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Kantone machen gemeinsame Sache gegen Feinstaub

Bei zu viel Feinstaub gilt Tempo 80 auf Autobahnen in der ganzen Region. RDB

Die Kantone gehen im kommenden Winter energischer und koordiniert gegen hohe Luftbelastungen mit Feinstaub an. Vorgesehen sind auch Tempo 80 auf Autobahnen und ein Verbot für Baumaschinen.

Das Notfallkonzept sieht drei Stufen von Massnahmen vor, die abhängig sind von der Feinstaub-Konzentration und Wetterentwicklung.

Die Kantone wollen den Bund im Kampf gegen die Feinstaub-Belastung unterstützen. Die Umweltdirektoren der Kantone verstehen ihr Informations- und Interventionskonzept mit Empfehlungen, Einschränkungen und Verboten deshalb als Ergänzung zum Aktionsplan des Bundes, sagte der St. Galler Regierungsrat Willi Haag, Präsident der Bau-, Planungs- und Umweltdirektorenkonferenz (BPUK), am Dienstag in Flims.

Um die Schadstoffentwicklung an der Quelle zu bekämpfen, fordern sie den Bundesrat auf, den Plan sofort umzusetzen. Das Eidgenössische Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (UVEK) von Verkehrsminister Moritz Leuenberger will für Neuzulassungen von dieselbetriebenen Autos, Lieferwagen und Kleinbusse ab nächstem Jahr eine Partikelfilterpflicht erlassen. Zudem beabsichtigt die Landesregierung, die von der EU noch nicht verabschiedete Euro-5-Norm vorzeitig einzuführen.

Von Information bis zu Verboten

Weil diese Massnahmen Zeit brauchen, wollen sich die Umweltdirektoren nächsten Winter von zu hohen Feinstaubwerten nicht mehr überrumpeln lassen. Das laut Haag “fast einstimmig” verabschiedete Notfallkonzept enthält eine Informationsstufe sowie zwei Interventionsstufen und richtet sich an alle Verursacher.

Stufe eins mit einer verstärkten Informationstätigkeit, Aufrufen und freiwilligen Massnahmen gilt, wenn das Tagesmittel von 50 Mikrogramm Feinstaub pro Kubikmeter Luft während mindestens drei Tagen den eineinhalbfachen Wert übersteigt.

Folgen auf der Strasse

Die erste Interventionsstufe wird ab dem zweifachen Grenzwert ausgelöst. Betroffen sind der Verkehr mit der Beschränkung auf Tempo 80 auf Autobahnen und einem Überholverbot für Lastwagen. In den Haushalten dürfen keine Zweitheizungen wie Cheminées entfacht werden. Zudem wird in der Land- und Forstwirtschaft Feuern im Freien verboten.

Die zweite Interventionsstufe ab der dreifachen Grenzwert-Überschreitung betrifft zusätzlich das Gewerbe. Der Einsatz dieselbetriebener Baumaschinen ohne Partikelfilter wird verboten. Das Verbot gilt auch für jegliche Art von filterlosen Maschinen, Geräten und Fahrzeugen in der Land- und Forstwirtschaft.

Regionale Umsetzung

Eine grosse Herausforderung sei die Umsetzung des Konzepts, sagte Haag weiter. Die Schweiz wird dazu in fünf Regionen eingeteilt. Melden die Messstellen überhöhte Feinstaub-Werte, werden die geplanten Massnahmen von einer Koordinationsstelle in Absprache mit den Kantonen für die belastete Region in Kraft gesetzt.

Die Kantone sind frei, weitere Massnahmen zu treffen. Sie müssen das Notfallkonzept aber noch genehmigen. Bis Mitte November sollten die Vorbereitungen soweit gediehen sein, dass das Konzept umgesetzt werden kann.

Rechtlich verbindlich ist das Konzept für die Kantone nicht. Der Druck der Öffentlichkeit werde aber dafür sorgen, dass sich die Kantonsregierungen daran hielten und handelten, sagte Haag. Denn eines ist für die Umweltdirektoren klar: Kommenden Winter wollen sie ein Chaos im Kampf gegen die Feinstaub-Belastung wie letzten Januar und Februar unbedingt vermeiden.

Geteilte Reaktionen

Der Touring Club der Schweiz (TCS), ein Interessenverband des Automobilverkehrs, lehnt die geplante Einführung von Tempo 80 auf Autobahnen bei einer erhöhten Belastung durch Feinstaub als “unwirksame Placebomassnahme” ab. Der TCS setzt dagegen auf die Bekämpfung des Feinstaubs an der Quelle.

Deshalb begrüsst der Automobilverband gemäss einer Mitteilung vom Dienstag die Sanierung von Feinstaub verursachenden Anlagen durch die öffentliche Hand, wie es die kantonalen Umweltdirektoren beschlossen haben. Damit werde ermöglicht, die Langzeitbelastung durch den Feinstaub abzubauen.

Schwelle zu hoch

Der grüne Verkehrs-Club Schweiz (VCS), die Ärztinnen und Ärzte für Umweltschutz, die Krebsliga Schweiz und die Gewerkschaft Unia sind unzufrieden mit den festgelegten Werten zur Ergreifung von Massnahmen. Solche müssten bereits ab dem gesetzlichen Grenzwert von 50 Mikrogramm Feinstaub pro Kubikmeter ergriffen werden.

Eine Aufweichung dieses Werts sei aus gesundheitlicher Sicht nicht akzeptabel, heisst es in einem gemeinsamen Communiqué der vier Organisationen.

Hauseigentümer gegen Cheminéefeuer-Verbot

Der Hauseigentümerverband Schweiz hält ein Cheminéefeuer-Verbot bei hoher Feinstaubbelastung für “völlig daneben”. Die Massnahme ergebe keinen Sinn, sagte Direktor Ansgar Gmür. Die Cheminéefeuer trügen nur etwa fünf Prozent zur Feinstaubbelastung bei.

swissinfo und Agenturen

Feinstaub setzt sich aus primären Partikeln (die aus Verbrennungsprozessen, mechanischem Abrieb von Reifen, Bremsen, Strassenbelag und Aufwirbelungen oder aus natürlichen Quellen stammen) und sekundären Partikeln (welche sich erst in der Luft aus gasförmigen Vorläuferschadstoffen bilden) zusammen.
Die schädlichsten Partikel sind diejenigen, die aus Abgasen von Dieselmotoren stammen, ausserdem solche aus der Landwirtschaft und auf Baustellen.
Wegen ihrer Kleinheit können diese Partikel in die feinsten Verästelungen der Lunge eindringen und schwerwiegende Gesundheitsschäden verursachen.

Die Schweizer Regierung hat im vergangenen Juni einen Aktionsplan zur Reduktion der Feinstaub-Belastung verabschiedet. Er umfasst unter anderem die Partikelfilter-Pflicht für Dieselfahrzeuge.

Im Februar hatten die Kantone Bern, Zürich sowie diejenigen der Zentralschweiz in einer Phase akuten Wintersmogs Tempo 80 auf Autobahnen verfügt. In Folge sanken die Schadstoffgehalte dort um fünf bis zehn Prozent.

Zur Bau-, Planungs- und Umweltdirektorenkonferenz der Kantone (BPUK) gehören auch Liechtenstein sowie Vertreter der grösseren Städte und Gemeinden in der Schweiz.

Die Konferenz ist ein Verbindungsorgan und hat zum Ziel, die Zusammenarbeit zwischen den Kantonen untereinander und zwischen Kantonen und Bund zu fördern.

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