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Co-Gastgeber legen Rivalitäten zur Seite

Gessler und Wilhelm Tell: Die Rivalität begann bereits 1291. Keystone

Die Legende von Wilhelm Tell illustriert, dass die Beziehungen zwischen den Eidgenossen und Österreich einst alles andere als freundlich waren. Heute ist all das längst Geschichte.

Einst war der Schweizer Nationalheld Wilhelm Tell von einem Habsburger Vogt gezwungen worden, einen Apfel vom Kopf seines Sohnes zu schiessen. Heute richten die zwei Länder im Juni gemeinsam die Fussball-Europameisterschaft aus.

Dass zwei Länder ein derart grosses Fussball-Event gemeinsam organisieren, ist seit dem Erfolg der Euro 2000 in Belgien und den Niederlanden sowie der Weltmeisterschaft von 2002 in Südkorea und Japan in Mode gekommen.

Als es um die Vergabe der Euro 2008 ging, waren neben der Schweiz und Österreich auch Irland und Schottland gemeinsam angetreten, die vier nordischen Staaten, Griechenland und die Türkei sowie Kroatien und Bosnien-Herzegowina. Auch die Euro 2012 wird ein Gemeinschaftswerk, organisiert von Polen und der Ukraine.

Zwei Kleine gemeinsam

Die 2001 bekannt gegebene Kombination Schweiz-Österreich hat alle Elemente für eine erfolgreiche Partnerschaft. Allein wären beide Länder zu klein, eine solch grosse Veranstaltung durchzuführen. Beide verfügen aber über eine ausgezeichnete Infrastruktur, die inzwischen für die Euro noch modernisiert wurde.

Dazu kommt, dass die zwei Nachbarstaaten, zumindest zu einem grossen Teil, eine gemeinsame Sprache und eine ähnliche Mentalität haben. Weitere Gemeinsamkeiten: ein föderatives politisches System, Neutralität, wirtschaftlicher Wohlstand sowie ein Ruf der Zuverlässigkeit und Gesetze für strikte Bankgeheimnisse. Der grösste Unterschied ist, dass Österreich Mitglied der Europäischen Union (EU) ist – die Schweiz bekanntlich nicht.

Ralph Zloczower, der Präsident des Schweizerischen Fussball-Verbandes (SFV), hatte ein paar Monate vor dem Entscheid des Europäischen Fussballverbandes (UEFA) noch einige weitere Punkte aufgelistet, wieso das gemeinsame Vorgehen erfolgreich sein würde. Dazu gehören neben der Unterstützung von Politik, Wirtschaft und Bevölkerung die zentrale Lage im Herzen Europas. Die Kandidatur stand denn auch unter dem Motto: “Football’s best – close to you” (Europas beste Fussballer vor der eigenen Haustüre).

“Beharrlichkeit und Wille zeichnen die Menschen in unseren beiden Ländern aus. Und wo ein Wille ist, ist auch ein Weg”, hatte Zloczower vor der Vergabe der Spiele prophezeit – womit er schliesslich richtig gelegen war.

Sportliche Konkurrenz

Österreich war vor dem Erfolg mit der Kandidatur für die Euro 2008 bereits einmal gescheitert. Damals hatte es sich gemeinsam mit Ungarn um die Ausrichtung der Euro 2004 bemüht, für die Portugal den Zuschlag erhalten hatte.

Stefan Ilek, der Sprecher des Österreichischen Fussballbundes (ÖFB), zog es diplomatisch vor, nachteilige Vergleiche zwischen den zwei Anläufen zu ziehen.

“Die Partnerschaft mit Ungarn fusste ebenfalls auf einer guten Zusammenarbeit. Am Ende braucht es immer auch eine Portion Glück”, sagt Ilek gegenüber swissinfo.

Die Schweiz und Österreich sind im Sport oft Konkurrenten, das gilt vor allem für den Wintersport. Seit Jahrzehnten liefern sich die alpinen Skiteams einen Zweikampf. Abwechslungsweise steht meist eine Zeitlang das eine, dann wieder das andere Land an der Spitze; immer zum Ärger der jeweils unterlegenen Seite.

An der Fussball-Front hingegen wäre die begehrteste Trophäe für beide Seiten ein Sieg gegen Deutschland. Allerdings müssen auch äusserst patriotische Fans zugeben, dass sowohl die Schweiz als auch Österreich im Vergleich mit dem grossen Nachbarn klar als Aussenseiter da stehen.

Angesichts der relativen Grösse und Stärke der beiden Fussball-Nationalteams werden Spiele zwischen der Schweiz und Österreich dennoch ernst genommen, gewissermassen als Derbys, bei denen einiges auf dem Spiel steht. So beklagten die Schweizer ihre Niederlage (1:2) gegen Österreich im Jahr 2006 denn auch mindestens so sehr, wie sie die 3:1-Revanche im Jahr darauf feierten.

Die wohl denkwürdigste Begegnung zwischen den beiden Ländern fand bei der Weltmeisterschaft von 1954 in der Schweiz statt: Österreich besiegte die Schweiz im Viertelfinale in Lausanne mit 7:5, und das nach einer 3:0-Führung der Gastgeber. Bis heute sind in keinem anderen WM-Spiel je mehr Tore gefallen.

Wettkampf ist gut

In den vergangenen Jahren hatte die Schweizer Mannschaft jedoch mehr Erfolg als Österreich. So stiess sie an der Weltmeisterschaft in Deutschland 2006 bis in die Achtelfinals vor. Österreichs Fussball hingegen befindet sich in einem Tief und musste in den letzten Spielen eine ganze Reihe von Niederlagen einstecken.

Aus Sicht von Martin Kallen, UEFA-Geschäftsführer der Euro 2008, ist etwas Rivalität zwischen den beiden Gastgeber-Nationen gut. “Es gibt eine gewisse Konkurrenz zwischen den beiden Ländern. Obschon sie als Partner operieren, will jede Seite ihre eigenen Stärken zeigen. Das trägt zu einer Bereicherung der Veranstaltung bei”, so Kallen gegenüber swissinfo.

swissinfo, Matthew Allen
(Übertragung aus dem Englischen: Rita Emch)

Die Schweiz und Österreich sind als Ko-Organisatoren automatisch für die Fussball-EM vom 7. bis zum 29. Juni 2008 qualifiziert.

Die 31 Spiele werden in 4 Schweizer Städten (Basel, Bern, Genf, Zürich) und in 4 österreichischen Städten (Innsbruck, Klagenfurt, Salzburg und Wien) ausgetragen.

Eröffnet wird die Euro 2008 am 7. Juni in Basel. Der Final findet am 29. Juni in Wien statt.

Die Schweiz spielt alle ihre Qualifikations-Matches in Basel.

Die EM-Begegnungen werden in 170 Ländern am Fernsehen übertragen. Es wird geschätzt, dass die kumulierte Zuschauer-Zahl über das gesamte Turnier hinweg bei rund 8 Milliarden liegen wird.

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