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Erstes Schweizer Hotel-Dorf mit Dorfhotel

Piz Tschütta: Herzstück des dezentralen Hotels. Fundaziun Vnà

Das Bergdorf Vnà im Unterengadin wird zum ersten Schweizer "Hotel-Dorf", das noch bewohnt ist. Damit soll dem seelenlosen Zweitwohnungsbau im Oberengadin eine Alternative erwachsen. Eröffnet wird am 1. Mai.

Hotel-Dörfer, bekannter unter dem Begriff “Holiday Resorts”, liegen üblicherweise am Meer in warmen Gefilden. Als architektonische Kunstgebilde mit regionaler Gebäudefolklore schirmen sie Touristen von der Umwelt ab und ermöglichen gleichzeitig störungsfreien Urlaub. Gebucht werden sie als “Package” inklusive Flug und Transfer.

Vnà hingegen liegt nicht am, sondern 1630 Meter überm Meer. Das auf einer Sonnenterrasse gelegene Unterengadiner Bergdorf möchte sich mit einer neuen Angebotsformel für Touristen öffnen. Wegen seines intakten Dorfbilds steht es unter Denkmalschutz.

Nicht mehr intakt hingegen sind die Existenzbedingungen: Überalterung und Abwanderung drohten aus Vnà ein absterbendes Dorf hinter Bilderbuchkulissen zu machen.

Um zu verhindern, dass Vnà von Zweitwohnungs-Promotoren zum kulturhistorischen Dekor ausgehöhlt wird, entwickelte eine einheimische Projektgruppe ein Tourismuskonzept mit einem zentralen Gast- und Kulturhaus und Gästezimmern in mehreren Gebäuden des Dorfs.

Das Gast- und Kulturhaus “Piz Tschütta” wird am 1. Mai eröffnet. Die Herberge, das grösste Gebäude in Vnà, stand seit 1995 leer. Das Dorf will damit seine bestehende Bausubstanz nutzen, anstatt neue Hotels und Ferienwohungen zu bauen.

Ganzes Dorf als Beherbergungsort

5 Zimmer im Gast- und Kulturhaus und 13 dezentrale Gästezimmer mit insgesamt 36 Betten können im Hotel-Dorf gebucht werden. Damit wird das ganze Dorf zum “Ferien-Resort” und “Piz Tschütta”, die frühere Dorfbeiz, zum Zentrum mit Restaurant, Aufenthaltsräumen und Zimmern.

“Noch mehr Gäste kann der Betrieb nicht beherbergen”, sagt Urezza Famos, Verwaltungsratspräsidentin der Piz Tschütta AG, gegenüber swissinfo.

Von Kantonalbank bis Seco

Hinter dem biologisch-ökologischen Konzept verbirgt sich ein ausgeklügeltes gemischtwirtschaftliches Finanzkonstrukt.

Bauherrin und Betreiberin des Gast- und Kulturhauses ist die Piz Tschütta AG mit 450’000 Fr. Aktienkapital, gezeichnet von Dorfbewohnern, Projektinitianten und einheimischen Unternehmern.

Daneben ist die Stiftung Fundaziun Vnà aktiv, die sich mit 600’000 Franken am Umbau beteiligt. Als Stiftungszweck wird die Wahrung und Mehrung des kulturellen und wirtschaftlichen Wohlergehens von Vnà angegeben. Hinter der Stiftung stehen 220 private Spender.

Wehret den fremden Investoren

Zu den Gründungsmitgliedern der Stiftung gehört auch Urezza Famos, die sich im Unterengadin als Unternehmerin und Kulturmanagerin einen Namen gemacht hat.

Um zu verhindern, dass fremde Investoren die unverbaute Landschaft entdecken und Hotelbauten hinstellen, mit denen die Einheimischen nichts zu tun haben, hat sie sich in der Stiftung engagiert.

In der Nachbargemeinde Tschlin hatten die Bewohner sogar ein Hotelprojekt des berühmten Architekten Peter Zumthor abgelehnt.

Von behördlicher Seite hat sich das Amt für Wirtschaft und Tourismus beteiligt. Die Schweizer Berghilfe stieg ein, die Graubündner Kantonalbank und die Gesellschaft für Hotelkredit gewährten Darlehen, und das Staatssekretariat für Wirtschaft des Bundes (Seco) unterstützt das Projekt über sein Innotour-Standortförderungs-Programm.

Kombination mit Kultur

Das Gebäude “Piz Tschütta” ist von den Architekten Christof Rösch und Rolf Furrer saniert und erweitert worden, wobei einheimisches Lärchen-, Fichten- und Arvenholz verwendet wurde. Moderne Materialien wie Linoleum oder Lacke wurden abgetragen, um die originalen Baumaterialien wieder sichtbar zu machen. Das Gebäude wird CO2-neutral geheizt.

Stiftungspräsident und Architekt Christof Rösch legte Wert darauf, dass im Gasthaus auch Kulturprogramme angeboten werden.

Im Anschluss an die Eröffnung stehen im Monat Mai Musik, Diskussionen, Live-Radio und ein Film über die Projekt-Entstehung auf dem Programm.

Insgesamt planen die Initianten, aus Vnà ein weit beachtetes Projekt mit Modellcharakter für die Entwicklung in Berg- und Randgebieten zu machen. Eine Auszeichung haben sie bereits erhalten: Letzten Januar wurde ihnen der erste Preis der Hans E. Moppert-Stiftung für “Nachhaltigkeit im Alpentourismus” verliehen.

swissinfo, Alexander Künzle

Vnà liegt 20 (Post-)Autominuten vom Badezentrum Scuol entfernt.
In der Nähe liegen: Skigebiet Scuol/Ftan/Sent; Einkaufsparadies Samnaun; Nationalpark; Engadiner Dörfer wie Guarda; Golfplatz Vulpera; Dreiländereck.
Als Gäste angesprochen sind naturnahe Touristen mit Eigeninitiative, Wanderer/Bergsteiger, Velo-Mountainbiker, Kulturinteressierte, Seminarteilnehmer.

Die “Fundaziun Vnà” hat im Unterengadiner Dort Vnà ein dezentrales Hotelkonzept aufgezogen.

Um ein zentrales historisches Gebäude im Dorfkern, Piz Tschütta, sind weitere Ferienwohn-Angebote in den nahen Dorfhäusern entstanden.

Gegessen wird zentral, im Hotelgebäude. Der Kontakt mit den Einheimischen ergibt sich von selbst.

Auch ihnen bringt das Konzept wirtschaftliche Vorteile.

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