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Kann man in Amerika ohne Auto überleben?

Auch an die Stanford University kommen die Studenten häufig per Fahrrad. Layla Lang

Wir leben an der Bucht von San Francisco, USA, in einem Land, in dem Popstars Autos an Arbeitslose verschenken, da man ohne Auto weder einen Job suchen noch ausüben kann. Trotzdem haben wir uns drei Monate lang mit dem Fahrrad durchgeschlagen.

Da wir in den letzten Jahren in verschiedenen Städten Deutschlands und der Schweiz bestens ohne Auto zu Recht gekommen sind, beschlossen mein Mann und ich, es in Amerika erst einmal ohne Auto zu versuchen.

Nicht zuletzt war diese Entscheidung auch dem Umstand geschuldet, dass man als Ausländer mit Wohnsitz in Kalifornien nur zehn Tage mit seinem “out-of state”-Führerschein fahren darf und wir den bürokratischen Kampf um Führerschein, Autoversicherung, Autokauf und -anmeldung erst einmal vertagen wollten.

Der öffentliche Nahverkehr

Zunächst einmal versuchten wir es mit dem öffentlichen Nahverkehr. Schliesslich leben wir nicht irgendwo im Hinterland, sondern an der San Francisco Bay, also dort wo Hippiebewegung, Internet, iPhone, Web 2.0 und Blue Jeans erfunden wurden. Da sollte es doch wohl neben ein paar Strassenbahnen für Touristen ein ordentliches öffentliches Personennahverkehrsnetz geben.

Tatsächlich verbinden verschiedene Eisenbahnnetze die grösseren Städte in der Nähe der Bucht. Solange man an der Bucht bleibt und sich entlang der Hauptverkehrsachsen fortbewegen will, ist die Bahn ein sehr bequemes und im Vergleich zur Schweiz auch günstiges Verkehrsmittel.

Schwierig wird es allerdings, wenn man sich entweder von der Bucht weg bewegt, um etwa an den Pazifik zu fahren, oder zu einem der vielen anderen Orte will, die nicht direkt an einer der Hauptachsen liegen.

Für diesen Fall gibt es Busse – von insgesamt 22 verschiedenen Verkehrsgesellschaften. Bei meinem Versuch, mit dem Bus die ersten Einkäufe im fünf km entfernten Palo Alto zu erledigen, musste ich feststellen, dass ich mich besser vor dem Trip über Routen und Fahrpläne informiert hätte, da an den meisten Bushaltestellen keine Informationen über die jeweiligen Streckennetze und Fahrpläne zu finden sind.

Da ich das lokale Streckensystem selbst nach einwöchiger Testphase noch nicht verinnerlicht hatte und die Busverbindungen häufig so schlecht sind, dass ich genauso gut hätte zu Fuss gehen können, beschloss ich, aufs Fahrrad umzusteigen.

Mehr Fahrräder als Autos

Mit Fahrrad, Helm und reflektierender Kleidung ausgerüstet zog ich also los und stellte überrascht fest, dass es in Palo Alto an fast allen grossen Strassen spezielle “Bike Lanes”, also Velowege, gibt und ruhigere Nebenstrassen häufig als “Bike Boulevards” gekennzeichnet sind. Begünstigt durch das angenehme und niederschlagsarme Klima nutzen sehr viele Menschen das Fahrrad für den Weg zur Arbeit.

Auf dem weitläufigen Campus der Stanford University sieht man ohnehin weit mehr Fahrräder als Autos. Eine positive Überraschung waren die Autofahrer: Nicht nur, dass jene hier weit häufiger in umweltschonenden Hybridfahrzeugen als in spritfressenden SUVs anzutreffen sind, sondern auch, dass sie meist sehr rücksichtsvoll fahren und sogar meistens anhalten, um einen Fahrradfahrer kreuzen zu lassen.

Die erste Tour

Das Velo eignet sich auch vorzüglich, um die etwas weitere Umgebung zu erkunden. In Woodside, einem kleinen Örtchen am Fusse der Santa Cruz Mountains, stösst man an einem typischen Januarwochenende auf ähnlich viele Radfahrer wie vor dem Marzili-Bad in Bern an einem heissen Julitag.

Die vielen Landstrassen mit unterschiedlichem Gelände, die von flacher Strecke bis zu steilem Anstieg alles aufweisen, laden geradezu zum Velofahren ein. Nachdem man in Woodside an vielen Pferderanchen vorbeigefahren ist, wird die Landschaft Richtung Berge immer einsamer. Die bewaldete Hügellandschaft ist umwerfend schön, die Eichenwälder sind üppig und wild. Während weiteren Touren konnten wir Hirsche, Rehe und Kojoten beobachten.

An den steilsten Abschnitten wurden wir erbarmungslos von gut trainierten Frauen und Männern auf teuren Rädern in professionellem Outfit überholt. Auf dem höchsten Punkt angekommen, wird man mit einer herrlichen Aussicht nach Osten über die sich endlos erstreckende Landschaft und die Bay, nach Westen auf den Pazifik, belohnt.

Doch noch ein Auto

Dank der rücksichtsvollen Autofahrer und der velofreundlichen Umgebung konnten wir auch ohne alltagstaugliches öffentliches Nahverkehrsnetz gut auf ein Auto verzichten und die schöne Umgebung intensiv erleben.

Allerdings kommt man nicht darum herum, in irgendeiner Form ein Auto zu verwenden, wenn man nachts unterwegs ist oder Regionen ausserhalb der Bay Area erkunden möchte.

Deshalb sind wir jetzt auch froh, dass sich der Bürokratismus entgegen unserer ursprünglichen Befürchtung in Grenzen gehalten hat und wir mittlerweile einen kalifornischen Führerschein erhalten haben.

Layla Lang, San Francisco Bay, swissinfo.ch

Immer häufiger reisen auch junge Leute für längere Zeit ins Ausland, sei das zum Studieren, Forschen, für ein Stage oder zum Arbeiten.

Zu ihnen gehört auch Layla Lang, die von März bis August 2010 für swissinfo.ch über ihre Erlebnisse und Erfahrungen aus Kalifornien berichtet.

Layla Lang ist 28 Jahre alt.

Sie hat an der ETH Zürich Biologie studiert. Ihre Diplomarbeit führte sie am Max-Planck-Insitut für Marine Mikrobiologie in Bremen, Deutschland durch.

Anschliessend lebte sie drei Jahre in München, wo sie als Projekt-Koordinatorin in der klinischen Forschung arbeitete.

Im Dezember 2009 zog Layla Lang mit ihrem Mann, der in Stanford eine Postdoktoranden-Stelle besetzt, an die Bucht von San Francisco in Kalifornien.

Sie arbeitet als klinischer Monitor und betreut klinische Studien in der Region Kalifornien.

Zusätzlich befasst sie sich mit Malerei und wissenschaftlicher Illustration (www.laylakaenel.com).

Zu ihren Hobbys zählen längere Fahrrad- und Trekking-Touren in der Natur.

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