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Kantone kämpfen für Schnellbahn-Anschluss

Die Regionen kämpfen um ihren Anschluss ans europäische Hochgeschwindigkeits-Netz. Keystone

Die Anschlüsse der Ost- und der Westschweiz ans europäische Eisenbahn-Hochleistungsnetz spalten die Parteien.

Das umstrittene Thema soll am Donnerstag im Nationalrat, der Grossen Parlamentskammer, im Detail beraten werden, nachdem ein Rückweisungsantrag mit 124 zu 56 Stimmen abgelehnt wurde.

Bis ins Jahr 2020 soll Europa mit einem relativ dichten Hochgeschwindigkeits-Eisenbahnnetz überzogen sein. Die Schweiz mit ihrer zentralen Position in Europa will sich in dieses Netz einbinden.

Dazu müssen hauptsächlich grenzüberschreitende Linien in der Ost- und der Westschweiz angepasst werden, um den Anschluss an das europäische Hochleistungsnetz (HGV) zu gewährleisten. Hinzu kommen Zubringerstrecken, um die Passagiere an das Netz heran zu bringen.

Stimmvolk sprach Kredit

1998 hatte das Stimmvolk maximal 1,2 Mrd. Franken für die Finanzierung der HGV-Anschlüsse bewilligt. Dies mit einem Ja-Anteil von 63,5%. Teuerungsbereinigt liegt dieser Betrag heute bei 1,3 Mrd. Franken.

Nun schlägt der Bundesrat eine Etappierung der Anschlüsse vor. Mit 665 Mio. Fr. hat er die verfügbaren Mittel in seiner Botschaft ans Parlament halbiert, um in einer ersten Phase die sieben dringendsten Vorhaben zu realisieren.

Doch bereits die Finanzkommission des Nationalrats hatte im letzten August die Zahl nach oben auf 990 Mio. Franken korrigiert.

Bevor der Nationalrat nun am Montag das entsprechende Bundesgesetz berät, hat die vorberatende Kommission für Verkehr und Fernmeldewesen (KVF) das Geschäft vorbereitet. Sie hat sich dabei mit 19 zu 4 Stimmen klar für das ganze HGV-Vollprogramm im Umfang von 1,3 Mrd. Franken ausgesprochen.

Kantone machen Druck

Dieser Entscheid wird von 18 Kantonen und dem Verband öffentlicher Verkehr (VöV) unterstützt. Eine Kürzung des Kredits sei undemokratisch, hiess es. Vor allem die Ostschweiz befürchtet wirtschaftliche Nachteile, falls einige Projekte nicht ausgeführt würden. Der Bundesrats-Entwurf sei zu westlastig, so die Kritik.

“Es spielten erhebliche regionale Interessen eine Rolle”, bestätigt Kommissionspräsident Otto Laubacher von der Schweizerischen Volkspartei (SVP) gegenüber swissinfo.

“Der ganze Entscheid ist nicht parteipolitisch begründet; durch die Intervention von 18 Kantonsregierungen haben sich Allianzen gebildet.”

Die Grenze verläuft denn auch quer durch die Parteien: Während Laubacher sogar für weniger Ausgaben ist, wollen andere Kommissionsmitglieder aus seiner Partei das volle Programm.

“Die Tatsache, dass einige Parlamentarierinnen und Parlamentarier an diesen Strecken wohnen, hatte ein nicht zu unterschätzendes Gewicht”, vermutet Kommissionsmitglied Pia Hollenstein von der Grünen Partei (GPS).

Behörden sind skeptisch

Die Schweizerischen Bundesbahnen (SBB) wollten zum Entscheid nicht Stellung nehmen. Sie verweisen auf den laufenden Parlamentsprozess. Laut Laubacher haben sie den Beschluss aber “eher zurückhaltend” aufgenommen.

Deutliche Kritik am Vollprogramm kommt von Max Friedli, Direktor des Bundesamts für Verkehr (BAV): “Wir wollen keine Kathedralen in der Wüste”, sagte er in einem Interview mit dem Zürcher “Tages-Anzeiger”.

Sukkurs erhält er dabei von Kommissionspräsident Laubacher, der einige Projekte anzweifelt: “Es braucht zwei Anschlüsse ans Hochgeschwindigkeitsnetz Richtung Westen, einen in Genf und einen in Basel. Den Rest sollte man innerschweizerisch über die Bahn 2000 erschliessen.”

Er denkt dabei an verschiedene Eisenbahn-Projekte, die unter diesen Voraussetzungen “nicht mehr realisierbar und finanzierbar” sein würden.

Verständnis für die Befürchtungen hat auch Hollenstein. Vermutlich habe Friedli “auf Grund der Zusammensetzung dieses Parlaments Bedenken, dass andere, ihm auch wichtige Projekte, nicht realisiert werden können”, falls das Vollprogramm durchkomme. Trotzdem: “Es ist ein Volksentscheid.”

Gute Chancen im Nationalrat

Die Anbindung der Schweiz sei unbestritten und wichtig für das Land, auch für die Wirtschaft, so Hollenstein. “Und wenn man die grossen Anschlüsse macht, braucht es auch die nötigen Zubringer.”

Das Parlament habe “jetzt umzusetzen, was das Stimmvolk beschlossen hat”. Die Kantone hätten hier sehr gute Lobby-Arbeit geleistet, betont Hollenstein.

Otto Laubacher spürt zwar einen aufkeimenden Widerstand, doch auch er rechnet eher mit einem positiven Bescheid für das 1,3-Milliarden-Vollprogramm: “Wenn 18 Kantonsregierungen Druck machen, dann haben sie die Mehrheit des Parlaments natürlich im Sack.”

swissinfo, Christian Raaflaub

Der Bundesrat will für HGV-Anschlüsse 665 Mio. Franken einsetzen.
Die Verkehrskommission des Nationalrats fordert 1,3 Mrd. Franken
18 Kantone unterstützen den Vorschlag der Kommission.

Bis ins Jahr 2020 wird in Europa ein dichtes Hochgeschwindigkeits-Eisenbahnnetz gebaut. Die Schweiz will sich in dieses Netz einbinden.

Die Frage, welche Regionen Anschlüsse erhalten sollen, spaltet die Parteien. Der Vorschlag des Bundesrats wurde von den vorberatenden Kommissionen nach oben korrigiert.

Am Montag hat der Nationalrat das Geschäft als Erstrat in Angriff genommen. Ein Rückweisungsantrag wurde am Dienstag mit 124 zu 56 Stimmen abgelehnt.

Das Geschäft soll nun am Donnerstag im Detail beraten werden.

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