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Malariagefahr deutlich unterschätzt

Extrakte aus der Artemisia annua dienen der Malaria-Prophylaxe. P. Jarrett/mdx.ac.uk

Die Zahl der Malariafälle könnte fast doppelt so hoch sein als bisher angenommen. Vor allem ausserhalb Afrikas scheint Malaria öfter aufzutreten als vermutet.

Das sagt eine Studie in der aktuellen Ausgabe des Wissenschaftsmagazins “Nature”.

Eine neue Studie schätzt, dass im Jahr 2002 weltweit rund 515 Millionen Menschen an Malaria erkrankten. Das wären fast doppelt so viele als frühere Schätzungen der Weltgesundheits-Organisation WHO ergaben.

Für die Regionen ausserhalb Afrikas liegen die Werte sogar 200% über den bisherigen Werten. Die Studie von Robert W. Snow und seinen Kollegen ist in der aktuellen Ausgabe des Wissenschaftsmagazins “Nature” publiziert.

An der Forschung für neue Medikamente gegen die Krankheit sind auch Schweizer aktiv.

Südostasien unterschätzt

Laut der neuen Studie wurde bisher vor allem die Situation im dicht besiedelten Südostasien unterschätzt. Während man bisher davon ausging, dass rund 90 Prozent der Malaria-Erkrankungen in Afrika auftreten, so zeigen die neuen Modellrechnungen, dass doch rund ein Drittel aller Fälle ausserhalb Afrikas auftreten, die meisten davon in Südostasien.

Allerdings ist die Wahrscheinlichkeit, an der Krankheit zu sterben, in Afrika weit höher.

Neue Methode

Bisherige Schätzungen stützten sich oft auf Kliniken, die von sich aus Angaben über die Krankheitsfälle weitergaben. Das sind längst nicht alle, und viele, die erkranken, suchen nie eine Klinik auf, so dass diese Angaben sehr unvollständig sind.

Für die neue Studie kombinierten die Forscher Daten über Höhenlage, Bevölkerungsdichte, Vorkommen von stehendem Wasser und fütterten damit ihr Modell.

Keine Zunahme

Auch die neuen Zahlen sind nur Annäherungen und keine exakten Zählungen. Die Zahl von 515 Millionen Malaria-Erkrankungen im Jahr 2002 liegt in der Mitte einer möglichen Bandbreite. Es könnten auch 300 oder 660 Millionen Krankheitsfälle sein.

Dass die neuen Schätzungen weit höher liegen als bisherige, bedeutet nicht zwangsläufig, dass es nun mehr Malariafälle gibt, sondern dass die Krankheit bisher wahrscheinlich deutlich unterschätzt worden ist.

Rund 2,2 Milliarden Menschen leben demnach in Regionen, wo sie durch gefährliche Malariaparasiten bedroht sind.

Altes Heilmittel

Die WHO setzt seit wenigen Jahren auf die so genannte Artemisinin-basierte Kombinationstherapie gegen Malaria. Die Therapie wirkt auch bei Erregern, die gegen andere Medikamente resistent geworden sind.

Artemisinin ist der Wirkstoff von Artemisia annua, dem einjährigen Beifuss. Seine Heimat ist China. Für die ärmsten Länder stellt der Schweizer Pharmariese Novartis der WHO das Mittel zum Selbstkostenpreis zur Verfügung.

Medikamentenengpass

Mehr und mehr Länder steigen auf die neue Behandlung um. Im letzten Jahr musste Novartis bekannt geben, dass es zu Lieferengpässen kommt, weil nicht genügend Rohstoff zur Verfügung steht.

Mittlerweile hat die Pharmafirma mit zusätzlichen Produzenten in Afrika Verträge abgeschlossen – bisher bezog sie den Rohstoff nur aus China – allerdings reicht es immer noch nicht, nicht einmal, wenn man die alten Schätzungen zugrunde legt, geschweige denn mit den neuen, höheren Zahlen. Und die Herstellung ist langwierig und teuer.

Neues Medikament

Im letzten Jahr ist es einer internationalen Forschergruppe, an der das Schweizerische Tropeninstitut beteiligt ist, gelungen, ein Molekül zu bauen, das ähnlich wirkt wie Artemisinin.

Dass Artemisinin so wirksam ist gegen Malariaparasiten, liegt an einer speziellen Bindung im Molekül, einer Sauerstoff-Doppelbindung. Das neue Molekül sieht zwar anders aus, hat aber ebenfalls eine solche Bindung. Mit dem neuen Wirkstoff liessen sich billigere Medikamente herstellen, die einfacher einzunehmen sind.

Damit ist jedoch frühestens in drei Jahren zu rechnen. Bis dahin braucht es auf jeden Fall weiterhin Artemisinin, das aus den Blättern der feingefiederten Pflanze extrahiert werden muss.

Angereicherte Pflanzen

Das Schweizer Forschungszentrum Médiplant züchtet Sorten, die zehnmal mehr des begehrten Wirkstoffs enthalten, übrigens ohne gentechische Methoden. Anstatt vier bis fünf Kilo Artemisinin pro Hektare lassen sich daraus nun 40 bis 50 Kilo des weissen Pulvers gewinnen.

Médiplant ist in Conthey, im Wallis, zu Hause, auf dem Gelände einer Aussenstation von Agroscope Changings, einer der fünf eidgenössischen landwirtschaftlichen Forschungsanstalten.

Auch in Afrika werden Anbauversuche mit den gezüchteten Pflanzen durchgeführt. Obwohl Artemisia annua eigentlich keine tropische Pflanze ist, sind die Versuche, wie es scheint, erfolgversprechend.

swissinfo, Antoinette Schwab

Die WHO setzt gegen Malaria auf die Artemisinin-basierte Kombinationstherapie.

Artemisinin ist der Wirkstoff von Artemisia annua, dem einjährigen Beifuss.

Im Wallis züchten Schweizer Forscher ertragreichere Sorten.

Ein Forscherteam mit Schweizer Beteiligung entwickelt einen neuen, Artemisin-ähnlichen Wirkstoff.

In einem Artikel der Wissenschafts-Zeitschrift “Nature” gehen Malariaforscher von weit mehr Malariaerkrankungen aus als bisher vermutet.

Für ihre Schätzungen verwendeten sie eine neue Methode.

Der momentane Engpass bei den Medikamenten ist daher wohl noch grösser als befürchtet.

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