Schweizer Soldaten inmitten politischer Turbulenzen
Kosovo hat am Samstag gewählt – und könnte schon bald seine staatliche Unabhängigkeit ausrufen.
Inmitten dieser politisch entscheidenden Vorgänge versehen die 205 Schweizer Swisscoy-Soldaten ihren Dienst als Teil der internationalen Kosovo-Friedenstruppe KFOR.
Es ist ungemütlich kalt an diesem neblig-grauen Morgen, immer wieder mischen sich Schneeflocken in den Nieselregen.
«Gordi» und «Hawk», wie sich die Soldaten mit ihren Funkabkürzungen nennen, beobachten das Geschehen auf dem «Albanerplatz». So nennen die beiden Swisscoy-Soldaten den Platz zwischen Moschee und Kulturhaus der westkosovarischen Kleinstadt Rahovec.
Das Sturmgewehr haben sie defensiv über den Rücken gehängt, mit dem Lauf nach unten. «Unser Auftrag ist es, per Funkgerät alles zu melden, was uns ungewöhnlich oder verdächtig vorkommt», erklärt «Gordi». Wie fast immer ist es auch heute vormittag ruhig.
Ein paar Steinwürfe vom «Albanerplatz» entfernt beginnt das kleine Serbenviertel der Stadt, die auf Serbisch Orahovac heisst. Die rund 25’000 Einwohner sind fast ausschliesslich ethnische Albaner. Nach dem Kosovo-Krieg im Jahr 1999 sind nur noch wenige Serben in der Stadt geblieben.
Wahlboykott
Es ist eine der Aufgaben der Swisscoy, in ihrem Einsatzraum für die Bewegungsfreiheit und Sicherheit der Minderheiten zu sorgen. Deshalb ist vor der serbisch-orthodoxen Kirche des Viertels ein Schweizer Piranha-Radschützenpanzer abgestellt.
«Tank» und «Viper», zwei weitere Soldaten, sind gerade dabei, alles für die Abfahrt fertig zu machen. Schon bald übergeben sie die Beobachtung des «Serbenplatzes» an ihre österreichischen Kameraden.
Am anderen Ende des Platzes wurde vor einer Stunde das Wahllokal geöffnet. Doch weit und breit ist von Wählenden nichts zu sehen. Die Kosovo-Serben boykottieren die Parlaments- und Lokalwahlen nach einer entsprechenden Weisung aus Belgrad weitgehend.
«Die Wahlen haben auf unsere Arbeit keinerlei Einfluss», erklärt Hauptmann Luca Bottesi, der Kommandant der Schweizer Infanteriekompanie.
Den Puls fühlen
Nebst dem Überwachungsauftrag in Rahovec/Orahovac betreibt seine 85 Soldaten umfassende Kompanie – abwechselnd mit zwei Panzerjägerkompanien aus Österreich – in der Nähe zwei fixe Beobachtungsposten: das «Camp Adler» oberhalb des serbischen Dorfes Velika Hoca sowie das kleinere «Camp Falke» beim serbisch-orthodoxen Kloster von Zociste.
Das Gros der Infanteriekompanie wohnt und arbeitet für jeweils fünf bis acht Tage am Stück in den vorwiegend aus Zelten bestehenden einfachen Camps. Parallel zum 24-Stunden-Beobachten mit Feldstechern, Nachtsichtgeräten oder Restlichtverstärkern gehören auch Patrouillen mit Fahrzeugen oder zu Fuss zum Auftrag von Bottesis Männern.
«Bei den Social Patrols geht es darum, mit Hilfe eines Übersetzers mit den Leuten zu sprechen, um zu erfahren, wie es ihnen geht und den Puls zu fühlen», beschreibt der stellvertretende Kompaniekommandant Peter Huber eine der Aufgaben.
Internationales Camp
Wenn sie nicht in den kleinen Lagern «Adler» oder «Falke» stationiert sind, leben die 85 Infanteristen zusammen mit dem Gros der aktuell 205 Soldatinnen und Soldaten umfassenden Swisscoy im Camp Casablanca auf dem Gelände einer ehemaligen Gummifabrik bei Suva Reka im Südwesten des Kosovo.
Insgesamt wohnen in dem primär aus Containern und Holzbaracken aufgebauten internationalen Camp 705 KFOR-Soldaten, nebst den Schweizern vor allem Angehörige des österreichischen Bundesheeres.
Gemeinsam bilden sie das Manöverbataillon Dulje. Auch vom Camp Casablanca aus sind die Schweizer Infanteristen oft auf Patrouille unterwegs, zu Fuss oder mit Fahrzeugen.
In Absprache mit der kosovarischen Polizei betreiben sie regelmässig Strassen-Checkpoints, bei denen Personen und Fahrzeuge zum Beispiel nach Waffen, Munition oder Sprengstoff durchsucht werden können. «Es kann sein, dass sich die KFOR mit diesen Checkpoints unbeliebt macht. Deswegen benutzen alle Infanteristen zu ihrem Schutz Decknamen, auch für den Funkverkehr», erklärt Presseoffizier Tobias Ammann.
Weihnachten im Kosovo
Die Wache am Eingang des Camps Casablanca gehört ebenfalls zu den Aufgaben der Schweizer Infanteriekompanie.
In einem der zahlreichen weissen Container, denen das Camp seinen Namen «Casablanca» verdankt, wohnen die beiden Oberwachtmeister Claudio Gagliardi und Marcel Keller. Die beiden 24-Jährigen teilen sich die wenigen Quadratmeter, die für sechs Monate ihr Zuhause sind.
Zwei Betten, ein kleiner Tisch, zwei Stühle, zwei Schränke und zwei Metallkommoden bilden das bescheidene Inventar. In einer Ecke stehen die Sturmgewehre, dazu die Rucksäcke und Splitterschutzwesten. Es ist eng. Doch beklagen will sich Claudio Gagliardi nicht: «Wir sind gut untergebracht, gerade im Vergleich mit anderen Kontingenten.»
Die Zimmergenossen werden auch Weihnachten im Kosovo-Einsatz verbringen. Für Claudio Gagliardi kein Problem: «Ich glaube, das ist Einstellungssache. Ich habe 23 Mal Weihnachten zu Hause verbracht, jetzt bin ich eben einmal hier, und das ist ok.»
Bei ihren Fahrten durch das Kosovo werden die beiden immer wieder mit einer grossen Armut konfrontiert. Das beschäftigt sie. Marcel Keller: «Im Vergleich zu den Schwierigkeiten hier sind unsere Probleme in der Schweiz nur noch Kleinigkeiten.»
swissinfo, Norbert Rütsche, Suva Reka
Der Nato-geführten Kosovo-Friedenstruppe KFOR (Kosovo Force) gehören derzeit rund 16’000 Soldatinnen und Soldaten aus 34 Ländern an.
Das 17. Swisscoy-Kontingent ist seit dem 4. Oktober für ein halbes Jahr im Einsatz und besteht aus 10 Frauen und 195 Männern.
Sämtliche Swisscoy-Angehörigen sind zum Selbstschutz mit Pistole oder Sturmgewehr bewaffnet.
Nebst einer Infanterie- und einer Unterstützungskompanie beteiligt sich die Swisscoy auch mit Militärpolizisten, einem Medical Team, einem Luftwaffen-Detachement mit zwei Superpuma-Helikoptern sowie mit schweren Bau-, Transport- und Bergefahrzeugen am KFOR-Einsatz.
Das Swisscoy-Budget für die Jahre 2006 bis 2008 beträgt 37,5 Millionen Franken pro Jahr.
In Übereinstimmung mit den JTI-Standards
Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!
Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch