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Theaterbühne Costa Blanca

Lilo und Manfred Röding auf der Veranda ihres Hauses in der Ciudad Quesada. swissinfo.ch

Liselotte und Manfred Röding entsprechen dem perfekten Bild vom Schweizer Rentnerpaar unter der Sonne Spaniens - wären da nicht die "Arlequin".

Die Zürcherin gründete vor fünf Jahren eine deutschsprachige Theatergruppe und spielt seither mit den Akteuren küstenauf- und –abwärts vor vollen Rängen.

“Hier haben wir Lichttherapie gratis!” Wenn sich Liselotte Röding an die Sonne begibt, spürt sie gleich, wie sich ihr Körper regeneriert. Die Strahlen beleben auch ihren Geist. “Das Wetter ist sensationell fürs Gemüt. Wer hier auf düstere Gedanken kommt, hat Depressionen.”

Am Anfang stand die Diagnose bei Manfred Röding: Herzinfarkt und schwere Angina Pectoris. Der Arzt riet ihm zu einem Umzug in wärmere Gefilde. Seit 1996 leben Lilo und Manfred Röding in der Ciudad Quesada, knapp 50 Kilometer südlich von Alicante und zehn Kilometer vom Strand landeinwärts.

“In der Schweiz wäre ich kaum mehr am Leben”, schätzt Manfred Röding. Wenn sie die alte Heimat besuchen, meist zweimal pro Jahr, fahren sie mit dem Auto. Ein rascher Klimawechsel bekommt seinem Herzen schlecht.

Boom ohne Ende

Die Urbanisation Ciudad Quesada, die Anfang der 1980er-Jahre im Umland von Rojales aus der Pampa schoss, ist heute auf über 20’000 Wohneinheiten “explodiert”. Menschen aus 18 Ländern leben dort, darunter viele Schweizer und Deutsche. Zahlenmässig sind sie aber mittlerweise von den Engländern überflügelt worden. Was sich unter anderem im alkoholbedingten Anstieg des Lärmpegels niederschlage, klagen Rödings.

Die Ciudad Quesada mag das grösste Altersheim Europas sein. Es hat aber auch jüngere Menschen, die hier oder in der Umgebung arbeiten oder ein Ferienhaus besitzen. Zu letzterer Gruppe gehören auch die Russen, welche der ungebremste Bauboom an die Costa Blanca spült.

Die Höhe der Einwohnerzahl lässt sich nicht genau beziffern. Viele sind nur Teilzeit-Aufenthalter, und viele sind bei den Behörden gar nicht angemeldet. Nicht so die Rödings, die sich von Anfang an registrieren liessen, um Bussen und Nachsteuern zu vermeiden.

Explodierte Bodenpreise

Der Einfall der Engländer hat schon manchen von der weissen Küste vertrieben, wie den Bekannten der Rödings, der sich jüngst Richtung Ungarn aufgemacht hat. Förmlich explodiert sind in den letzten Jahren die Bodenpreise. Zahlten Rödings 1995 noch 70 Franken pro Quadratmeter, muss man heute 600 Franken auf den Tisch legen.

Mit der spanischen Bürokratie haben die Beiden auch so ihre Erfahrungen gemacht. “Wir wollten das Haus auch schon verkaufen”, dazu der lapidare Kommentar des Ehemanns.

Schweizer Stolz auf spanische Palmen

Ihr zweigeschossiges Haus haben Rödings, beide 67 Jahre alt, aus Elementen verschiedener Haustypen individuell zusammenkombiniert. Im Garten stechen Schwimmbad, grosse Palmen und Agaven hervor.

Vor vier Jahren kam ein kleines “Sommerhaus” mit offener Küche und gedecktem Sprudelbad dazu. Wohin das Auge blickt: Alles ist tipptopp – das Haus ist hell, der Pool blau, der Rasen grün.

Die Bemerkung des Gastes, das Anwesen gehöre zweifellos zu den schönsten der ganzen Urbanisation, quittiert Manfred Röding mit Nicken: “Ja, und da sind wir sehr stolz drauf.”

Das Klischee vom Rentnerpaar, dessen hauptsächlicher Lebensinhalt in der klinisch-perfekten Pflege seines Anwesens besteht, ist verlockend. Aber falsch. Rödings sind glücklich in ihrem Paradies. Dieses endet aber nicht an der Mauer, welche die 1000 Quadratmeter umgibt.

“Marktlücke” gefüllt

Lilo Röding liebt den Kontakt zu Menschen, und hat Energie. Sie organisiert Ausflüge und Reisen, die bei den Schweizern und Deutschen der Ciudad sehr beliebt sind. Und sie hat an der Costa Blanca zu ihrer alten Liebe zurückgefunden: Dem Theater. Nach ihrer Lehre hatte sie die Schauspielschule besucht, ihre Bühnenkarriere danach aber aufgegeben.

“Das kulturelle Angebot hier mit Theater, Opern und Konzerten ist grossartig, aber alles ist in Spanisch”, sagt sie. Für sie kein Problem, denn sie spricht die Landessprache fliessend und kann es nicht leiden, wenn sie in einem Geschäft auf Englisch angesprochen wird. Die Mehrheit der Residenten aus Deutschland und der Schweiz aber sprechen nur in Bruchstücken spanisch.

Vor fünf Jahren gründete sie deshalb die deutschsprachige Theatergruppe “Arlequin”. Sie besteht momentan aus neun Laienschauspielerinnen und –schauspielern, alles Deutsche und Schweizer. Die jüngste ist knapp über 20, der älteste über 80. Dazu kommen Maskenbildner, Bühnenbauer und Souffleusen.

“Lifting”

Die Aufführungen der Stücke – “sie haben immer einen Bezug zur Situation der Leute hier” – rissen sogleich ein. Schon der erste Auftritt der Truppe im Theater des nahegelegenen Rojales vor vier Jahren hatte vor 800 Zuschauern stattgefunden – Haus ausverkauft.

Mittlerweile absolviert Lilo Rödings Truppe jedes Jahr zwischen Fasnacht und Ostern eine kleine Tournee entlang der ganzen Costa Blanca. Und erntet überall grossen Beifall. Absoluter Renner bisher war der Dreiakter “Lifting”, eine Groteske zum Thema älter werden.

Theater ist für Lilo Röding aber nicht blosses Rollenspiel vor Publikum. “Man muss auch geistig etwas machen – das Auswendiglernen der Rollen.” Der Erlös aus den Vorstellungen, bisher weit über 22’000 Euro (34’000 Franken), spenden die “Arlequin” immer dem spanischen SOS-Kinderdorf Cuenca.

Der Erfolg hat auch seinen “Preis”: So wurde Lilo Röding einmal auf einer Autobahn-Raststätte zwischen Valencia und Barcelona von Deutschen erkannt. Die Leute fragten sie: “Wann spielt ihr denn wieder?”, erzählt sie mit einem Schmunzeln.

Heimweh und verblichene Freundschaften

Freunde aus der Schweiz sind ihnen nur noch wenige geblieben. Der Kontakt mit den beiden Töchtern aber ist sehr gut. Für deren Ferienaufenthalte haben Rödings eigens das Erdgeschoss eingerichtet. Praktisch wöchentlich wird telefoniert oder gemailt.

Aber seit ihr erstes Enkelkind auf der Welt ist, hat Lilo Röding starkes Heimweh. Denn sie möchte die ersten wackeligen Schritte, das erste gesprochene Wort des Kleinen aus der Nähe erleben, statt ihm eine fremde Person zu sein.

Jetzt, wo im Februar das zweite Enkelkind erwartet wird, will sie öfter in die Schweiz, “so alle zwei Monate”. Der Blick ihres Mannes verrät mässige Begeisterung.

swissinfo, Renat Künzi, Ciudad Quesada.

Rödings haben beide in der Stahlbranche gearbeitet, bevor der Mann seine Stelle verlor.

Ein vergleichbares Haus hätten sie in der Schweiz aus finanziellen Gründen nicht bauen können.

In Spanien leben sie von der AHV-Rente für Ehepaare. Den (kleinen) Betrag aus der zweiten Säule haben sie ins Haus gesteckt.

Sie sind bei einer spanischen Privatkasse krankenversichert. Diese übernimmt die Behandlung in einem Privatspital. Lediglich die Medikamente müssen Rödings bezahlen.

Beide loben die medizinische Versorgung in Spanien als “sensationell”.

2004 lebten in Spanien 21’500 registrierte Schweizer, davon rund 7500 in Madrid und 4800 an der Costa Blanca.
Ihre Zahl ist aber um einiges höher, da viele bei den Behörden nicht angemeldet sind.
Die Anfänge gehen auf Ende der 1970er-Jahre zurück, als spanische Bauunternehmer in der Schweiz für Alterswohnsitz-Projekte an der Costa Blanca warben.
Mittlerweile sind dem Trend Zehntausende von Senioren aus anderen Ländern gefolgt.
Der Sozialgeograf Andreas Huber spricht von einem “Europa im Kleinen”.
Die Costa Blanca wurde auch schon als “Altersheim Europas” oder “Costa Geriatrica” bezeichnet.

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