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Neutralität mit Spielraum

Die Schweiz toleriert keine militärischen Überflüge. Keystone

Die Schweiz beruft sich im Irak-Krieg auf ihre Neutralität. Militärische Überflüge sind verboten, die Bedingungen für Kriegmaterial-Exporte wurden verschärft.

Der Bundesrat geht in seinen Massnahmen über die bisher übliche Politik hinaus.

“Die von den Vereinigten Staaten von Amerika angeführte Koalition hat sich entschieden, Gewalt anzuwenden, ohne die Zustimmung des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen. Es handelt sich also um einen Konflikt zwischen Staaten, und deshalb gilt das Neutralitätsrecht.”

Mit diesen Worten begründete Bundespräsident Pascal Couchepin am Donnerstagmorgen vor den versammelten National- und Ständeräten die Haltung der Regierung im Irak-Krieg. Die Schweiz werde sich weder direkt noch indirekt an den militärischen Operationen beteiligen.

Neutralitätsrecht und Neutralitätspolitik

So weit ein klarer Fall. Neutralität bedeutet die Nichtbeteiligung an einem bewaffneten Konflikt zwischen anderen Staaten. Das Neutralitätsrecht ist Bestandteil des Völkerrechts und regelt das Recht des Neutralen, von den Konfliktparteien unbehelligt zu bleiben und die Pflicht zur Unparteilichkeit.

In der Praxis schränken diese völkerrechtlichen Regelungen die Handlungsfreiheit des Neutralen jedoch nur geringfügig ein. Alles was darüber hinaus geht ist Sache der Neutralitätspolitik.

“In einer Krise wie dieser wird man die Glaubwürdigkeit eines neutralen Landes an der Haltung messen, die es einnimmt. Die Haltung der Landesregierung erachte ich in diesem Sinne als völlig korrekt”, sagt Philippe Braillard, Professor für Politikwissenschaft an der Universität Genf, gegenüber swissinfo.

Das Überflugverbot zu militärischen Zwecken sei in der Schweiz mittlerweile Standard, sagt die an der Universität Basel tätige Völkerrechtlerin Anne Peters. Neben militärischen Überflügen sind auch Flüge zu Überwachungs- und Aufklärungszwecken verboten. Zugelassen sind nur humanitäre Flüge und Verletzten-Transporte.

Verschärftes Export-Verbot

Beim Verbot der Rüstungsexporte verschärft der Bundesrat jedoch die bisherige Praxis. Völlig eingestellt werden Rüstungsexporte an die Kriegsparteien durch die Schweizer Armee. Ausfuhren des Rüstungsbetriebs RUAG oder privater Firmen werden untersagt, wenn sie einen Beitrag zu den Militäroperationen leisten oder wenn die Lieferungen den “Courant normal” übersteigen.

Der “Courant normal” ist so definiert, dass die Exporte das Mittel der letzten drei Jahre wegen der militärischen Operationen nicht übersteigen dürfen. “Damit soll verhindert werden, dass Schweizer Unternehmen in die Lücke springen, wenn andere Staaten ihre Lieferungen aussetzen”, erklärt Othmar Wyss vom Staatssekretariat für Wirtschaft (seco).

Die heute vom Bundesrat festgelegte Neutralitätspraxis sei etwa dieselbe wie während des Kosovo-Krieges. “Neu ist nur, dass der Export durch die Eidgenossenschaft selber völlig eingestellt wird.” Diese Unterscheidung sei damals nicht getroffen worden.

Vom Verbot erfasst werden Exporte von Handgranaten und 40-mm-Gewehrgranaten, sofern sie für die kämpfende Truppe bestimmt sein sollten. Nach wie vor erlaubt ist hingegen die Ausfuhr von Komponenten für F/A-18-Kampfflugzeuge.

Klares Signal

“Ich halte den Entscheid des Bundesrats für richtig, vor allem weil es sich um eine völkerrechtswidrige Intervention handelt”, sagte der in Bern lehrende Völkerrechtler Robert Kolb.

Eine restriktive Haltung sei nicht nur neutralitätsrechtlich, sondern auch neutralitätspolitisch zu begrüssen. “Damit gibt die Schweiz ein klares Signal, dass sie die Völkerrechtsverletzung nicht unterstützt.”

Die Schweizer Neutralität habe in diesem Konflikt nur eine geringe Bedeutung, relativiert Stig Förster, Professor für Neuste Geschichte an der Universität Bern, gegenüber swissinfo. “Die Schweiz ist ein kleines Land und spielt in diesem internationalen Konflikt keine wichtige Rolle. Für die Schweiz ist die Neutralität natürlich wichtig.”

“Die Neutralität ist für ein multikulturelles Land wie die Schweiz ein wichtiger Faktor des nationalen Zusammenhalts”, betont auch der Genfer Professor Braillard.

Zustimmung und Kritik

Die Haltung des Bundesrats fand mehrheitlich die Zustimmung der Bundesratsparteien. Nur die Schweizerische Volkspartei (SVP) sprach von einem Versagen der UNO und forderte, dass die Schweiz zur Politik der immerwährenden, bewaffneten Neutralität zurückkehre.

Den Sozialdemokraten und Grünen ging der Bundesrat klar zu wenig weit. Sie forderten einen umfassenden Stopp der Waffenlieferungen und der Rüstungs-Zusammenarbeit, der auch Dual-Use-Güter umfassen müsse.

CVP-Präsident Philipp Stähelin kritisierte die Einschränkungen bezüglich des “Courant normal” und sagte, zumindest für die Dauer des Kriegs müssten alle Lieferungen an die kriegsführenden Parteien verboten werden. “Wie will man im Falle von Munitionslieferungen nach Grossbritannien nachweisen, ob sie in Irak eingesetzt werden oder nicht?» fragte Stähelin. Für FDP und SVP sind die verhängten Massnahmen demgegenüber angemessen.

swissinfo, Hansjörg Bolliger

Waffenausfuhr 2002:
USA: 30.8 Mio. Fr.
GB: 18,2 Mio. Fr.

Courant normal: Mittel der letzten drei Jahre

ca. 20 Schweizer Firmen sind bei Rüstungs-Geschäften mit den USA engagiert.

Während das Neutralitätsrecht die Pflichten neutraler Staaten auf die militärische Nichtbeteiligung begrenzt, ist im wirtschaftlichen Bereich lediglich das Gleichbehandlungs-Prinzip zu beachten.

Gegen den Irak wird diese Gleichbehandlung indes nicht angewendet, weil gegen das Land ein UNO-Embargo verhängt ist.

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