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Kinderkrippen gefragt

In der Schweiz fehlt es an Betreuungsplätzen für Kinder. Keystone

In der Schweiz soll die Anzahl Krippenplätze verdoppelt werden. Kostenpunkt: 1 Mrd. Franken. Trotz "Notwendigkeit" ist das letzte Wort im Parlament noch nicht gesprochen.

Deutlich hat sich am Mittwoch die Grosse Kammer für ein Impulsprogramm zur Finanzierung familienergänzender Kinderbetreuung ausgesprochen. Innert 10 Jahren sollen damit 80’000 bis 100’000 Krippenplätze geschaffen werden. Kostenpunkt: 100 Mio. Franken pro Jahr, insgesamt 1 Milliarde.

Für die Linke, die Christdemokraten und Teile des Freisinns im Rat ist dies “eine Notwendigkeit”. Verschiedene bürgerliche Politiker sahen das aber anders. “Wenn es darum geht, die Familie zu stärken, dann kann es nicht angehen, sie mit verlockenden Staatsgeldern auseinander zu bringen”, argumentierte Toni Bortoluzzi von der Schweizerischen Volkspartei. Die Folge familienexterner Betreuung, das könne man in anderen Staaten sehen, sei eine gesellschaftliche Zerrüttung.

Der Bundesrat verwirft die Hände

Die Schweizer Regierung ist nicht primär gegen dieses Anstossprogramm. Doch findet sie 25 Mio. Franken jährlich genug. Damit liessen sich rund 14’000 neue Betreuungsplätze finanzieren – im Gegensatz zu den 80’000 bis 100’000, die der Nationalrat nun wünscht.

Der Regierungs-Vorschlag würde knapp 100 Plätze jährlich pro Kanton bringen. Zum Vergleich: In der Stadt Bern ist die Warteliste 900 Namen lang.

Die Anstossfinanzierung wird wohl mit Abstrichen leben müssen. Weil aber die Zustimmung im Nationalrat gross war (119:56 Stimmen) kann der bürgerlich dominierte Ständerat bei seiner Beratung der Thematik nicht mehr auf den Bundesrats-Vorschlag zurück gehen. Wahrscheinlich treffen sich die Räte zwischen 50 und 80 Mio. Franken jährlich, dies die Prognose einiger Parlamentarier.

Die Kleine Kammer wird sich zudem an die vom Volk beschlossene Schuldenbremse erinnern: Was ausgegeben wird, muss auch eingespart werden.

Noch ist also das Geld nicht gesprochen. Doch im Bericht der vorberatenden Kommission sind gewichtige Gründe nachzulesen, weshalb eine grosszügige Anstossfinanzierung notwendig ist.

Bis 5 jährig zu Hause

In der Schweiz beginnt die obligatorische Schulzeit mit 7 Jahren. Vorher gehen die meisten Kinder ein oder zwei Jahre in den Kindergarten: je zwei Stunden am Vormittag und Nachmittag. Doch wären viele Eltern auf durchgehende und vor allem früher beginnende Kinderbetreuung angewiesen.

Statistiken zur Anzahl bestehender Betreuungsplätze fehlen, doch schätzt man deren Anzahl auf gut 50’000. Zum Vergleich: Heute gehen mehr als 65% der Mütter mit Kindern unter 15 Jahren einer Voll- oder Teilzeitarbeit nach. Von den 1,2 Millionen Kindern in der Schweiz betrifft dies 856’000.

Wofür eine teuere Ausbildung?

Der Mangel an Betreuungsplätzen zeigt sich an weiteren Faktoren: Zwei Drittel der Frauen mit einer Vollzeitarbeit geben nach der Geburt des ersten Kindes die berufliche Tätigkeit auf oder reduzieren sie auf ein Teilzeitpensum.

Gemäss einer Umfrage des Bundesamtes für Statistik würde jedoch die Hälfte der nichtberufstätigen Mütter arbeiten, wäre das Problem Kinderbetreuung nicht. Nach einer kostenintensiven Ausbildung ist der Rückzug an den Herd eine Verschwendung von Ressourcen und Humankapital.

Demografische Argumente lassen sich ebenfalls anbringen: In Frankreich stieg die Geburtenrate von 1,7 auf 1,9 Kinder pro Frau (Schweiz: 1,47) – nachdem die Vereinbarkeit von Familie und Beruf verbessert wurde. Damit hat Frankreich die höchste Geburtenrate der EU, aber auch eines der grössten Angebote an familienergänzenden Betreuungs-Möglichkeiten für Kinder ab drei Monaten.

Ein Traum für Susanne Hersel, aus Deutschland zugezogene Mutter von zwei Kindern im Alter von 5 und 7 Jahren. Ihr würde ein Angebot wie in Deutschland bereits ausreichen. Ab drei Jahren haben dort Kinder Anspruch auf einen Kindergartenplatz – oft inklusive Mittagsbetreuung.

Mit Betreuungs-Strukturen wächst jedoch nicht nur die Lebensqualität der Eltern, sondern auch die Wirtschaft profitiert. Könnten die Mütter arbeiten, führte dies zu höheren Steuereinnahmen und weniger Familienarmut.

Ausgaben: 400 Mio. Franken – Einnahmen: ein Vielfaches

Das Fazit einer im Kommissions-Bericht zitierten Studie lautet: Für jeden in Betreuungs-Infrastruktur investierten Franken kämen 1,6 bis 1,7 Franken in Form höherer Steuereinnahmen zurück. Durch Einsparungen im Bereich der Sozialhilfe und durch geringere Ausgaben für Integration und Sonderausbildungen erhöht sich dieser Betrag auf 3 bis 4 Franken.

Externe Kinderbetreuung trägt zudem zur Sozialisation eines Kindes bei. Kinder entwickeln laut einer Studie ihre kognitiven und sprachlichen Fähigkeiten schneller. Die Mutter Susanne Hersel: “Die Kinder profitieren davon, was Sozial-Kompetenz angeht. Und es macht ihnen auch Spass!”

Krippenplatz vs. Steuerfuss

Nicht zuletzt kann die Kinderbetreuung auch eine Standortfrage sein. Betreuungs-Möglichkeiten fallen bei der Wohnortwahl oft ins Gewicht. Oder wie die Pressesprecherin der Freisinnig-demokratischen Partei, Barbara Perriard, in den Medien zitiert wird: “Das Vorhandensein eines Kinderkrippenplatzes ist für viele Familien wichtiger als die Höhe des Steuerfusses.”

Und da wäre noch die Frage der Attraktivität der Schweiz. Professorin Margrit Osterloh vom Institut für betriebswirtschaftliche Forschung der Universität Zürich ist überzeugt, dass mehr staatlich geförderte Kinderbetreuungs-Plätze Mobilitätsschranken senken würden. Der Arbeitsmarkt Schweiz würde international an Attraktivität gewinnen.

Rebecca Vermot

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