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Letzte Olympia-Chance für Judoka Sergei Aschwanden

Der Lausanner Sergei Aschwanden reist im August an seine letzten olympischen Spiele. In Peking hofft er, eine Medaille zu erringen – die einzige, die ihm in der Liste seiner Erfolge noch fehlt.

Turnschuhe, grauer Trainingsanzug mit Kängurutaschen und Kapuze – Sergei Aschwanden fühlt sich in der kleinen Kaffeebar der Eidgenössischen Sportschule in Magglingen zuhause. Er kann keine drei Schritte gehen, ohne mit anderen Sportlern oder einem Offiziellen ein paar Worte zu wechseln.

Seit Jahren lebt der Judoka an diesem Ort mit dem wunderbaren Blick auf den Bielersee, und er arbeitet hart auf der Tatamimatte. Seit bald zehn Jahren ist er Profisportler, und ebenso lange ist er der unangefochtene König im Schweizer Judo.

Es sind nur noch wenige Wochen bis zu den Spielen in China. Sergei ist ntspannt. Er hat einen dreiwöchigen Aufenthalt in einem Unterdruckzimmer hinter sich, wo er sich 16 bis 17 Stunden pro Tag aufhielt. “Das ist wie ein Höhentrainingslager, aber mit dem Vorteil, dass ich tagsüber mit Partnern trainieren konnte.”

Dank dieser “Zwangsisolation” – zum erhofften Effekt sind 300 Stunden nötig – konnte er viel an sich arbeiten. Jetzt kann er die letzte Vorbereitungsphase ruhig angehen. Ganz anders als beim “Zirkus” vor den Spielen in Athen vor vier Jahren.

“Alles ist anders”, sagt er. “Vor vier Jahren war ich Europameister und Vizeweltmeister. Die Erwartungen waren hoch, der Druck enorm. Heute kann ich mich in aller Ruhe vorbereiten.”

Partner im Ausland

Nachdem er vor einem knappen Jahr von der Klasse bis 81kg in die Klasse bis 90kg gewechselt hat, führt Aschwanden ein sehr genaues neues Programm durch. Das bedingt vor allem ein ständiges Hin und Her zwischen dem Ausland (Moskau, Minsk und Madrid), wo er gute Trainingspartner fand, und der Schweiz, wo er sich immer wieder erholt.

“Das Programm kann wechseln, je nach Verletzungen und Tests, an denen ich mitmache. Eines ist sicher: Nach dem 20. Juli reise ich nach Japan, um mich so gut wie möglich zu akklimatisieren, aber noch ohne Luftverschmutzung. Ausserdem ist in Japan Judo der Königssport und ich werde viel mehr gute Trainingspartner finden.”

Erst am 4. August, also neun Tage vor seinen Einsätzen, wird Aschwanden in die chinesische Hauptstadt reisen. Ausser an der Eröffnungszeremonie wird er nichts sehen als das olympische Dorf und die Trainingshalle.

“Ich muss die Atmosphäre der Halle, in der ich kämpfen werde, spüren können”, sagt er. “Ich höre zum Beispiel nie Musik vor einem Wettkampf. Sonst bin ich nicht bereit. Und ich muss bereit sein, denn das sind meine letzten Olympischen Spiele.”

Zeit in Afrika als Ausgleich

Da das Ende seiner Karriere nah ist (er will noch die Weltmeisterschaft 2009 mitmachen) will sich Aschwanden jetzt nicht mehr unter allzu viel Druck setzen.

“Es ist alles relativ! Zwar sind die Spiele und eine Medaille im Moment mein Ziel, aber ich weiss, dass es im Leben auch Anderes gibt. Meine Mutter ist Kenianerin und ich habe einen Halbbruder in Afrika, dem ich nahe stehe. Ich verfolge genau, was in Afrika geschieht, die politischen Probleme, die das Leben meiner Verwandten dort beeinflussen, das geht mir nahe. Es hilft mir auch, den Hochleistungssport zu relativieren.”

Schon vor vier Jahren ging Aschwanden nach Kenia, um Energie zu tanken und seine riesige Enttäuschung nach den Spielen von Athen zu überwinden.

“Die Menschen dort waren glücklich über mein Kommen, und sie hätten mich auch als Olympiasieger nicht anders empfangen. Sie nehmen dich, wie du bist. Sie freuen sich mit dir, wenn du eine Medaille gewinnst, und sind traurig, wenn du verlierst, aber es gibt Wichtigeres für sie. Was ihnen wirklich Freude macht ist, wenn wir Zeit zusammen verbringen können.”

Er sagt von sich, dass sich seine afrikanische Seite in einer gewissen Sorglosigkeit – aufgepasst: nicht Undiszipliniertheit, sondern Sorglosigkeit – und in Optimismus ausdrückt. So bleibt er auf Kurs, auch wenn es einmal nicht rund läuft.

“Ich bin gesund. Ich habe zwei Arme und zwei Beine, und das ist schon sehr viel.” Und eine Medaille als Krönung? “Das wäre natürlich schön!”

swissinfo, Mathias Froidevaux, Magglingen
(Übertragung aus dem Französischen: Charlotte Egger)

Sergei Aschwanden wird am 22. Dezember 1975 in Bern als Sohn eines Urners und einer Kenianerin geboren. Er hat einen älteren Bruder und eine jüngere Schwester.

Die ersten sieben Jahre verbringt er in der Bundesstadt, danach zieht die Familie nach Bussigny bei Lausanne.

Er ist ein lebhaftes Kind und beginnt bereits mit sieben Jahren mit Judo. Er nahm auch Unterricht in Musik und Ballett, dies während fünf Jahren.

Mit Zwölf macht er den braunen Gürtel und perfektioniert seine Technik mit Erwachsenen. Ab 15 widmet sich Aschwanden dieser Kampfkunst.

1997, nach der Matur, beschliesst er, Berufssportler zu werden. Seither geht es immer aufwärts. Seit 1996 arbeitet er mit Nationaltrainer Léo Held, was ihm zu weiteren Erfolgen verhilft.

Aschwanden wird acht Mal Schweizer Meister, holt sich zwei Titel als Europameister (2000 und 2003), drei Bronzemedaillen an Europameisterschaften sowie eine Bronze- und eine Silbermedaille an Weltmeisterschaften (2001 und 2003).

Er spricht mit seinem Vater Französisch und mit seiner Mutter Schweizerdeutsch. Seine Eltern sprechen untereinander Englisch – die Sprache der Judokas.

Zu den Olympischen Spielen vom 8. bis 24. August 2008 in Peking bringt swissinfo News, Porträts der Schweizer Stars, Interviews und Hintergründe über und aus China.

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