Schweizer Perspektiven in 10 Sprachen

Polizei soll Zugriff auf Schengen-Visa erhalten

Der Datenhunger europäischer Polizeikräfte soll bald gestillt werden. Keystone

Trotz datenschützerischer Bedenken wollen die Schengen-Länder und die Schweiz der Polizei Zugang zu den Daten von Visa-Bewerbern gewähren.

Als mögliches zukünftiges Mitglied nahm die Schweiz erstmals an einer Diskussion des Gemischten Schengen-Ausschusses auf Ministerebene teil.

Schengen ist gegenwärtig eine Grossbaustelle: Die neuen Datenbanken, die den Kern des Sicherheitssystems bilden, werden jetzt geplant und entwickelt. Als vorerst provisorisch aufgenommenes Mitglied darf die Schweiz seit Ende Oktober bei der Entwicklung bereits mitreden. Zu Fragen des Datenschutzes etwa, die sich bei diesen Datenbanken unweigerlich stellen.

Am Donnerstag zum Beispiel sprachen sich die Schengen-Länder und auch die Schweiz in Brüssel grundsätzlich dafür aus, dass die Polizei in Zukunft auf die geplante Datenbank der Bewerber für Schengen-Visa zugreifen darf.

Datenschützerische Bedenken

Trotz der grossen Übereinstimmung ist der Entscheid vom Datenschutz her gesehen problematisch: Denn im geplanten Visa-Informations-System (VIS) werden in Zukunft alle Touristen und Einwanderer erfasst, die ein Schengen-Visum erhalten oder sich erfolglos darum beworben haben.

Weil VIS auch biometrische Daten enthalten soll, wird es eine Sammlung der Fingerabdrücke der meisten Ausländer aus der dritten Welt sein. Die EU-Kommission hatte deshalb die Verwendung der Daten ursprünglich nur für Visa-Zwecke und damit zusammenhängende fremdenpolizeiliche Aufgaben erlauben wollen.

Auf Wunsch der deutschen Regierung wollen die Schengen-Länder nun der Polizei erlauben, die Daten für den Kampf gegen Verbrechen und Terrorismus zu nutzen. Dies ausdrücklich auch präventiv, also auf den Verdacht hin, dass jemand ein Verbrechen erst plant.

Vertiefte Analyse in der Schweiz

“VIS ist auch ein Instrument der inneren Sicherheit im Schengen-Raum”, begründete der Schweizer Botschafter bei der EU, Bernhard Marfurt, die Position der Eidgenossenschaft.

An dem Treffen in Brüssel, bei dem es sich bloss um eine grundsätzliche Aussprache handelte, vertrat Marfurt den abwesenden Schweizer Justizminister Christoph Blocher.

Konkrete Bestimmungen, die den Zugriff auf die VIS-Daten regeln, stehen noch nicht fest. Bei der Ausgestaltung der Regeln müsse, “ein strenger Datenschutz respektiert werden”, erklärte Marfurt weiter. In der Schweiz werde erst später eine vertiefte Analyse dazu durchgeführt.

Schon heute dürfe übrigens die Polizei in der Schweiz Visa-Daten für polizeiliche Ermittlungen nutzen. Dass die Polizei auf Datenbanken mit Fingerabdrücken ganzer Bevölkerungsgruppen zugreifen darf, ist in Europa offensichtlich kein grosses Streitthema mehr.

Auch die Sozialdemokratische Partei der Schweiz (SPS) zeigt seit ihrem Ja zu Schengen mehr Verständnis für den Datenhunger der Polizei als auch schon. “Unter der Bedingung, dass ein strenger Datenschutz gewahrt bleibt, unterstützen wir die Schweizer Haltung in dieser Frage”, erklärt SPS-Sprecher Jean-Philippe Jeannerat gegenüber swissinfo.

Schweiz fordert Mitsprache

Gemäss einer aktuellen juristischen Einschätzung könnte ein Teil des Datenschutzes zu einem EU-Bereich gehören, bei dem Nicht-Mitglieder kein Mitspracherecht haben. Entschieden ist jedoch noch nichts.

Er habe beim Treffen unterstrichen, dass die Schweiz bei der Erarbeitung der Datenschutzfragen umfassend miteinbezogen werden wolle, erklärte Marfurt weiter.

Biometrische Daten auch in Aufenthaltsbewilligung

Der Gemischte Ausschuss einigte sich am Donnerstag zudem ohne grosse Diskussionen auf Mechanismen, um bei Drittstaaten Gleichbehandlung bei der Schengen-Visapflicht einzufordern.

Zusätzlich sprach er sich dafür aus, dass biometrische Daten wie Fingerabdrücke und digitale Fotografien künftig nicht nur für VIS, sondern auch für Aufenthaltsausweise verwendet werden sollen. Bereits früher hatten die Schengen-Länder Reisepässe für die eigenen Bürger mit biometrischen Daten beschlossen.

Die Debatte darüber, wo solche Daten gespeichert werden und wie die Polizei sie nutzen darf, betrifft auf lange Sicht also die ganze Bevölkerung – und sie hat eben erst begonnen.

swissinfo, Simon Thönen, Brüssel

Das Schengen-Dossier ist Teil der zweiten bilateralen Abkommen zwischen der Schweiz und der EU.
Schengen baut stationäre Grenzkontrollen zwischen den Ländern ab und fördert die Sicherheit mit verstärkter Zusammenarbeit von Justiz und Polizei.
Dagegen hat die Schweizerische Volkspartei (SVP) das Referendum ergriffen.
Falls es zu Stande kommt, findet die Abstimmung über den Schengen-Beitritt am 5. Juni 2005 statt.
Eine Umfrage vom 23. Januar hat gezeigt, dass zwei Drittel der Wahlberechtigen für die Ratifizierung der Schengen-Verträge sind.

In Übereinstimmung mit den JTI-Standards

Mehr: JTI-Zertifizierung von SWI swissinfo.ch

Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!

Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch

SWI swissinfo.ch - Zweigniederlassung der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft

SWI swissinfo.ch - Zweigniederlassung der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft