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Aktuelle Lage erschwert Schweizer Hilfe in Palästina

Den Palästinensern fehlt es an medizinischem Material, auch an Filtern für Dialysegeräte. Keystone

Weil sich die Lage in den Palästinenser-Gebieten verschlechtert hat, muss die Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit, DEZA, ihre Tätigkeiten anpassen.

Im Gespräch mit swissinfo hebt Mario Carera, Leiter des DEZA-Kooperationsbüros in Gaza und dem Westjordanland, insbesondere den Medikamenten-Mangel in den Spitälern hervor.

Ministerpräsident und Hamas-Mitglied, Ismail Haniyeh, versicherte vor kurzem, die Palästinenser-Gebiete würden nicht im Chaos versinken.

In letzter Zeit kam es vermehrt zu Zusammenstössen zwischen der bewaffneten Truppe, die von der islamistischen Bewegung auf die Beine gestellt worden war, und den offiziellen Sicherheitskräften von Präsident Mahmud Abbas.

Die Auseinandersetzungen spielen sich vor dem Hintergrund einer Lebensmittel- und sanitären Krise ab.

swissinfo: Verschiedene Kommentatoren haben auf das Risiko eines Bürgerkrieges in den Palästinenser-Gebieten hingewiesen. Teilen Sie diese Befürchtung?

Mario Carera: Eines ist sicher: Infolge der politischen Auseinandersetzungen zwischen den Islamisten der Hamas und der Fatah, der Partei des früheren Präsidenten Yassir Arafat, der humanitären Lage und der israelischen Besatzung ist die Sicherheitslage schlecht.

Und seit der Westen seine Hilfe an die Palästinenser-Behörde eingefroren hat, wurden an die Funktionäre seit März keine Löhne mehr bezahlt. Es zirkuliert kein Geld mehr. Armut und Elend nehmen zu.

Deshalb gewähren viele Läden Kredite. Diese Situation kann aber nicht mehr als ein, zwei Monate andauern. In Gaza ist die Lage besonders schlimm. Karni, der wichtigste Grenzübergang für Wahren und Hilfsgüter, ist seit anfangs Jahr die halbe Zeit geschlossen.

Diese Schliessung behindert die Einfuhr von Lebensmitteln, die vor allem von der UNWRA, dem UNO-Hilfswerk für palästinensische Flüchtlinge, und dem Welternährungs-Programm, WFP, organisiert werden.

Die Besatzung und die humanitäre Krise führten zu einer Sicherheitskrise, die durch die historische Rivalität zwischen Hamas und Fatah Aufwind bekommt.

swissinfo: Die Krise hat in Gaza und im Westjordanland also nicht die gleiche Tragweite?

M.C.: Genau. In Gaza ist die Bevölkerungsdichte extrem hoch, hier leben 1,4 Millionen Menschen auf einem Gebiet, das etwas grösser ist als der Kanton Genf. Mehr als die Hälfte dieser Palästinenser ist von Lebensmittelhilfe abhängig.

Zudem handelt es sich beim Gazastreifen um ein fast total abgeschlossenes Gebiet. Die Leute leben also in einer Art Gefängnis, das zum Himmel offen ist. Hier kommt es zu den meisten bewaffneten Zwischenfällen.

Im Westjordanland ist das Klima weniger gravierend. Auch wenn die Versorgungslage schwierig ist, können die Familien noch von der Landwirtschaft in den Dörfern leben, obschon der Zugang zu den Märkten wegen der zahlreichen Check-Points schwierig ist.

swissinfo: Wie wirkt sich diese Verschlechterung auf die Programme der DEZA aus?

M.C.: Wir haben wirkliche Probleme bei der Umsetzung der Programme. Unsere humanitären Aktionen wickeln sich hauptsächlich über IKRK, UNWRA und WFP ab. Einige der Schwierigkeiten habe ich bereits erwähnt.

Zudem kommt es in den Spitälern zu einer Medikamenten-Verknappung. Das öffentliche palästinensische Radio hat bereits an die Bevölkerung appelliert, nur bei dringenden Notfällen das Spital aufzusuchen.

Wir klären zur Zeit ab, wie der Medikamentenkauf unterstützt werden könnte, ob direkt oder über unsere palästinensischen Partner wie der Rote Halbmond.

Zudem haben wir umfassende Programme psychosozialer Ausrichtung. Viele Begünstigte können davon aber nicht profitieren, weil ihnen das Geld für die Transportmittel fehlt.

swissinfo: Werden Sie Ihre Programme angesichts der Lage ändern?

M.C.: Wir evaluieren gegenwärtig mit all unseren Partnern die neuen Schwierigkeiten. Es kann sein, dass das eine oder andere Programm angepasst werden muss.

Wegen der zunehmenden Gewalt haben wir auch die Sicherheitsmassnahmen für unsere Mitarbeiter erhöht und die Reisen auf ein Minimum beschränkt. All dies beeinträchtigt die Kontrolle unserer Programme.

Zudem arbeiten wir eng mit unseren nordeuropäischen Kollegen zusammen und unterstützen israelische und palästinensische Nichtregierungs-Organisationen.

In diesen Tagen konzentrieren wir uns vor allem auf NGO, welche die Menschenrechte verteidigen und sich für gute Regierungsführung engagieren, insbesondere auf palästinensischer Seite.

Sollte die Palästinenserbehörde auseinanderbrechen, würden wir uns in einer sehr ernsten Lage befinden.

swissinfo-Interview: Frédéric Burnand, Genf
(Übertragung aus dem Französischen: Gaby Ochsenbein)

Aus Schweizer Sicht braucht es für einen Ausweg aus der Krise im Nahen Osten:

Einen dauerhaften Frieden in der ganzen Region, basierend auf den Resolutionen des UNO-Sicherheitsrates und den bisherigen Abkommen zwischen den Konfliktparteien.

Die Anerkennung des Existenzrechts Israels, insbesondere dessen Recht auf Sicherheit innerhalb der Grenzen, die international anerkannt sind.

Die Anerkennung des Rechts auf Selbstbestimmung des palästinensischen Volkes und somit das Recht auf einen eigenen, lebensfähigen Staat gemäss einer Resolution des UNO-Sicherheitsrates.

Eine gerechte Lösung für die palästinensischen Flüchtlinge.

Eine Regelung des Status’ für Jerusalem als Hauptstadt für Israel wie auch für einen künftigen Palästinenserstaat.

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