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Milliardendebatte – vor leeren Stühlen

Viele Parlamentarierinnen und Parlamentarier sind in der Endphase des Wahlkampfes - und nicht im Parlament. Keystone

Es ging um viel Geld beim Entlastungsprogramm 2003, das im Nationalrat am heutigen Donnerstag verabschiedet worden ist. Doch während die einen hitzig debattiert hatten, hatten viele andere mit Abwesenheit geglänzt.

Zweimal kam es zu Unterbrechungen, weil zu wenig Parlamentarier anwesend waren – eine Verluderung der demokratischen Sitten?

Grossmehrheitlich hatte die Grosse Kammer bisher die Vorschläge von Regierung und Ständerat akzeptiert – häufig gegen die Opposition der Linken.

Allerdings eilte es zum Schluss mit der Beratung: Das Sparpaket musste unbedingt noch in dieser Session unter Dach und Fach gebracht werden. Am Donnerstag konnte das Geschäft vom Nationalrat verabschiedet werden – aber aus Zeitnot hatte man deshalb über verschiedene Anträge kaum mehr seriös diskutieren können.

Zudem schien das Interesse der Volksvertreter und -vertreterinnen am bislang grössten Entlastungspaket gering: Debattiert wurde vor gelichteten Reihen. Zweimal musste der Ratspräsident einschreiten und die Debatte wegen ungenügender Präsenz ab-, respektive unterbrechen.

Sind weniger als 101 Volksvertreter im Saal, ist der Nationalrat nicht beschlussfähig. Das kann gerade bei komplexen Vorlagen wie dem Sparprogramm mit seinen zahlreichen Zwischenabstimmungen eine Rolle spielen.

Die bürgerlichen Parteien hatten der Linken vorgeworfen, durch bewusste Abwesenheit die Spar-Anstrengungen zu hintertreiben. Dabei hätte es die bürgerliche Mehrheit immer in der Hand gehabt, das nötige Quorum zu erfüllen. Doch mangelte es der Rechten anscheinend an Disziplin.

swissinfo sprach mit dem Politologen Hans Hirter von der Universität Bern.

swissinfo: Drei Wochen vor den eidgenössischen Wahlen zeichnet das Parlament ein jämmerliches Bild seiner selbst. Ist das ein Tiefpunkt – oder das Signal für eine Verluderung der demokratischen Sitten?

Hans Hirter: Soweit würde ich nicht gehen. Ich würde eher sagen, es ist ungewöhnlich, dass ein Parlament mitten im Wahlkampf überhaupt tagt. Das wäre im Ausland absolut unüblich, weil in dem Moment Abgeordnete im Wahlkampf drin sind und zahlreiche andere Verpflichtungen haben.

swissinfo: Könnte es dann vor allem sein, dass die Parlamentarier überfordert sind?

H.H.: Sie sind natürlich generell sehr stark gefordert als Milizparlamentarier, die nebenbei in vielen Fällen auch noch arbeiten.

Hinzu kommen zahlreiche Kommissions-Sitzungen und parlamentarischen Tätigkeiten – und all dies in einer Zeit, in der Wahlkampf herrscht. Wahrscheinlich sind sie also tatsächlich überfordert.

swissinfo: Trotzdem drängt sich die Frage auf, ob sich das Parlament nicht mehr ganz ernst nimmt: Es muss ja damit rechnen, dass die ewigen Scharmützel am 19. Oktober mit einer schlechten Stimmbeteiligung quittiert werden?

H.H.: Ich glaube nicht, dass jetzt einzelne Episoden im Parlament – oder auch Bilder, die man manchmal sieht, dass etwa das Plenum nicht besetzt ist – einen grossen Einfluss haben.

An den Wahlen beteiligen sich in der Schweiz sowieso nur die, die politisch relativ stark interessiert sind, und die wissen, wie das Parlament arbeitet. Das heisst, dass nicht immer alle zu jedem Zeitpunkt im Parlament anwesend sein können.

swissinfo-Interview: Monika Lüthi

Entlastungsprogramm für den Bundes-Haushalt, Vorschlag Bundesrat:
2004: 1 Mrd. Franken
2005: 2,2 Mrd. Franken
ab 2006: 3,3 Mrd. Franken

Der Bundesrat will mit seinem Spar-Programm auf die eingebrochenen Steuer-Einnahmen reagieren.

Sparen müssen alle Departemente. Finanzminister Villiger spricht von einer “Opfer-Symmetrie”. Insgesamt sind rund 70 Einzel-Massnahmen geplant.

Dennoch rechnet die Regierung 2006 noch mit einem negativen Saldo von gegen 2 Mrd. Franken im Budget.

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