die Empörung ist gross. Der Anschlag auf die jüdische Gemeinde im Tessin wird einmütig verurteilt und sorgt für Bestürzung.

Wenige Tage nach den Brand-Anschlägen auf die Synagoge und ein jüdisches Geschäft sowie telefonischen Drohungen, bleiben viele Fragen und Wunden offen.

“Der antisemitische Charakter dieser schändlichen Anschläge ist offensichtlich”, sagt der Sprecher der jüdischen Gemeinde im Tessin, Elio Bollag, gegenüber swissinfo. “Als Schweizer Bürger von Lugano fühle ich mich zutiefst verletzt.”

Bollag erinnert daran, dass bisher in der Schweiz noch nie eine derart gravierende Tat begangen worden ist. Ein Akt der Intoleranz, der tiefe Wunden hinterlässt. “Lugano, wo ich lebe und wohne, war immer als eine der schönsten Städte der Welt erachtet worden. Jetzt ist sie leider zum Ort geworden, wo die Synagogen brennen.”

Es werde viel Zeit brauchen, so Bollag, bis der Schmutz dieser Untat weggewaschen sei. Und der Einsatz, besonders jener der Behörden, müsse gut abgestimmt werden. “Sicher bin ich enttäuscht und wütend”, so Bollag, “doch die liebevolle Teilnahme der öffentlichen Meinung spendet mir viel Trost.”

Teilnahme und Solidarität wurden auch am Donnerstag Abend gezeigt, an einem Fackelzug gegen jede Form von Rassismus und Intoleranz. Daran teilgenommen haben der Bischof von Lugano, Vertreter der evangelisch-reformierten Kirche, der muslimischen Gemeinde, der Behörden und der Parteien.

Passivität und Schweigen sind verfänglich

Jetzt erwartet Bollag seitens der Kantonsregierung, die die Schandtat aufs heftigste verurteilt hat, dass sie ein “klares und starkes Zeichen setzt – ohne jede Zweideutigkeit”. Dieser Aufruf wird auch von Boël Sambuc unterstützt, Vizepräsidentin der eidgenössischen Kommission gegen Rassismus.

Sambuc spricht von auch in symbolischer Hinsicht schwerwiegenden Taten und bedauert die späte Reaktion in der Politik, inklusive jene des Bundesrates. Nur einige Mitglieder, so der Bundespräsident, hätten persönlich reagiert.

“In solchen Fällen müssen sofort die Grenzen markiert werden. Und der Staat muss als Rechtsstaat seine Stimme erheben”, sagt Sambuc. Werde hier gezögert, dann könne man wirklich nur noch weinen.

Im Vergleich zu Ländern wie Frankreich oder Deutschland, zeige die Schweiz “eine unverständliche Passivität, was gefährlich ist”, wie die Vizepräsidentin sagt. Denn damit verbreite sich ein Gefühl der Straflosigkeit, das verheerend sein könne.

Die Intoleranz betrifft alle

Entschieden lehnt man sich hier auch gegen jene Parteien auf, die sich für die Abschaffung der Rassismus-Strafnormen einsetzen oder die den Fremdenhass banalisieren. Dieses Thema steht auch im Tessin im Zentrum zahlreicher Debatten.

“Ein Rechtsstaat hat die Pflicht, alle Bürger zu beschützen”, so Sambuc. Der Rechtsstaat müsse klar und deutlich seinen Willen zum Ausdruck bringen, gegen Rassismus und Hass zu kämpfen. Dies sei die Pflicht jeder Zivilgesellschaft. “Niemand ist wirklich geschützt.”

Laut Azzolino Chiappini, Professor an der Theologischen Fakultät von Lugano, ist nun der Augenblick gekommen, um nachzudenken. “Angesichts solcher Untaten müssen wir uns zu den Werten wie Respekt, Toleranz und zivilem Zusammenleben Fragen stellen”, sagt er gegenüber swissinfo.

Was hier geschehen sei, sei der Ausdruck einer kranken Gesellschaft, die unfähig zum Dialog ist.

“Ich wünschte mir”, so Chiappini, “es handelte sich um die Tat eines Dummkopfs. Wäre es anders, müssten wir uns fürchten. Weniger von denen, die solches begehen, als vor uns selbst, die das tolerieren. Und die damit ungewollt erlauben, dass sich dieses Gedankengut weiter verbreitet.”

Von Worten zu Taten

Die Brandanschläge haben den Präsidenten des Schweizerischen Israelitischen Gemeindebundes (SIG), Alfred Donath, schockiert und zugleich überrascht. “Überrascht, weil diese kriminelle Tat absolut unerwartet kam”, sagt er gegenüber swissinfo. “Eine Tat, die sich Vorfällen anschliesst, die wir leider aus dem Ausland kennen.”

Gewiss müsse man die Ergebnisse der Ermittlungen abwarten, um Genaueres zu wissen. “Aber eines ist klar: Das Ausdrücken rassistischer und antisemitischer Gefühle hat in der Schweiz jetzt eine Schwelle überschritten, wie es bisher noch nie vorkam”, so Donath. “Eine Tatsache, die sehr beunruhigt.”

“Die Grenze zwischen Feindseligkeit, Diskriminierung und Gewalt ist oft sehr schmal”, erklärt der SIG-Präsident. “Die Anschläge in Lugano zeigen das deutlich. Deshalb sind jetzt neben Worten der Empörung und Verurteilung und Solidaritätskundgebungen konkrete Taten gefordert.”

swissinfo, Françoise Gehring, Lugano
(Übertragung aus dem Italienischen: Alexander Künzle)

Die Ermittlungen im Zusammenhang mit dem Brandanschlag auf die Synagoge und das Geschäft “Buon Mercato” in Lugano (eines der ältesten in der Stadt) werden rund um die Uhr geführt.

Bis zu ersten Ergebnissen muss laut Behörden mit etwa zehn Tagen gerechnet werden.

Am Donnerstagabend versammelten sich in Lugano über 1000 Menschen zu einer Solidaritäts-Kundgebung mit der jüdischen Gemeinde.

In der Nacht des 13. März wurden in Lugano Brandanschläge auf die Synagoge und ein Geschäft in jüdischem Besitz verübt.
In anonymen Telefonanrufen äusserten Unbekannte ihre Genugtuung über den Anschlag.
Die jüdische Gemeinschaft im Kanton Tessin zählt 350 Personen, in der ganzen Schweiz 17’700.
Die Gemeinde wurde von Juden konstituiert, die sich zwischen 1910 und 1920 im Tessin niederliessen.

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