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Luftkühlung für bedrohte Gletscher?

Ist ein Windfang ein probates Mittel, das Abschmelzen der Gletscher zu verhindern?

Mit einem Windfang möchten deutsche Wissenschafter die talwärts fliessenden kalten Fallwinde zum Kühlen von Gletschern verwenden. Die Versuche auf dem Rhonegletscher hinterlassen bei Schweizer Forschern grosse Skepsis.

Die Temperatur über dem Gletscher sinkt spürbar, wenn die talwärts fliessenden, kalten Fallwinde auf dem Gletscher gebremst und aufgehalten werden.

Dies ist das Ergebnis einer kürzlich veröffentlichten Studie der deutschen Universität Mainz.

Ein Forscherteam um den Mainzer Geographen Hans-Joachim Fuchs hat im vergangenen August auf der Gletscherzunge des Rhone-Gletschers einen 15 Meter langen und 3 Meter hohen Windfang errichtet.

Anschliessend mass das Team während sechs Tagen und Nächten die Temperatur auf dem Gletscher – vor dem Windfang wie auch in einem gewissen Abstand.

Nach Angaben der deutschen Wissenschafter konnten mit dem Windstopper die typischen Fallwinde über dem Gletscher gebremst und ein Kaltluftpolster erzeugt werden.

“Wir haben mit unserem Test-Windfang auf dem Rhone-Gletscher eine eindeutige Abkühlung der oberflächennahen Lufttemperatur erreicht, die bis zu drei Grad Celsius betragen hat”, sagte Fuchs. Auch habe das Aufweichen des Eises tagsüber verhindert werden können.

Schwierige Realisation

Nun sei ein Grossversuch nötig, um die Ergebnisse der Studie zu bestätigen, sagte Fuchs weiter. Denn die Bedeutung der Gletscher für weite Landstriche in Europa werde immer noch unterschätzt. Die Alpengletscher seien nicht nur ein wichtiges Trinkwasserreservoir, sondern auch Schutz vor extremen Hochwasserereignissen.

“Es ist sehr schwierig, so einen Windfang grösser und dauerhafter aufs Eis zu bringen”, gibt Fuchs gegenüber swissinfo zu. “Denn das Eis bewegt sich ja. Wir haben bis jetzt noch keine Pläne, wie man dieses Problem lösen könnte – Gedanken aber schon.”

Skeptische Schweizer

Nicht sehr viel von Gletscherwindfängen hält Professor Martin Funk, Dozent und Leiter der Abteilung Glaziologie an der Versuchsanstalt für Wasserbau, Hydrologie und Glaziologie (VAW) der ETH Zürich.

“Dieses Projekt widerspricht diametral allen Vorstellungen und Erkenntnissen beim Energietransfer auf einem Gletscher”, kritisiert er. “Ein erprobtes Mittel zur Isolation eines Gletschers ist die Abdeckung mit einer Folie.” Aber das sei nur eine punktuelle Massnahme. Man könne doch keinen ganzen Gletscher abdecken.

Auch Prof. Dr. Martin Grosjean, Direktor des Oeschger Centre, des Kompetenzzentrums für Klimaforschung der Universität Bern, hält nicht viel vom wissenschaftlichen Wert der Arbeit der Deutschen Forscher: “Sie haben herausgefunden, was bei uns auch ein Doktorand am Schreibtisch errechnen könnte.” Für die Studenten jedoch sei der didaktische Wert dieser Untersuchung enorm hoch.

Grosjean meint weiter, der Windfang nütze nur nachts, wenn der Wind gletscherabwärts wehe. Doch dann sei es sowieso kühler als tagsüber.

Während des Tages fliesse dagegen warme Luft aufwärts. Und diese höheren Temperaturen seien massgeblich für ein schnelles Abschmelzen des Gletschers verantwortlich.

Wie Funk ist Grosjean der Ansicht, dass nur Folien den Strahlungs- und Temperaturhaushalt eines Gletschers nachhaltig beeinflussen können. “Solche Massnahmen mögen einen gewissen Wert haben, wenn zum Beispiel die Umgebung einer Bergbahnstation mit Folie geschützt wird.”

swissinfo, Etienne Strebel

Laut einer Inventarisierung der Gletscher in der Schweiz (Stand 2000) haben diese zwischen 1985 und 2000 rund 18% ihrer Fläche verloren. Von 1973 bis 1985 war es lediglich 1%.

Der Schwund ist unter anderem auf die heissen 1990er-Jahre und die generell erhöhten Temperaturen zurückzuführen.

In den Alpen hat die Temperatur zudem stärker zugenommen als in den übrigen Regionen der Schweiz: Von 1850 bis 2000 wurde eine Zunahme um 0,6 Grad Celsius verzeichnet, in den Bergen waren es dagegen 1 bis 1,5 Grad.

Vor allem die kleinen Gletscher (kleiner als 0,5 Quadratkilometer) leiden unter den höheren Temperaturen in den Alpen.

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