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Mich ermutigt das Leben

Franz Hohler, Kabarettist und Schriftsteller. Christian Altorfer

Franz Hohler, einer der bekanntesten Schweizer Schriftsteller und Kabarettisten, feierte seinen 60. Geburtstag.

Im Gespräch mit Alina Kunz Popper spricht er über die Kraft des Lebens und über die Hoffnung, die man nie aufgeben soll.

Franz Hohler, herzlichen Glückwunsch zum 60. Geburtstag! Ist das für Sie ein Grund zum Feiern oder zum Reflektieren?

Den feiere ich natürlich! Ich lade meinen Freundeskreis zu mir nach Hause
ein. Der Moment der Reflektion hat schon vorher eingesetzt. Man überlegt sich schon, was denn dieser Geburtstag bedeutet. So habe ich zu mir gesagt: “Ab diesem 60igsten trittst du ein Jahr lang nicht auf, um nur zu schreiben, 40 Jahre Lebensramsch aufzuräumen und etwas Ballast abzuwerfen.”

Eine Jury ehrte Sie für Ihre stille, intelligente und kritische, aber auch lustige, von Sprachwitz und Spannung lebende Kunst. Was ist die Quelle Ihrer Inspiration?

Das Leben. Das Leben ist lustig, traurig, dicht und dünn, warm und kalt. Wenn man versucht, in der Nähe des Lebens zu bleiben und etwas von diesem Leben wiederzugeben, ist man eigentlich dauernd an einer Inspirationsquelle.

Viele Ihrer Geschichten sind utopisch, oftmals gezeichnet von feinem Humor, sie machen aber auch bedrückt und nachdenklich. Was möchten Sie beim Publikum bewirken?

In erster Linie möchte ich Geschichten erzählen. Ich denke, die ursprüngliche Motivation des Geschichtenerzählens ist das Erzählen selbst. Es klingt immer etwas pädagogisch, wenn man sagt “ich möchte damit erreichen, dass…”. Für mich ist das nicht der wirkliche Antrieb. Dieser ist ziemlich irrational: Ich erzähle gerne. Ich trete auch gerne auf und möchte mich mitteilen.

Ich wünsche mir, dass die Leute meinen Geschichten zuhören. Natürlich hoffe ich, dass die Geschichten spannend und unterhaltend sind, aber dass unter der Oberfläche immer auch etwas ist, das mit dem Leben zu tun hat und einen auch nachdenklich macht. Ich möchte sozusagen als Energielieferant auftreten. Ich hoffe, dass das Publikum auf irgendeine Art belebt wird.

Wie kommen diese Geschichten zustande?

Ich erlebe etwas und merke dann hinterher, dass das eine Geschichte ist. Kürzlich erzählte ich, wie ich versucht habe, einen Gutschein einzulösen und was mir dabei alles passiert ist. Das Publikum amüsierte sich derart darüber, weil viele auch eine ähnliche Erfahrung gemacht hatten, aber sich vielleicht nicht bewusst waren, dass das eine Geschichte ist. Eine Geschichte ist, an eine Idee glauben.

Meistens sind es alltägliche, unspektakuläre Geschichten. Ich stelle auf einmal fest, dass irgendetwas immer wieder auf Dasselbe hinausläuft. Dann mache ich vielleicht ein Lied darüber und der Refrain heisst dann: “Es sind alle so nett.”

Mehrere Ihrer Texte handeln vom Krieg. Beschäftigt Sie auch jetzt wieder die Kriegsstimmung, die wir zurzeit erfahren?

Ja, selbstverständlich. Der Krieg ist einer der grössten Schatten, der über unserem Globus und über der Menschheit liegt. Jedesmal, wenn sich dieser Schatten wieder verdichtet, wird es auch etwas dunkler in meinem Gemüt. Dann frage ich mich, was ist denn jetzt wieder schiefgelaufen, dass da ein paar Leute keine andere Lösung mehr sehen?

Der Krieg ist einer der urältesten Begleiter der Menschheit. Der Realist in mir sagt: “Das wird es immer geben und das hat es immer gegeben.” Dann gibt es den Utopisten, der sagt: “Nein, aber man müsste doch etwas dagegen tun können. Das müsste man doch verhindern können.” Diese zwei kämpfen dann miteinander.

Wer gewinnt?

In meinem Gemüt gewinnt der Utopist, in der Realität der Realist.

Haben sich Dinge, wofür Sie in den vielen Jahren in der Öffentlichkeit eingestanden sind, positiv verändert?

Man darf sich selbst nicht überschätzen, auch nicht den Einfluss, den man als Einzelner nehmen kann, wenn man einen gewissen Namen hat. Man kann nur beitragen zur Meinungsbildung. Aber immerhin haben wir doch jetzt seit 10 Jahren dieses Moratorium für Atomkraftwerke. Dafür habe ich mich damals ziemlich stark gemacht, indem ich auf der Seite der Skeptiker war, die auf die enormen Gefahren aufmerksam machten.

Wenn ich bei einem Volksentscheid mal auf der Seite der Gewinner bin, dann denke ich: “Ja, vielleicht habe ich ein kleines bisschen dazu beigetragen.”

Und wo haben Sie die Hoffnung aufgegeben?

Ich gebe die Hoffnung prinzipiell nicht auf. Der deutsche Philosoph Ernst Bloch hat mal vom Prinzip Hoffnung gesprochen, dass man die Hoffnung auch zum Prinzip erheben kann. Ich vertrete dieses Prinzip, indem ich zum Beispiel etwas kritisiere an den Zuständen, die diesem Prinzip Hoffnung zuwiderlaufen. Ich versuche, mein Auge auch immer wieder dorthin zu richten, wo es Hoffnung gibt.

Woher nehmen Sie Ihren Optimismus?

Auch wieder vom Leben. Ich versuche, mich zu freuen an den Dingen des Lebens, an denen man sich freuen kann. Wenn im Frühling die ersten Amseln wieder singen oder wenn es so schön schneit, dass sich eine Stadt auf einmal in ein poetisches Bild verwandelt.

Mich ermutigt das Leben selbst. Jedes Gräslein, das ich spriessen sehe zwischen zwei Pflastersteinen, ist für mich eine Behauptung des Lebens: “Mich gibts, ich bin ein kleines Gras. Ich bin zwar nicht wichtig, aber ich komme hier zwischen diesen Pflastersteinen durch.” Und manchmal fühle ich mich ein bisschen wie ein Gras zwischen Pflastersteinen.

Sie versuchen auch, immer wieder Ihren Kinderblick zu bewahren. Diesen Kinderblick, der sich über etwas wundern oder empören kann und der in Ihren Kinderbüchern fantasievoll zum Ausdruck kommt…

Die Kinder sind die Botschafter des Lebens. Sie vertreten das Leben. Und zwar in seiner ganzen Heftigkeit. Kinder sind in der Lage, sich über etwas unglaublich zu freuen, und sie sind auch in der Lage, unglaublich traurig zu sein über etwas, das ihnen nicht passt oder Kummer bereitet. Diese Nähe zu den Gefühlen und auch zur Phantasie, hat für mich auch immer etwas sehr Ernährendes, Stärkendes und Hilfreiches. Eine Welt ohne Kinder wäre eine verlorene Welt.

Bei welcher Arbeit finden Sie am meisten Befriedigung?

Ich arbeite an allem gerne. Ich trete gerne auf, aber wenn ich dann sehr viel auf der Bühne bin, sehne ich mich wieder nach dem Schreibtisch. Wenn ich dann eine Weile nur am Schreibtisch gesessen bin, denke ich, jetzt wäre es auch wieder mal schön, zu den Leuten zu gehen. Auf jeden Fall versuche ich immer, auf meine Ideen zu hören.

Gelingt das immer?

Es geht nicht immer gleich gut, natürlich. Es gibt auch Enttäuschungen. In der Industrie spricht man vom Arbeitssvorrat. Ich habe immer das Gefühl, mein Arbeitsvorrat sei noch riesig. Ich habe noch so viele Ideen, die ich noch nicht umgesetzt habe.

Auf Ihrer Homepage gibt es eine persönliche Nachricht in einer unleserlichen Schrift. Was wollen Sie damit sagen?

Das ist die kleine Schlussüberraschung, die dann vielleicht auch heisst: Ihr müsst nicht glauben, dass Ihr mich kennt.

swissinfo – Interview: Alina Kunz Popper

Franz Hohler, geboren am 1. März 1943 in Biel, lebt mit seiner Frau und zwei Söhnen in Zürich.

Freischaffender Autor und Kabarettist. Seit 1965 auf der Bühne.

Arbeitet für Radio und Fernsehen, schreibt Erzählungen, Romane, Gedichte, Theaterstücke und Kinderbücher.

Auftritte in 35 Ländern. Wurde mehrfach ausgezeichnet.

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