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Langlebigste Sendung der Welt in Südbünden

Fausto Tognola betreute die Sendung "Voci del Grigioni italiano" von 1968 bis 1993. RSI

Sie ist nicht die bekannteste Radiosendung der Schweiz, aber die älteste der Welt. Die Informationssendung "Voci del Grigioni italiano" - Stimmen vom italienischen Graubünden - feiert 70 Jahre und einen Eintrag ins Guiness-Buch der Rekorde.

Es ist ein wöchentlich wiederkehrendes Ritual am Freitagabend am Schweizer Radio RSI: Die “Voci del Grigioni italiano” (Stimmen aus den Südbündner Tälern) werden übertragen: Die Radiosendung ist stolze 70 Jahre alt und hat sich damit einen Ehrenplatz im Guiness-Buch der Rekorde verschafft.

Denn die “Voci”, wie sie liebevoll genannt wird, ist die langlebigste Informationssendung der Welt. Das überrascht, wenn man bedenkt, dass sich diese Sendung auf die abgelegenen, italienischsprachigen Täler Graubündens konzentriert (Misox, Calanca, Bergell, Puschlav).

Die Ursprünge

Die “Voci del Grigioni italiano” erblickten das Licht der Welt, als das Schweizer Radio noch Radio Monte Ceneri hiess. 1934, ein Jahr nach der Installation der nationalen Sendeantenne auf dem gleichnamigen Berg, begann die Sendung zuerst unter dem Namen “La nostra Mesolcina” (Unser Misox).

1939 wurde die Sendung in “Il Quarto d’ora del Grigioni italiano” (Die Viertelstunde von Italienisch-Graubünden) umgetauft, um auf Ende desselben Jahres schliesslich den bis heute gültigen Namen “Voci del Grigioni italiano” zu erhalten.

In den ersten beiden Jahren ihrer Existenz hat die Sendung verschiedene Änderungen erfahren. Doch schon 1941 erhielt sie die Form, unter der sie heute bekannt ist. Jeden Freitagabend wird sie von 19.00 bis 19.30 Uhr übertragen: Die Sendung widmet sich aktuellen Ereignissen aus den südbündnerischen Tälern sowie aus dem nahen Veltlin.

Eine Antwort auf totalitäre Regime

Die Sendung “Voci del Grigioni italiano” ist genauso wie das Radio der italienischen Schweiz (RSI) in einer Zeit entstanden, in der die Schweiz im Norden und im Süden durch totalitäre Regime eingeschlossen war.

“Damals beanspruchte Mussolini eine Eingliederung der italienischen Schweiz ans faschistische Italien. Und in diesem Kontext gab es viele Sondersendung von Radio Monte Ceneri”, meint Historiker Ivo Rogic aus dem Misox gegenüber swissinfo.ch.

Der Bundesrat nannte 1938 das Radio ein Instrument zur „spirituellen Verteidigung“ des Landes. „Es ging darum, die Zuhörer zu informieren und die Einheit zwischen den verschiedenen Sprachregionen herzustellen, um ein Gegengewicht zur nationalsozialistischen und faschistischen Propaganda aufzubauen, welche an einer Spaltung des Landes interessiert war“, sagt Rogic.

Damals änderte sich auch die Wahrnehmung des Begriffs „italienische Schweiz.“ Die Bezeichnung führt seither über den Kanton Tessin hinaus und schliesst die italienischsprachigen Teile Graubünden sein.

Das Radio erfüllte eine wichtige Aufgabe in Hinblick auf die Kohäsion des Landes. „Die ‚Voci’ verfolgten stets das Ziel, den Zusammenhalt zwischen den Bündner Tälern italienischer Sprache zu stärken“, so Rogic.

Südbündner Täler

Tatsächlich befinden sich die vier italienischsprachigen Tälern Graubündens (Puschlav, Bergell, Misox, Calanca) weder in einer geografischen noch in einer politische Einheit. Es sind abgelegene Bergregionen, die grosse Distanzen unter sich aufweisen.

Die Sendung “Voci” hat diese Entfernungen nicht abgeschafft, aber doch ein wenig überwinden können. So entstand via Radio ein gewisser gemeinsamer Geist der Südbündner Täler italienischer Sprache.

“Die Sendung erlaubte eine Überwindung der Berge und schuf eine Gemeinsamkeit in der Verschiedenheit, sowohl untereinander also auch im Verhältnis mit dem Rest des Kantons Graubünden, mit dem Tessin und der ganzen Eidgenossenschaft”, hält Rogic fest.

Die “Voci” heute

Auch heute erfüllt die Sendung immer noch eine wichtige Aufgabe. Historiker Ivo Rogic hält fest: “Es ist wie ein öffentlicher Platz, auf dem aktuelle Themen diskutiert werden und auf dem die Protagonisten der Südbündner Täler zu Wort kommen.”

In mehreren Umfragen konnte die SSR SRG idèe suisse die anhaltende Beliebtheit der Sendung ermittelt. Immer wieder wird unterstrichen, wie wichtig es ist, “heimische Stimmen” zu hören.

“Die Sendung ‘Voci’ wird am Freitagabend von rund der Hälfte der RSI-Radiohörer verfolgt. Und sie gehört zu den 10 Sendungen, die am häufigsten als Podcast runter geladen werden. Das bedeutet, dass sie auch bei Jungen sehr beliebt ist“, hält Alessandro Tini als verantwortlicher Redaktor fest.

Soeben hat die Sendung ihren 70. Geburtstag gefeiert. Und weitere werden folgen. Die Eingangsmelodie “Popoli ci affratella, l’italica favella” dürfte noch lange nicht verklungen sein.

Luca Beti, swissinfo.ch
(Übertragung aus dem Italienischen: Gerhard Lob)

Die Sendung wurde in ihre heutigen Form erstmals am 25. November 1941 ausgestrahlt.

Das Guiness Buch der Rekorde hat 68 Jahre Sendedauer anerkannt.

Die ersten beiden Jahre wurden auf Grund einer abweichenden Form nicht anerkannt.

Als Redaktoren waren und sind unter anderen tätig: Remo Bornatico, Gian Gaetano Tuor, Fausto Tognola, Franco Pool, Alfonso Tuor, Sergio Raselli, Gustavo Lardi, Max Giudicetti, Fredy Franzoni, Marco Petrelli, Paolo Ciocco, Andrea Netzer, Matilde Casasopra, Federica Bonetti, Gino Ceschina, Livio Zanolari, Annamaria Nunzi, Roberto Scolla, Alessandro Tini.

Seit den 1980er-Jahren verfügt die Sendung über einen festen Korrespondenten in Chur (Hauptstadt Graubündens).

Die Beiträge werden zudem von Mitarbeitern aus den südbündnerischen Tälern sowie aus dem Veltlin (Italien) geliefert.

In Graubünden sprechen rund 68% der Bevölkerung Deutsch, 15% Rätoromanisch, 10% Italienisch und 7% andere Sprachen.

Die Italienischsprachigen bilden somit eine Minderheit im Kanton Graubünden und in der Schweiz.

Der italienischsprachige Teil Graubündens umfasst die vier Bergtäler Puschlav, Bergell, Misox und Calanca.

Die Fläche der Südbündner Täler beträgt einen Fünftel des Kantons Graubünden.

Die Einwohnerzahl dieser Täler beträgt zusammen zirka 14’000.

Mehr als die Hälfte der italienischsprachigen Bündner lebt heute aus wirtschaftlichen Gründen nicht in ihren Heimattälern.

Für diese Minderheit stellt die Sprache einen wichtigen Zusammenhalt dar. Die italienischen Mundarten im Misox und Calancatal, Bergell und dem Puschlav gehören dem Alpinlombardischen an.

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SWI swissinfo.ch - Zweigniederlassung der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft

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