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Lehrlinge nehmen ihre Zukunft in die eigene Hand

Lehrlingspoststelle Biel-Mett: Eine Ausbildnerin hilft bei der Postfachzustellung. Daniel Rihs/pixsil

Die Schweizerische Post betreibt in den drei Landesteilen acht Poststellen, die ausschliesslich von Lehrlingen geführt werden. Dieses Modell findet grosse Beachtung in der Berufsbildung. Ein Besuch in der Lehrlingspoststelle von Biel-Mett.

Das Postamt im Bieler Quartier Mett unterscheidet sich äusserlich nicht von einem anderen Schweizerischen Postamt. Und auch innen erscheint auf den ersten Blick alles wie an anderen Orten: Dieselben Produkte in den Regalen, dieselben Uniformen der Angestellten

Doch am Schalter merkt man dann die Besonderheit: Alle Angestellten sind sehr jung. Acht junge Frauen und zwei junge Männer im Alter zwischen 17 und 19 Jahren erledigen hier sämtliche Aufgaben. Mett ist eine Lehrlingspoststelle.

Die jungen Leute befinden sich alle im zweiten oder dritten Lehrjahr als angehende “Detailhandelsfachleute”. Zwei erfahrene Beratende überwachen ihre Arbeit unterstützen sie stets an Ort und Stelle.

Claudia Jenny ist eine der beiden Coachs. Sie ist seit 30 Jahren bei der Post und war viele Jahre für die Poststelle von Biel-Mett verantwortlich. Nun hat sie innerhalb der Post einen neuen Berufsweg eingeschlagen. Ihre Funktion hat sich vollständig verändert.

“Ich muss nicht mehr selbst die Poststelle leiten und den Lehrlingen sagen, was sie machen müssen. Ich übe die Supervision aus und kontrolliere, damit alles funktioniert”, sagt Jenny gegenüber swissinfo.ch.

Autonomie und Eigenverantwortung

Konkret bedeutet dies, die Lehrlinge zu Verantwortlichkeit und Eigenleistung zu erziehen. “Wir geben bei Problemen nicht immer gleich eine Lösung vor, sondern zeigen Möglichkeiten auf, damit sie selbst rational entscheiden. So sollen auch Automatismen vermieden werden”, sagt Jenny.

Die Supervisorin räumt ein, dass es ihr am Anfang schwer fiel, den eigenen Instinkt zu bremsen, mit dem sie den jungen Leuten schnell selbst zur Hand gehen wollte. Doch an diesem Ausbildungsprogramm ist eben zentral, dass sie auf Autonomie und Eigenverantwortung fussen.

Die Aufgaben in einem Postbüro sind sehr vielfältig: Vom klassischen Brief- und Paketversand reichen sie heute bis zur Beratung bei Mobiltelefon-Verträgen und dem Ticket-Verkauf von Kultur- und Sportveranstaltungen.

Es muss zudem dafür gesorgt werden, dass ein Postbüro immer über genügend Liquidität verfügt, die Geldtransporte zum richtigen Zeitpunkt eintreffen und der Postomat mit den nötigen Geldscheinen bestückt wird. Arbeitspläne sind auszuarbeiten, welche die Absenzen für die Berufsschule berücksichtigen.

Bei dieser Aufgabenvielfalt und Verantwortung drängt sich die Frage auf, ob Lehrlinge nicht überfordert werden. “Ganz im Gegenteil: Die Vielfalt der Tätigkeiten macht diesen Job gerade so interessant”, meint Stefanie Beyeler.

Die 19-Jährige Lehrtochter scheut die Verantwortung nicht. “Es ist eine einzigartige Gelegenheit für mich”, sagt sie. Ein Postamt leiten zu können, bedeutet für sie nicht, zu befehlen, sondern “Verantwortung zu übernehmen und Unabhängigkeit zu beweisen.”

Zweisprachigkeit gefragt

Biel ist eine zweisprachige Stadt. Und diese Realität spiegelt sich auch im Postamt Mett, wo Kunden beider Sprachen ein- und ausgehen. Die Lehrlinge müssen daher Deutsch und Französisch sprechen können.

Also noch eine zusätzliche Schwierigkeit? “Nein, ein weiterer Vorteil”, mein Nicole Hofer. Die 18-Jährige ist deutscher Muttersprache und spricht recht gut Französisch. Dank ihrer Arbeit hofft sie, ihre Französischkenntnisse perfektionieren zu können.

So sehen es auch ihre Kolleginnen und Kollegen. “Auch wenn ich nicht perfekt zweisprachig werde, wird mir das in meiner beruflichen Karriere sicherlich nützlich sein”, meint die junge Jurasserin Justine Glatz.

Teamgeist und Enthusiasmus

Die zehn Lehrlinge stammen aus drei Kantonen: Bern, Jura und Freiburg. Früher arbeiteten sie als Lehrlinge in diversen Postämtern und kannten sich untereinander nicht. In Biel-Mett wurden sie in kürzester Zeit zu einem echten Team. Ihr Enthusiasmus und die Harmonie sind spürbar.

“Die neue Generation steht Ihnen voller Energie zur Verfügung!” Dies ist der Slogan, den sich die Lehrlinge selbst ausgedacht haben, um den Kunden das neue Betriebskonzept vorzustellen, das am vergangenen 27. August in Kraft trat.

Nichts scheint an diesem Ort ein Hindernis darzustellen. Nicht einmal die neuen Verkaufsziele, welche die Post für die Filialen festgelegt hat.

“Sicher ist es nicht einfach, die Ziele zu erreichen, aber wir spannen zusammen und geben unser Bestes”, sagt Stefanie Beyeler. “Wenn die Post nicht ein wenig Druck aufs Personal ausüben würde, könnte sie kaum ihre Resultate erreichen,” meint Justine Glatz.

“Ich bin sicher, dass sie es schaffen werden”, gibt sich Ausbildnerin Claudia Jenny zuversichtlich. Die Kundschaft jedenfalls schätze den Service der jungen Leute – eine Einschätzung, die sich in einer Mini-Umfrage von swisinfo.ch bei den Postkunden von Biel-Mett bestätigt.

Die Lehrlinge der Post besuchen die kantonalen Berufsschulen und zusätzlich betriebsinterne Kurse.

Die Post betreibt seit 2008 Lehrlingspoststellen. Auf Zürich Wollishofen und Prilly folgten 2009 Basel Spalen und St. Gallen St. Fiden. Im Sommer 2010 folgten weitere Filialen in Biel-Mett, Luzern Hirschengraben, Lugano Cassarate und Chêne-Bourg (GE).

In den Lehrlingspoststellen teilen sich acht bis zwölf angehende “Detailhandelsfachleute” alle Aufgaben einer Poststelle. Sie erhalten einen Monat eine besondere Einarbeitung. Zwei bis drei erfahrene Beratende unterstützen die Lernenden vor Ort.

“Die Grundidee besteht darin, den Jungen so früh wie möglich Verantwortung, Autonomie und Unternehmensgeist zu geben”, sagt Sandrine Mottier, Mediensprecherin der Schweizerischen Post.

“Das Modell der Lehrlingspoststellen ist sehr innovativ. Junge Leute in Ausbildung übernehmen in vorbildlicher Art und Weise Verantwortung”, erklärte Ursula Renold, Direktorin des Bundesamt für Berufsbildung und Technologie (BBT), gegenüber swissinfo.ch.

Die BBT-Direktorin lobt die Arbeit der Post in Ausbildungsfragen als vorbildlich. Es handele sich um eine Strategie, “die Früchte trägt, weil die Investitionen in die Ausbildung einen Beitrag zur Wettbewerbsfähigkeit der Schweizer Wirtschaft darstellen”.

Zwei Drittel der Schweizer Jugendlichen absolvieren eine Berufsausbildung.

Dabei ist das duale Ausbildungssystem vorherrschend: Theoretische Ausbildung in der Schule wechselt mit praktischer Ausbildung im Betrieb ab.

Die Lehren dauern drei oder vier Jahre. Am Ende der Ausbildung werden Prüfungen abgelegt. Nach bestandener Prüfung erhalten die Lehrlinge einen Eidgenössischen Fähigkeitsausweis.

Laut BBT-Direktorin Ursula Renold sind viele andere Länder am Schweizer Berufsbildungssystem interessiert.

(Übertragung aus dem Italienischen: Gerhard Lob)

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