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Schweiz muss Gute Dienste überdenken

Die Aussenministerin forderte die Unabhängigkeit Kosovos - das wurde nicht überall goutiert. Keystone

Die Schweiz müsse ihre Tradition der Guten Dienste überdenken, fordert ein ETH-Forscher im Gespräch mit swissinfo.

Während Norwegen erfolgreiche Friedensabkommen unterstützt, habe die neutrale Schweiz auf dem internationalen Parkett keine guten Karten mehr.

Das Beispiel Norwegens zeige, dass es heutzutage wichtiger sei, als unparteiischer Vermittler aufzutreten als immer neutral zu sein, sagt Daniel Trachsler von der Forschungsstelle für Sicherheitspolitik der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) in Zürich.

Im Nahen Osten, Kosovo oder Nord- und Südkorea habe die Schweiz erfolglos versucht, einen Friedensprozess in Gang zu bringen. So scheint die Genfer Initiative, ein inoffizieller, von der Schweiz unterstützter Friedensplan zwischen Israelis und Palästinensern, aus der öffentlichen Wahrnehmung verschwunden zu sein.

Auch die kürzliche Forderung der Aussenministerin Micheline Calmy-Rey nach einer Form von Unabhängigkeit für die Provinz Kosovo kam nicht gut an. Die Politiker in Belgrad schmetterten das Begehren in harten Worten ab, und auch in der internationalen Gemeinschaft wurde das Engagement als verfehlt betrachtet.

Derweil verzeichnet beispielsweise Norwegen Erfolge als Vermittler in Regionen wie dem Nahen Osten, Mittelamerika oder Sri Lanka.

swissinfo: Daniel Trachsler, wie erklären Sie sich, dass die Schweiz in der Vergangenheit keine Erfolge mehr hatte als Vermittlerin in Friedensprozessen?

D. T.: Während des Kalten Krieges war die Schweiz eines von wenigen neutralen Ländern und war damit in einer starken Position, ihre Guten Dienste anzubieten. Die Schweizer Diplomatie hat aber Mühe bekundet, sich auf die Zeit und die Erfordernisse nach dem Ende des Kalten Krieges einzustellen.

swissinfo: Was hat sich geändert?

D. T.: Heute finden die meisten Konflikte innerhalb eines Landes statt. Die Beilegung solcher Konflikte verlangt nach neuen Instrumenten wie multilateraler Mediation, kombiniert mit wirtschaftlichen Anreizen oder militärischem Druck.

Zu lange hat die Schweiz solche Veränderungen nicht wahrgenommen und ihre Vorstellungen von Friedensförderung nicht angepasst. Länder wie Norwegen haben viel schneller reagiert und international an Statur zugelegt. Die Schweiz hat verstanden, dass Änderungen notwendig sind und hat begonnen, ihre Strukturen anzupassen.

swissinfo: Gibt die Neutralität der Schweiz denn keinen entscheidenden Vorteil beim Vermitteln zwischen Kriegs-Parteien?

D. T.: Die Rolle der Neutralität einer dritten Partei bei Friedensverhandlungen wird deutlich überschätzt. In der Schweiz herrscht der Glaube vor, dass die Neutralität hilfreich sei für die Guten Dienste.

Aber im Feld der Mediation kann diese Annahme nicht belegt werden. Statistiken zeigen, dass neutrale Länder nicht häufiger für Konflikt-Vermittlung ausgewählt werden, als andere Länder. Auch sind deren Anstrengungen nicht öfter erfolgreicher.

Andere Faktoren wie politische oder wirtschaftliche Stärke oder die Möglichkeit, Anreize zu setzen, sind wichtiger, um Verhandlungen zum Erfolg zu führen. Das Beispiel von Norwegen, das Mitglied der NATO ist, zeigt, dass es wichtiger ist, unabhängiger Vermittler zu sein, als ständige Neutralität zu wahren.

swissinfo: Kann man denn sagen, dass Schweizer Diplomaten in der vordersten Reihe stehen, wenn es um Friedensverhandlungen geht?

D. T.: Friedensförderung und Friedens-Diplomatie sind eine schwierige, oft frustrierende Angelegenheit, nicht nur für die Schweiz. Es braucht Durchhaltewillen, politischen Willen und Ressourcen. Ich denke, die Schweiz holt auf und kann einige Erfolge vorweisen mit ihrem Engagement im Sudan, ihren Entminings-Aktionen und dem Kampf gegen die Ausbreitung von Kleinwaffen.

swissinfo: Wie erklären Sie die Präsenz von Norwegen unter den Friedensstiftern von heute?

D. T.: Die norwegische Politik beruht auf Ideologie. In Oslo herrscht der Glaube, dass es eine moralische Verpflichtung sei, in einem Konflikt zu vermitteln, wenn man helfen kann.

Ein anderer Grund, sich in der Friedensförderung zu engagieren, ist die Sicherheit. Die offizielle Linie lautet, dass Konflikte im Ausland direkten Einfluss auf die Sicherheit im Lande haben, beispielsweise durch mehr Flüchtlinge, organisierte Kriminalität oder Terrorismus.

Norwegen will durch sein Engagement auch politischen Einfluss gewinnen und seine Position auf dem internationalen Parkett verbessern.

swissinfo: Was sollte die Schweiz tun, um ihre alte Stellung zurück zu holen?

D. T.: Um ein Comeback zu machen, muss die Schweiz die Friedensförderung deutlicher zur politischen Priorität erklären. Der politische Wille ist unabdingbar. Die Schweiz sollte auch mehr von sich aus aktiv werden und nicht warten, bis sie von andern Ländern um Hilfe gebeten wird.

swissinfo-Interview: Scott Capper
(Übertragung aus dem Englischen: Philippe Kropf)

Der Wissenschafter Daniel Trachsel arbeitet an der Forschungsstelle für Sicherheitspolitik der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) in Zürich.

Eines seiner laufenden Projekte untersucht die Stellung der Schweiz in der Friedensförderung, wie diese auf Veränderungen reagiert und welche Guten Dienste die Eidgenossenschaft in Zukunft anbieten könnte.

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