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Asyl-Nothilfe: Blocher macht Rückzieher

Will keine Verfassungänderung, aber auch keine grundsätzliche Aufhebung des Nothilfestopps: Justziminister Christoph Blocher. Keystone Archive

Justizminister Christoph Blocher will nicht mehr die Verfassung ändern, um die Nothilfe für abgewiesene Asylbewerber weiter streichen zu können.

Vor einigen Wochen hatte das Bundesgericht diese Massnahme als verfassungswidrig beurteilt.

Seit vergangenem April erhalten abgewiesene Asylbewerber oder Asylbewerber, auf deren Gesuch nicht eingetreten wird, keine Nothilfe mehr.

Die Massnahme des Eidgenössischen Justiz- und Polizei-Departements (EJPD) sollte das Bundesbudget entlasten und die Abgewiesenen motivieren, möglichst schnell die Schweiz zu verlassen. Insbesondere wer nicht mit den Behörden kooperierte, sollte so bestraft werden.

Bundesrat im Clich mit der Verfassung

Statt ihre Identität preiszugeben oder selbstständig auszureisen, tauchten vermehrt Menschen in die Illegalität ab oder baten bei den Kirchen um Unterkunft und Nahrung. Mitte März beurteilte das Bundesgericht in Lausanne den Nothilfestopp als verfassungswidrig.

Justizminister Blocher von der Schweizerischen Volkspartei (SVP) forderte daraufhin eine Verfassungsänderung, um an der Massnahme festhalten zu können. Er wollte den harten Kurs im Asylwesen weiter verfolgen.

Von der Verfassungs-Änderung – die vom Volk hätte abgesegnet werden müssen – hat er jetzt Abstand genommen. Dafür hat er dem Bundesrat einen entsprechenden Zusatz zur laufenden Asylgesetzrevision vorgelegt. Diese wird gegenwärtig im Parlament behandelt.

Blocher: “Niemanden verhungern lassen”

Die Streichung der Nothilfe soll nicht mehr für alle ausreisepflichtigen Asylbewerber gelten. Könne die Notlage glaubhaft gemacht werden, richte der Staat die Nothilfe auch bei unkooperativem Verhalten aus, sagte Blocher in Interviews, die in der “Sonntags-Zeitung” und “Le Matin Dimanche” erschienen sind.

Dabei bleibt Blocher bei seiner harten Haltung: “Niemand versteht, dass Ausländer, die ausreisen müssen und können und die nicht bereit sind, ihre Identität preiszugeben, dennoch vom Staat unterstützt werden”, sagte er im Interview. Aber auch: “Auf der anderen Seite ist klar, dass wir in unserem Land niemanden verhungern lassen.”

Seiner neuen Variante habe der Bundesrat am vergangenen Mittwoch bereits zugestimmt, ergänzte Blocher.

Nationalrats-Kommission muss entscheiden

Am Donnerstag informierte der Justizminister die Staatspolitische Kommission (SPK) des Nationalrates, der grossen Kammer, die die Asylgesetzrevision Mitte Mai behandeln soll.

Laut SPK-Präsident Hermann Weyeneth von der SVP wurde in der Kommission entschieden auf den Vorschlag einzugehen, materiell sei aber noch nichts entschieden worden.

Der Vorschlag von Blocher sei erst angekündigt worden, sagte Weyeneth. Zuerst müssten vom EJPD die Unterlagen erarbeitet werden, damit der Vorschlag in der Kommission behandelt werden könne.

Ständerat will schärferes Asyl-Recht

Vor rund einem Monat hatte der Ständerat, die kleine Kammer, das Asylgesetz verschärft und sich für einen Nothilfestopp für abgewiesene Asylbewerber ausgesprochen.

Gerade einen Tag später fiel der Richterspruch in Lausanne, der ein uneingeschränktes Recht auf Nothilfe festhielt – auch für renitente Asylbewerber.

swissinfo und Agenturen

Asylgesuche im Jahr 2004: 14’250
Rückgang der Gesuche gegenüber 2003: 32%
Gutgeheissene Gesuche 2004: 1550 (2003: 1640)
Ablehnende Entscheide in 10’080 Fällen

Die Nothilfe umfasst ein Obdach in einer Kollektivunterkunft, die Abgabe von Lebensmitteln und Hygieneartikeln, die ärztliche und zahnärztliche Notfallversorgung sowie andere Sachmittel.

Diese Leistungen können auch durch die Zahlung von 21 Franken pro Tag abgegolten werden.

Der Nothilfestopp trieb viele Abgewiesene in die Illegalität.

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