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Kehrtwende der Regierung bei Verbandsbeschwerde

Der im Bundesrat überstimmte Umweltminister Moritz Leuenberger geht davon aus, dass das Parlament die Initiative zur Ablehnung empfielt. Keystone

Verbandsbeschwerden sollen nicht mehr möglich sein, wenn ein Projekt vom Volk oder von Parlamenten genehmigt ist. Der Bundesrat unterstützt eine Volksinitiative des Zürcher Freisinns.

Noch im letzten Herbst hatte die Landesregierung das Volksbegehren der FDP zur Ablehnung empfohlen. Die jüngste Kehrtwende stösst bei Grün-Links auf Empörung.

Die Initiative “Verbandsbeschwerderecht: Schluss mit der Verhinderungspolitik – Mehr Wachstum für die Schweiz!” wurde im Mai 2006 mit knapp 119’000 gültigen Unterschriften von der Freisinnig-demokratischen Partei (FDP) eingereicht.

Auslöser war eine Beschwerde des Verkehrs-Clubs der Schweiz (VCS) gegen das neue Fussballstadion Hardturm in Zürich gewesen, die vorübergehend die Austragung der Euro 2008 in der Limmatstadt in Frage gestellt hatte.

Als Begründung für die Kehrtwendung erklärt der Bundesrat in einer Mitteilung, die Gesetzesänderung des Parlaments habe nicht alle berechtigten Anliegen der Initiative aufgenommen.

Wird das Parlament die Initiative zur Ablehnung empfehlen?

Die zweite Begründung zitierte Bundesrat Leuenberger an einer kurzfristig organisierten Medienkonferenz: Danach sollen Private grundsätzlich nicht öffentliche Aufgaben wahrnehmen.

Nähere Erklärungen zu diesen zwei Punkten machte Leuenberger nicht. Er sprach von einem “Zwischenentscheid des Bundesrats” und betonte, sich immer für die Wahrung des Verbandsbeschwerderechts eingesetzt zu haben. Die Botschaft gehe nun ans Parlament, wobei er davon ausgehe, dass dieses die Initiative zur Ablehnung empfehle.

Beschwerderecht der Umweltverbände

Im September 2006 hatte die Landesregierung noch beschlossen, das Volksbegehren zur Ablehnung zu empfehlen. Sie verwies damals auf im Parlament hängige Gesetzesänderungen, mit denen das Beschwerderecht der Umweltverbände erschwert werden sollte. Diese könnten als indirekter Gegenvorschlag dienen.

In der vergangenen Dezembersession haben die eidgenössischen Räte ihre Vorlage verabschiedet, wobei es nur im Nationalrat drei Gegenstimmen gab. Laut Bundesrat wurden dabei “nicht alle berechtigten Anliegen der Initiative aufgenommen”. Das Volksbegehren sei deshalb ohne Gegenvorschlag zu unterstützen.

Eine detaillierte Begründung für seinen Beschluss lieferte der Bundesrat nach der Sitzung nicht. In seinem Communiqué listet das Departement des offensichtlich überstimmten Umwelt- und Raumplanungsministers Moritz Leuenberger dafür die vom Parlament beschlossenen und Anfang Juli in Kraft tretenden Neuerungen auf.

Eingeschränkte Rügemöglichkeit

Laut dem zuständigen Departement (UVEK) wurde die von Zürcher Ständerat Hans Hofmann von der Schweizerischen Volkspartei (SVP) mit einer Initiative angestossene Gesetzesvorlage “in einem mehrjährigen und gründlichen Prozess mit Vernehmlassungsverfahren in enger Absprache mit dem Bundesrat erarbeitet”.

Am Grundsatz der Verbandsbeschwerde habe das Parlament dabei festgehalten. Eingeschränkt werden hingegen die erlaubte wirtschaftliche Tätigkeit und die Rügemöglichkeiten der Umweltorganisationen.

Die selbständige Erhebung von Beschwerden durch kantonale Unterorganisationen ohne Zustimmung der schweizerischen Organisation ist nicht mehr möglich.

Beschränkt wird sodann die Möglichkeit der Umweltorganisationen, mit dem Bauherrn Vereinbarungen abzuschliessen. Das Kostenrisiko für unterliegende Organisationen wird erhöht. Die Möglichkeit des vorzeitigen Baubeginns wirkt Verfahrensverzögerungen entgegen.

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Volksinitiative

Dieser Inhalt wurde am veröffentlicht Die Volksinitiative erlaubt den Bürgerinnen und Bürgern, eine Änderung in der Bundesverfassung vorzuschlagen. Damit sie zu Stande kommt, müssen innerhalb von 18 Monaten 100’000 gültige Unterschriften bei der Bundeskanzlei eingereicht werden. Darauf kommt die Vorlage ins Parlament. Dieses kann eine Initiative direkt annehmen, sie ablehnen oder ihr einen Gegenvorschlag entgegenstellen. Zu einer Volksabstimmung kommt es…

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Empörte Linke, erfreute Rechte

Umweltverbände und die Linke sind empört: Sie haben überhaupt kein Verständnis für die Kehrtwende des Bundesrates beim Verbandsbeschwerderecht.

Frohlockt wird dafür umso mehr bei der Freisinnig-demokratischen Partei (FDP) und der Schweizerischen Volkspartei (SVP).

“Unerhört und verantwortungslos”, kommentierte die Sozialdemokratische Partei der Schweiz (SP) das Verhalten des Bundesrates.

17 Umweltorganisationen, von A wie Alpenclub bis W wie WWF, schrieben in einer gemeinsamen Mitteilung, es handle sich um eine partei-hygienische Interessenabwägung auf Kosten des Umweltschutzes.

Die Organisationen zeigten sich dennoch zuversichtlich, dass die Bevölkerung die Natur und die Umwelt nicht im Regen stehen lassen wird.

swissinfo und Agenturen

Das Bundesgesetz für den Natur- und Heimatschutz von 1966 gibt nationalen Umweltschutz-Organisationen das Recht, gegen Bauprojekte Einsprache zu erheben.

Zur Zeit steht dieses Recht 30 Organisationen zu.

In den letzten Jahren ist dieses Recht Gegenstand von Auseinandersetzungen geworden. Viel Staub aufgewirbelt hat zum Beispiel die erfolgreiche Blockierung des Neuaufbaus des Zürcher Hardturm-Stadions durch eine Umweltorganisation.

Dieses Projekt war zuvor in einer Volksabstimmung genehmigt worden.

Die Freisinnig-Demokratische Partei (FDP) des Kantons Zürich hat darauf eine Initiative lanciert, welche Verbände vom Rekursrecht gegen Projekte ausschliessen will, wenn diese aufgrund einer Volksabstimmung oder eines gesetzlichen Entscheides bereits genehmigt worden sind.

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